Zollernalbkreis

NS-Opfern und den NS-Tätern ein Gesicht: Wie jüdisches Leben in Balingen ausgelöscht wurde

27.07.2021

Von Klaus Irion

NS-Opfern und den NS-Tätern ein Gesicht: Wie jüdisches Leben in Balingen ausgelöscht wurde

© Klaus Irion

Der Balinger Historiker Dr. Michael Walther gibt der Sonderausstellung in der Zehntscheuer derzeit noch den letzten Schliff.

Opferforschung, Täterforschung, beides vereint in der Sonderausstellung „Ausgegrenzt, ausgeraubt, vernichtet: heimatlos“. Thematisiert wird darin das Leben und das physische wie psychische Vernichten der wenigen Balinger Juden vor und während der Nazi-Diktatur. Zu sehen ist sie ab Freitag in der Balinger Zehntscheuer.

Die nackten Zahlen auf der Ausstellungstafel sprechen eine eindeutige Sprache. In Balingen gingen schon in den 1920er-Jahren bei den Reichstagswahlen überdurchschnittlich viele Stimmen an die NSDAP. „Einer der Gründe hierfür war der Balinger Protestantismus“, sagt der ortsansässige Historiker Dr. Michael Walther.

Protestantische Nähe

Eine Affinität etlicher Balinger Protestanten zu Adolf Hitlers Partei sei schon in mehreren wissenschaftlichen Publikationen dargelegt worden. Eine stammt von Walther selbst. In katholischen Nachbarorten sei diese frühe Unterstützung des Nationalsozialismus so nicht anzutreffen gewesen.

Kein Ende abzusehen

Seit vielen Jahren schon forscht Walther zu den einstigen nationalsozialistischen Vorgängen in seiner Heimatstadt. Ein Ende seiner Arbeit, aber auch der seiner Mitstreiter des Arbeitskreises Wüste und den Mitgliedern der KZ-Gedenkstätte Bisingen, allen voran Dr. Ines Mayer, ist aber noch nicht absehbar.

Anderer Blickwinkel

Immer wieder stößt der Balinger auf neue Details, sei es durch Studien in den kommunalen beziehungsweise staatlichen Archiven oder durch akribische Recherche im Internet. Und änderte dabei in der jüngeren Vergangenheit nun auch seinen Blickwinkel. „Über viele Jahre hinweg stand die Opferforschung im Vordergrund, seit rund zehn Jahren rückt aber verstärkt auch die Täterforschung in den Mittelpunkt.“

Täter und Profiteure

Täter und/oder wirtschaftliche Profiteure des Nazi-Regimes gab es etliche auch in Balingen und Umgebung. Walther widmet sich in der Ausstellung beispielsweise der Person Rudolf Rohrbach, der 1939 die gleichnamigen Dotternhausener Portlandzementwerke (heute Holcim) gründete.

Geflecht entwirrt

Der Historiker dokumentiert, in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Wüste, den er leitet, und der Heimatkundlichen Vereinigung Zollernalb, auf Schautafeln den Werdegang des NSDAP-Gauamtsleiters für Technik und späteren Ehrenbürgers der Gemeinde Dotternhausen und dessen persönliche Verbindungen zu (lokalen) Nazi-Größen, deren (wirtschaftliches) Geflecht er in diesem Zusammenhang gleich mit entwirrt.

Großer Raum den Opfern

Den weitaus größeren Ausstellungsraum lässt Walther dann aber doch – wie der Name der Ausstellung „Ausgegrenzt, ausgeraubt, vernichtet: Heimatlos“ nahelegt – den Opfern, konkret den ehemaligen jüdischen Bürgern Balingens.

Emigration gen USA

Der Familie Schatzki, die ihr Textilunternehmen Baltrik im Jahr 1937 an das Tailfinger Unternehmen Gebrüder Conzelmann (heute Conta) verkaufte und mit dem Erlös die Flucht und den wirtschaftlichen Neuanfang in den USA bewerkstelligte.

Vertrieben in die Schweiz

Dem vor der Nazi-Diktatur angesehenen Balinger Arzt Dr. Alexander Bloch, dem die Balinger Braunen das Leben niederträchtig verleideten, wovon er sich desillusioniert und seiner deutschen Staatsbürgerschaft beraubt im Schweizer Exil bis zum Lebensende nicht mehr erholte.

Umgebracht in KZs

Der Balinger Jüdin Bella Levy, die mit ihrem Mann später nach Haigerloch zog, von dort aber wie ihr Ehegatte und ihre Tochter von den Nazis in KZs deportiert wurde. Keiner der drei überlebte die Gräuel des sogenannten Dritten Reichs.

Vernissage am Donnerstag

Mit einem Vortrag von Michael Walther und einem Grußwort von Balingens Oberbürgermeister Helmut Reitemann wird die Ausstellung am Donnerstagabend um 19 Uhr im Rahmen einer Vernissage eröffnet.

Zu sehen bis 26. September

Zu sehen sein wird „Ausgegrenzt, ausgeraubt, vernichtet: heimatlos“ bis zum 26. September. Die Balinger Zehntscheuer ist dienstags, freitags, samstags und sonntags von 14-17 Uhr, donnerstags von 14 bis 20 Uhr und mittwochs von 9 bis 12 Uhr geöffnet.

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