FUSSBALL

Lagerbildung in der Regionalliga: Abgewiesene Klage zeigt die Spaltung der Südweststaffel

12.12.2020

Von Marcel Schlegel

Lagerbildung in der Regionalliga: Abgewiesene Klage zeigt die Spaltung der Südweststaffel

© Imago

Thomas Sobotzik von den Kickers Offenbach freut sich über Fortsetzung – auch wenn Zuschauer fehlen werden.

Die Fußballvereine der Regionalliga Südwest haben sich während der Corona-Unterbrechung zusehends entzweit. Medial reflektierte der Zwist in einem Fernduell zwischen den Kickers Offenbach und dem TSV Steinbach Haiger.

Dass sich die Struktur der Fußball-Regionalliga Südwest am besten in Dualismen beschreiben lässt, ist für eine Übergangsliga nicht ungewöhnlich. Profis gegen Amateure, Berufsfußballer gegen Nebenjobkicker, Haupt- versus Ehrenamt – so lassen sich die Polaritäten der 4. Liga verkürzt wiedergeben. Pole indes, die nicht bei allen 22 Klubs in Reinform vorliegen; heterogene Mischformen sind da vielmehr die Regel.

Selten jedoch wurden die zwei Welten, die bisher keine Reform ausgesöhnt bekam, so offenbar wie in der laufenden Corona-Krise, aufgrund derer die vergangene Saison ab- und die laufende im November unterbrochen wurde. Und dieses Wochenende nun also doch noch ihre Fortsetzung finden darf: nach politischen, verbalen und zuletzt juristischen Streitereien vor dem Mannheimer Landgericht, das am Donnerstag sechs Vereine zurückwies, die die Saisonfortsetzung verhindern wollten. Das ordentliche Gericht bestätigte mit seinem Urteil die geschäftsführende Regionalliga Südwest GbR und die sieben Länderverbände in ihrem Handeln.

Corona-Pandemie wirkt als Katalysator

Es beweist sich erneut: Auch im Sport wirkt die gesellschaftliche Krise der Pandemie nun wie ein Brennglas, das Wesentliches von Unwichtigem zu unterscheiden versucht, dessen Ausschnitt gleichsam schonungslos Schwachstellen identifiziert. An der Regionalliga Südwest zeigt sich eine Spaltung, die die Corona-Pandemie nicht allein verursachte, vielmehr offenbarte. Corona als Katalysator, der die Entscheider aller gesellschaftlichen Sphären zwingt, auf diese Lücken zu reagieren, sich zu diesen Entwicklungen zu verhalten, ihre Positionen offenzulegen und Stellung zu beziehen, was sie für wesentlich halten und was nicht. Politisch. Rechtlich. Gesellschaftlich. Und: Moralisch.

Balingens Co-Trainer Lukas Foelsch im Interview.

In der Regionalliga Südwest nutzen die einen dafür öffentliche Stellungnahmen auf den eigenen digitalen Kanälen, andere die lokale Presse – beide dramatisierten, beide polarisierten. Daraus resultierte in den vergangenen Wochen und Monaten ein medialer Schlagabtausch, in dem beide Lager jeweils die Gegenseite attackierten, meist sachlich, stellenweise auf persönlicher Ebene. Die zwei Sprachrohre des kontroversen Fernduells: die Kickers Offenbach als Leumund einer ausschließlich aus Profiklubs bestehenden Mehrheit der 22 Südwest-Vereine, die weitermachen wollte. Und in der anderen Ringecke: der TSV Steinbach Haiger als Rädelsführer jener neun Vereine, die gegen die Saisonfortsetzung waren, im Großteil Amateurklubs, darunter auch die TSG Balingen (die kürzlich selbst indirekt Gegenstand einer von den Kickers initiierten, aber erfolglosen Klage gegen die Regionalliga-Führung war).

Kläger zogen bewusst vor ein ordentliches Gericht

Ja, wenn es noch ein letztes Beweisstück gebraucht hat, um die Spaltung der Regionalliga Südwest zu dokumentieren, dann war es diese Klage vor dem Mannheimer Landgericht – vor einem ordentlichen Zivilgericht. Denn, so fanden die Kläger, hier gehe es nicht mehr ums Sportliche allein, sondern um eine gesellschaftliche Frage, die lautet: Ist es tragbar, dass eine faktisch semi-professionelle, politisch aber professionelle Fußballliga, in der geschätzt etwas weniger als die Hälfte der Spieler einen anderen Hauptjob ausübt – dass also diese Liga kurz vor Weihnachten, bei Schnee und Eis gleich vier Geister-Spieltage in vier Bundesländern und das binnen zehn Tagen austragen muss, während die Politik das öffentliche Leben drastisch herunterfährt und zwischenmenschliche Kontakte zu unterbinden strebt?

Die TSG spielt am Samstag in Koblenz.

Oder wie es Steinbachs Vorstandssprecher und Sponsor Roland Kring, der federführend den Rechtsweg einschlug, ausdrückt: „In der Klage ging es ja nicht um Fußball generell, sondern um den Zeitpunkt und die Rahmenumstände, unter der das stattfinden kann und soll.“ Der TSV Steinbach, der Bahlinger SC, FC Astoria Walldorf und andere äußerten ihr Unverständnis, es sei das falsche Signal an die Bevölkerung, die sich zum Wohle aller einschränke. Die Offenbacher wie viele andere Vereine finden, das Weiterspielen sei legitim, weil es politisch legitimiert wurde.

Moralisch richtig oder nicht?

Die klagenden Vereine indes zielten eigentlich auf eine moralische Klärung ab und versuchten, diese juristisch zu erwirken. Kritik am Vorgehen der Kläger, die auf unkonventionellem Wege eine Entscheidung suchten und das Sportgericht der Liga umgingen, kam prompt, etwa von Ulms Sportlichem Leiter Stephan Baierl, der monierte, die Kläger hätten sich der Sportgerichtsbarkeit stellen müssen. Im Recht waren und sind sie beide irgendwie – jedoch auf anderen Ebenen, solchen, die eben nur schwer zu verbinden sind. Eben deshalb sollte vor Gericht die Abwägung zwischen gesellschaftlicher Moral und geltendem Recht getroffen werden.

Markant ist die Steinbach-Rolle, weil die Mittelhessen sich als Profiverein vor die Amateurklubs stellten. Das schmeckte zum Beispiel den Kickers aus Offenbach nicht. Geschäftsführer Thomas Sobotzik warf den Steinbachern jüngst Unaufrichtigkeit vor: Kring arbeite mit „Stammtischparolen“, packe die „moralische Keule“ nur zum Schein aus, dabei würde es dem Regionalliga-Zweiten nicht um die betonte gesellschaftliche Verantwortung, sondern ums Geld gehen. Kickers-Präsident Joachim Wagner repetierte diese Narration der „Scheinheiligkeit“ anschließend gegenüber der FAZ – die Regionalliga Südwest, die sei derzeit ja wohl ein „Trümmerhaufen“, bestehend aus lauter egoistischen Akteuren. Zu Unrecht werde man von Externen als „Unmenschen“ dargestellt, dabei halte man sich an die „gültigen Regeln“.

Scheinbar nebenbei plauderte OFC-Manager Sobotzik dann gegenüber der Offenbacher Presse allerdings Interna aus der Steinbacher Geschäftsführung aus, wonach er erfahren hätte, dass man in der Vereinsführung tatsächlich für die Saisonfortsetzung wäre, also irgendwie auf Seite der Offenbacher. Dass aber der TSV-Hauptsponsor im Falle von Geisterspielen kein Geld zahlen wollen würde, man in Haiger im Falle der verlängerten Spielpause also auf staatliches Kurzarbeitergeld angewiesen gewesen wäre. Dieses können Profiklubs anders als die meisten Amateurvereine beantragen. Von Dissens innerhalb des TSV Steinbach berichtete Sobotzik hier subtil. Dieser Hauptsponsor ist der Bremsenhersteller Sibre, der eben Roland Kring gehört – und damit: eben der selbst. Validiert wurden Sobotziks Aussagen im entsprechenden Artikel nicht.

Steinbach denkt wohl, auch, ans Geld

Steinbachs Mäzen negierte deren inhaltliche Korrektheit nicht explizit, bezeichnete die Offenbacher „Vorwürfe“ gegenüber dem Zollern-Alb-Kurier aber als „haltlos und in keinster Weise zutreffend“. Krings Erklärung, die in seiner Doppelrolle aus Vorstand und Hauptgeldgeber gewissermaßen eine Selbstbeschreibung in dritter Person darstellt: „Natürlich wollen auch wir beim TSV Steinbach Haiger am liebsten spielen – das ist doch keine Frage. Das schließt auch sämtliche Sponsoren mit ein. Richtig ist aber auch, dass bei Spielen ohne Zuschauer jeder Verein sich die Frage stellen muss, ob und inwieweit er die zugesagten Werbeleistungen zu 100 Prozent erfüllen kann. Insoweit wäre es für alle Vereine wichtig, möglichst bald wieder mit Zuschauern spielen zu können.“

TSG-Keeper Binanzer: "Kein Verständnis für Fortsetzung".

Wie interne Aussagen der Steinbacher Vereinsführung über Sobotzik an die Öffentlichkeit gelangen konnten, erklärt Kring so: „Mit Bekanntwerden, dass im Dezember noch gespielt werden soll, haben wir im Vorstand und mit den wesentlichen Sponsoren diese Fragestellung erörtert. Dabei wurde schnell klar, dass nicht nur der Verein selbst, sondern auch unsere Partner dies vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung kritisch sehen. Diese Thematik wurde von unseren hauptamtlichen Geschäftsführern auch mit den Vertretern anderer Vereine diskutiert, unter anderem mit Herrn Sobotzik. Dass diese eigentlich vertraulichen Gespräche an die Presse weitergeben werden, ist ein sehr unkollegiales Verhalten.“

Giftpfeile vom Bieberer Berg

Zum Offenbacher Vorwurf der Unredlichkeit, von dem die Gegenseite wohl nicht vollends entlastet werden kann, gehört auch, dass der OFC selbst einen Schleierkurs fuhr, dessen Gründe unlängst schließlich indirekt bekannt wurden. Der frühere Bundesligist, unerreichter Zuschauer-Krösus der Südweststaffel, hatte sich ab dem Frühjahr in Person von Sobotzik und Wagner wiederholt gegen Geisterspiele ausgesprochen, weil diese wirtschaftlich nicht zu vertreten wären. Offenbachs Manager bekräftigte diese Position Mitte Oktober auch in einem unveröffentlichten schriftlichen Interview mit unserer Zeitung, um dann Anfang Oktober plötzlich umzuschwenken, öffentlich über juristische Schritte gegen die Ligaführung nachzudenken – und nunmehr für eine Saisonfortsetzung trotz Geisterspielen zu plädieren. Woher der Sinneswandel? Danach gefragt werden musste spätestens dann nicht mehr, als publik wurde, dass die Stadt Offenbach für die Kickers, die im Sommer 2013 Insolvenz angemeldet hatten, ein finanzielles Hilfspaket bereitstellt.

Geisterspiele machen Balingern Sorgen.

Nicht das erste Mal flogen indessen vom Bieberer Berg Giftpfeile herab in den Südwesten – zuerst als Antwort auf die harsche Kritik von Bayern Alzenau und dessen Chef Andreas Trageser, der die Profivereine und den OFC daran erinnerte, dass diese sich nach der abgebrochenen Vorsaison im Frühjahr geschlossen gegen das „Gruppenmodell“ gestemmt hatten. Dieser modifizierte Modus hätte die Spielzeit deutlich verkürzt und damit die Corona-Politik der Ligaführung flexibilisiert – er wäre jetzt, im Angesicht der stets prognostizierten zweiten Corona-Welle, ideal. Trageser mutmaßte mit Blick gen Offenbach damals: Aus wirtschaftlichen Gründen wolle der Traditionsverein und Zuschauermagnet dieses Play-Off-Modell nicht. Denn mehr Heimspiele, mehr Einnahmen und vice versa.

Vom OFC-Präsidenten Wagner hieß es daraufhin in einem offiziellen Schreiben an die Ligaführung und deren Gesellschafter, das seinerzeit vor allem auch an die aufbegehrenden Amateurklubs gerichtet gewesen sein dürfte: „Wer das Fußballspielen in der Regionalliga nur als sein privates Hobby betrachtet, sollte sich vom Spielbetrieb abmelden.“ Dabei blieb es nicht. Der OFC schoss weiter scharf in Richtung der Regionalliga-Geschäftsführung, die untätig wäre, und feuerte zuletzt eben immer auch nach Steinbach.

Gericht stellt nur Formales fest

Kring selbst kann sich die Dissonanzen nur schwer erklären, wie er sagte. Gegen den Traditionsklub und hessischen Rivalen Kickers Offenbach zu spielen, das sei stets etwas Besonderes, erklärte er und legte dann im Gespräch mit dem ZAK nach: „Im Gegensatz zu anderen Vereinen, wo sich über die Jahre auch Freundschaften gebildet haben, ist das Verhältnis zu einem höchst professionellen Verein wie dem OFC allerdings eher auf sachliche Dinge beschränkt.“ Auch Sobotzik will von einer Fehde nichts wissen, wurde gestern zum Urteil so zitiert: „Die Liga hat die Behördenlage berücksichtigt. Ich habe mit keinem anderen Verein ein Problem, empfinde aber großes Unverständnis, wenn jemand klagt, um nicht zu spielen.“

Bei der Bewertung durch das Mannheimer Gericht indes wurde eine Sache teilweise nur sekundär behandelt: dass die Richter die moralischen Vorbehalte der Klägerseite nachvollziehen konnte, aber nicht darüber zu entscheiden hatten, ob ein Weiterspielen das gesellschaftlich adäquate Zeichen darstellt oder nicht. Sondern darüber, ob die Vorkehrungen zum Gesundheitsschutz ausreichend sind; und darüber, ob die Liga-Führung mit ihrem Vorgehen, den Spielplan zu ändern und die Winterpause zu verkürzen, formal-rechtlich ihre Befugnisse überschritten hat oder nicht. Und das hat sie gemäß den Richtern nicht. Die geschäftsführende Regionalliga Südwest GbR, die sich für den Willen der Mehrheit einsetzte, habe „eine vertretbare Abwägung vorgenommen“, hieß es im Urteil.

Zumindest rechtlich gibt es Sieger

Es bleibt die Metaebene dieser Entscheidung, deren Erzählung lauten könnte: Für den semi-professionellen Fußball gilt nur eingeschränkt, was für Bevölkerung gilt und die politische Debatte seit Monaten bestimmt – Kontaktminimierung, Gruppentreffen vermeiden, zu Hause bleiben. Kickers-Präsident Wagner jedenfalls verbuchte den Gerichtsentscheid, an dem die Offenbacher nicht beteiligt waren, am Mittwoch als Sieg. Seinem Manager Thomas Sobotzik schrieb er laut Offenbacher Presse eine Nachricht mit dem Inhalt: „Gewonnen“. Juristisch und politisch schon. Aber moralisch?

Der Artikel erschien ursprünglich am 10. Dezember, erhielt am 12. Dezember dieses Update:

Von Beginn an waren neben den Steinbachern auch der Bahlinger SC und der FC Astoria Walldorf kritische Lautsprecher der Kickers Offenbach. Das gipfelte nun darin, dass die Walldorfer, die am Freitagabend den OFC empfingen (0:0), beim Heimspiel im Dietmar-Hopp-Stadion Teile des Offenbacher Stabs aus Gründen des Infektionsschutzes nicht ins Stadion ließen – und sogar der Offenbacher Post den Zutritt verweigerte. Zuvor hatte Walldorfs Vorsitzender Willi Kempf in einem öffentlichen Brief wieder scharf gegen den OFC geschossen. In dem Statement steht unter anderem diese Passage: "Für unsere Regionalliga GbR scheint, wie es bei der Sitzung vor dem Gericht vom Vertreter der GbR auch erwähnt wurde, der Hauptgrund für die Fortsetzung des Spielbetriebes, die Drohung eines Clubs, der unter Profibedingungen arbeitet sein, im Falle einer weiteren Spielunterbrechung gegen die GbR zu klagen, da es für ihn ein Berufsverbot darstellt. Hier stellt sich für mich die Frage, sind die Verantwortlichen der Regionalliga hier in eine Zwickmühle geraten? Eins scheint doch klar: Hätte die Regionalliga den Spielbetrieb unterbunden, hätte ein anderer Verein dagegen geklagt – allerdings aus rein wirtschaftlichen Gründen. Dass ein ehemaliger Bundesligist in die Regionalliga abgerutscht ist und nun gegen Amateure spielen muss, kann nicht zum Nachteil der anderen Vereine der Regionalliga werden. Dass er nach dem Abrutschen in die Regionalliga, übrigens laut DFB, die höchste deutsche Amateurklasse, immer noch unter Profibedingungen arbeitet ist dessen Entscheidung und der Verein wie auch die anderen Proficlubs der Amateurliga können und dürfen daher nicht auf ihren Profistatus pochen."

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