Balingen

Die Wahrheit ans Licht bringen: Wolfgang Bauer berichtet in Balingen über Afghanistan

27.10.2023

Von Paul Braun

Die Wahrheit ans Licht bringen: Wolfgang Bauer berichtet in Balingen über Afghanistan

© Paul Braun

Der Journalist und Autor Wolfgang Bauer (rechts) im Gespräch mit ZAK-Redaktionsleiter Klaus Irion.

Der mehrfach preisgekrönte Journalist und Autor Wolfgang Bauer ist der Einladung des Hechinger Vereins Kinder brauchen Frieden (KbF) gefolgt und nach Balingen gereist. In der Zehntscheuer sprach er mit ZAK-Redaktionsleiter Klaus Irion über das Leid der Menschen in Afghanistan und seine Bekanntschaften mit Taliban-Kämpfern. Das Publikum lauschte andächtig.

Der Verein feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Wie die Verantwortlichen auf ihrer Website schreiben, sei „derzeit keine Zeit für große Feiern“ und trotzdem ließen sie es sich nicht nehmen in die Zehntscheuer zu laden, um Interessierten, Unterstützern und Mitgliedern des Vereins einen besonderen Abend, präsentiert vom ZOLLERN-ALB-KURIER, zu bescheren.

Kinder aus dem Krieg holen

KbF-Beisitzender Florian Hofmann gab einen kurzen Einblick in die Vereinshistorie. 1992 entstand dieser aus einer spontanen Hilfsaktion für Kinder aus dem vom Krieg geplagten Jugoslawien. Daraus entstand der Wunsch der Initiatoren, mehr zu tun. also gründeten sie 1993 den Verein Kinder brauchen Frieden, der derzeit 760 Mitglieder und 320 Paten aufweist.

Kinder brauchen Frieden weltweit aktiv

Seither half die Vereinigung zahlreichen Kindern in Ruanda, Sri Lanka, Kroatien, Kashmir (Indien), Bosnien, im Iran und seit 2022 auch in der Ukraine und Afghanistan. Wie Hofmann erklärt, wurde „2022 schnell klar, dass wir den Kindern in der Ukraine helfen müssen“. KbF hat unter anderem viele geflüchtete Kinder in Hechingen betreut sowie ein Kloster in Polen, das sie aufnimmt, finanziell unterstützt.

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Der Kinder-brauchen-Frieden-Beirat Florian Hofmann spricht über die 30-jährige Geschichte des Vereins

Mittlerweile konnte der Verein sogar einen Rettungswagen für eine Kinderklinik in Cherson ausstatten. Allgemein hilft der Verein vorrangig durch Spenden beim Aufbau von Kinderheimen oder sogenannten Friedensdörfern, ist aber auch bedacht auf die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in den Krisengebieten, in denen er aktiv ist.

Unterstützung für Afghanistan

Hofmann legte Wert darauf zu betonen, dass dem Verein Kinder brauchen Frieden die Nachhaltigkeit ihrer Projekte immer am Herzen liege. So sehen sie sich in der Verantwortung, auch dann zu helfen, wenn niemand mehr hinsieht. So auch in Afghanistan: Nach der Übernahme des Landes durch das Taliban-Regime machten sie es sich zur Aufgabe, bedürftige Familien zu unterstützen, um deren Grundversorgung zu sichern und ihren Kindern einen Schulbesuch zu ermöglichen.

Übersetzer aus Afghanistan kommt zu Wort

Anschließend bat der Redner einen besonderen Gast auf die Bühne: Waheedullah Masoud. Er konnte 2022 mit dem letzten Flug aus Kabul ausreisen und hilft seither die Hilfsaktionen in Afghanistan zu koordinieren. Er war eine lange Zeit Übersetzer für Wolfgang Bauer auf dessen zahlreichen Reisen durch das Land und lebt mittlerweile in Reutlingen mit seiner Familie.

Kinder für 100 Dollar verkauft

Masoud erzählte: „Jeder Lebensbereich war vom Krieg in Afghanistan betroffen. Frauen und Kinder litten am meisten.“ Unter der Herrschaft der militanten Taliban habe sich dieser Umstand verschlimmert.

Die Wahrheit ans Licht bringen: Wolfgang Bauer berichtet in Balingen über Afghanistan

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Waheedullah Masoud berichtet von den Verhältnissen in Afghanistan. Er lebt mittlerweile in Reutlingen.

Anschließend wechselte er auf Englisch, da ihm das eher liege: „Unter dem Gesetz der Scharia dürfen Frauen nicht arbeiten. Viele Frauen haben ihre Männer im Krieg verloren und können ohne Arbeit ihre Kinder nicht versorgen.“ Er berichtete davon, dass manche Familien ihre Kinder für 100 Dollar verheiraten oder verkaufen müssen, um ihre Familie zu versorgen. Zudem sei die medizinische Versorgung desolat.

Wer ist Wolfgang Bauer?

Anschließend betrat Wolfgang Bauer die Bühne. Ein unscheinbarer Mann mit Brille und zerzausten Haaren, der sehr ruhig spricht. ZAK-Redaktionsleiter Klaus Irion begrüßte ihn und verriet, dass sie sich seit knapp 30 Jahren kennen.

Die Wahrheit ans Licht bringen: Wolfgang Bauer berichtet in Balingen über Afghanistan

© Paul Braun

Eine Vase als Zeichen der Hoffnung: Mitgebracht von seiner Reise nach Afghanistan symbolisiert dieses Glaskunstwerk für Wolfgang Bauer die Hoffnung die es noch zu haben gilt.

Sie beide fanden ihren Einstieg in den Journalismus beim Schwäbischen Tagblatt. Bauer war anschließend für die Magazine „Stern“ und „Focus“ tätig, reiste für seine Reportagen immer wieder in Krisengebiete und schreibt nun seit 12 Jahren für die „Zeit“. Er ist Träger des deutschen Journalistenpreises und bekam zuletzt 2023 den Peter-Scholl-Latour-Preis für die Reportage „Kiew im Krieg“ verliehen.

„Bürgerkrieg war vorgezeichnet“

Bauer ist quasi Experte in Sachen Afghanistan. Fünf Mal bereiste er das Land in den letzten 20 Jahren und bezeichnet es als „eines der schönsten Länder, dass ich je erleben durfte“. Im Gespräch mit Irion beweist Bauer sein umfangreiches Wissen über das Land, dessen Kultur und Geschichte. So erklärte er zum Beispiel, dass der Bürgerkrieg bedingt durch die Grenzziehung kolonialer Mächte (russisches Zarenreich und Britisches Empire) vorgezeichnet gewesen sei. Afghanistan sei, um einen Krieg der beiden Mächte zu verhindern, zur „Pufferzone“ erklärt worden und darin versammelten sich zahlreiche Ethnien mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen. „Es war klar, dass es da früher oder später kracht.“

Wie kommt man nach Afghanistan?

Weiter erzählt Wolfgang Bauer auch über seine Bekanntschaften mit mehreren Taliban-Gruppen. Auf die Frage, wie er sich auf seine Reisen in das abgeschottete Land vorbereite, erklärte er, dass er „Trojanische Pferde“ für die Taliban-Regierung baue. Die muss nämlich seine Einreise genehmigen. „Das sind dann harmlos aussehende Stories, die aber, wenn man genau liest, sehr tiefgehend sind.“

„Taliban-Landrat“

Aus seinem neuesten Buch „Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern“ las er eine Passage vor. Darin berichtet er von Anpassungsschwierigkeiten an die Hochgebirgs-Region, in der er sich befand. Bauer wollte für seine Reportage in die Regionen fahren, die er auf seinen vorigen Reisen bereits besichtigt hatte, und die Unterschiede seit der Übernahme des Landes durch die Taliban dokumentieren. Einen hochrangigen Taliban bezeichnete er „Taliban-Landrat“, um dessen Position innerhalb des Machtgefüges der Islamisten zu veranschaulichen.

„Die Geschichte wird unser größter Richter sein“

Das „Taliban-Landratsamt“ sei für den Winter in das Gebäude einer ehemaligen Mädchenschule gezogen. Den Rektor kannte Bauer von einer vorherigen Reise. Er zitiere ihn: „Es ist wichtig, dass Journalisten hierherkommen und versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Geschichte wird unser größter Richter sein.“

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Wolfgang Bauer liest den Gästen aus seinem Buch „Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern“ vor.

Der Rektor und Bauer sind besorgt um die Zukunft der Mädchen, die einst dort zur Schule gingen. Manche von ihnen hätten anfangs noch heimlich Unterricht genommen, doch die Taliban „stellten die Daumenschrauben immer enger. Auch das war irgendwann nicht mehr möglich“, so Bauer. Die meisten der Mädchen und manche der ehemaligen Lehrerinnen seien gezwungen für zwölf Stunden am Tag Teppiche zu knüpfen.

Landwirtschaft und Drogenhandel

In einer anschließenden Fragerunde wollte das Publikum Näheres erfahren. „Wie ist das mit der Wirtschaft dort?“ fragte einer. Bauer erklärte, die Landwirtschaft sei die größte Industrie, auch wenn Afghanistan eine „Hand-in-den-Mund-Ökonomie“ aufweise. Das Angebaute werde also meist selbst verbraucht. Der Tauschhandel sei noch immer sehr präsent, vor allem auf dem Land. Und auch der Anbau von Mohn für die Herstellung von Opiaten sei für manche Dörfer die wichtigste Einnahmequelle. Da die Taliban allerdings auch dagegen hart vorgehen, haben die Mohnbauern keine Existenzgrundlage, so Bauer. Man könnte meinen, gegen den Drogenhandel vorzugehen, sei rühmlich, doch die Taliban beraubten dadurch die eigene Bevölkerung des Geldes, das sie dringend für Nahrung oder Medizin benötigten. „In Afghanistan steht die Welt plötzlich Kopf“, resümierte er.

Wie geht es weiter im Land?

Eine Chance für das Land zur „Normalität“ zurückzukehren, sieht Bauer ausschließlich im „biologischen Ableben des Emirs“ oder in einer Veränderung von innen heraus. Die größte Gefahr, so Bauer, sei die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Die sei in Afghanistan seit dem Fall der vorigen Regierung auf dem Vormarsch und verübe dort schreckliche Verbrechen.

Die Taliban hätten ein großes Interesse daran, Stärke und Kontrolle über das Land zu projizieren. „Das müssen sie auch“, sagte Bauer, da es viele Akteure in Afghanistan, aber auch aus dem Ausland (zum Beispiel Russland) gebe, die ein Machtvakuum sofort zu ihrem Vorteil nutzen würden.

Appell an die Bundesregierung

Abschließend richtete er noch einen Appell an die Bundesregierung. Er empfiehlt, die Taliban zwar nicht anzuerkennen, jedoch wieder Geschäftsbeziehungen zu ihnen aufzubauen. „Diese Menschen werden für die nächsten Jahre regieren. Sie zu ignorieren, ist der falsche Weg.“

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