Balingen

Weil keiner den Schmerz verstehen kann: Balinger gründet Selbsthilfegruppe für entfremdete Eltern

03.04.2024

Von Rosalinde Conzelmann

Weil keiner den Schmerz verstehen kann: Balinger gründet Selbsthilfegruppe für entfremdete Eltern

© Rosalinde Conzelmann

Manfred Wörner möchte als Betroffener eine Selbsthilfegruppe für entfremdete Eltern im Zollernalbkreis gründen.

Manfred Wörner weiß, wie schlimm es sich anfühlt, wenn man plötzlich kein Vater mehr sein darf, weil das die Mutter unterbindet. Dieses Phänomen wird als gesteuerte Eltern-Kind-Entfremdung, auch „Parental Alienation Syndrom“ (PAS), bezeichnet. Der Balinger hat furchtbar gelitten unter der Trennung von seinen drei Kindern. „Aber niemand versteht es, wenn ich es erzähle“, sagt der 62-Jährige. Aus diesem Grund will er nun eine PAS-Selbsthilfegruppe für den Zollernalbkreis gründen.

Der Ergotherapeut erzählt im ZAK-Gespräch, dass er nach seiner Scheidung 2006 einen Rosenkrieg erlebte. Seine Ex-Frau ist dann weggezogen, und mit diesem Wegzug habe der schleichende Prozess der Entfremdung von seinen drei geliebten Kindern begonnen. Dies sei so weit gegangen, dass sich die Situation 2017 so zugespitzt habe, dass der Kontakt zu den dreien vollständig abgebrochen sei. „Ich wusste drei Jahre lang nicht, ob sie überhaupt noch am Leben sind“, schildert er diese belastende Zeit, die er irgendwie überstanden hat.

Es waren schwere Zeiten

Im Nachhinein denkt er oft darüber nach, wie er trotz allem den Lebensmut nicht verloren und diesen Schmerz ausgehalten hat, nicht völlig verzweifelt ist. Er hat Hilfe gesucht, war in psychotherapeutischer Behandlung. Das hat geholfen, sagt er. Ebenso hat er acht auf sich gegeben, war nachsichtig mit sich und hat über seine Gefühle gesprochen. Doch viele Menschen haben seinen Schmerz nicht verstanden, konnten nicht nachvollziehen, wie sehr er unter der Trennung von seinen Kindern leidet.

Niemand versteht dich

„Es gibt Momente, da fühlst du dich von niemanden verstanden“, beschreibt er dieses Gefühl, das letztlich den Ausschlag gegeben hat, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Selbst enge Freunde und langjährige Weggefährten hätten seine Situation nicht nachvollziehen können, ihn ungläubig angeschaut.

Manfred Wörner hat fast zwei Jahrzehnte lang erfahren müssen, dass er keine Chance gegen diese Entfremdung hat, für die es keinen objektiven Grund gibt.

Die indizierte Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil liegt nicht vor, wenn Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung im Spiel sind. Ebenso wenig, wenn ein Elternteil nach der Trennung den Kontakt zum Kind aus eigenem Antrieb abbricht oder das Kind nie eine Beziehung zum abgelehnten Elternteil hatte. Auch, wenn ein Elternteil versucht, die Verbindung zum anderen Elternteil zu unterbinden, das Kind aber dennoch den Kontakt nicht abbrechen möchte, liegt kein PAS-Fall vor.

Es gibt keinen Grund

Der Balinger weiß, dass die Kinder in besonders dramatischen Trennungs- und Scheidungsfällen wie seiner die Leidtragenden sind. Deshalb habe er nie versucht, seine Kinder gegen ihre Mutter aufzuhetzen, sagt er. Und er habe sich über jedes Lebenszeichen seiner Kinder, über jedes Treffen gefreut und nie aufgehört, sie zu lieben.

Der dreifache Vater hat seit sechs Monaten wieder Kontakt zu seinen beiden Töchtern und seinem Sohn. Sie haben seine Nähe gesucht, sich von alleine wieder gemeldet. Er ist unendlich glücklich darüber, sagt er. Freut sich auf eine neue wunderbare Zeit, die er nun unerwarteter und unverhoffter Weise erleben darf.


Traumatisch für Kinder und Eltern

Andere entfremdete Eltern dürfen das nicht erleben. Das ist ein weiterer Grund für die Gründung der Selbsthilfegruppe. Betroffene Eltern sollen sich unter Gleichgesinnten informieren und austauschen können. Denn nicht nur für die Kinder, auch für die entfremdeten Eltern ist der Kontakt- und Beziehungsabbruch traumatisch.

Die gesteuerte Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil wird seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshof im Jahr 2020 als psychischer Kindesmissbrauch gewertet. Betroffen sind sowohl Mütter als auch Väter. Den Jugendämtern und auch den Gerichten ist das Phänomen bekannt. Auch Erzieher und Pädagogen in den Kitas und Schulen werden damit konfrontiert.

Ein gesellschaftliches Phänomen

Es gibt zwischenzeitlich sehr viel Fachliteratur zu dem Phänomen, das ein gesellschaftliches Problem ist, denn nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts haben in Deutschland 17,5 Prozent der Trennungskinder keinen Kontakt mehr zum anderen Elternteil. 25 Prozent haben nur selten Kontakt. Fest steht, dass die Entfremdung für die Kinder dramatische Folgen haben kann. Genannt werden in der Fachliteratur unter anderem mangelndes Selbstwertgefühl, Depressionen, Verhaltensauffälligkeiten, Angststörungen, die Unfähigkeit, gesunde Partnerschaften zu leben.

Mit der Gründung der Selbsthilfegruppe will Manfred Wörner anderen Betroffenen einen geschützten Rahmen bieten, in dem sie sich austauschen, sich gegenseitig entlasten und auch ermutigen können. „Ich will aber nicht, dass wir am Ende zusammen heulen“, stellt er klar. Ebenso können die Teilnehmer ihre eigene Geschichte erzählen. Die Gespräche werden jeweils von einem Betroffenen moderiert.

Ein weiterer Punkt, der Wörner sehr wichtig ist, ist die Information und Aufklärung, die die Selbsthilfegruppe bieten möchte. Die Betroffenen sollen Auskunft über rechtliche Fragen bekommen, denn oftmals spielt bei Trennungen und Scheidungen der Streit ums Geld eine große Rolle. Außerdem erfahren sie, bei welchen Beratungsstellen und Ämtern sie Hilfe bekommen können. Wörner kann sich auch vorstellen, in seinen Praxisräumen in Balingen Schulungen für Kitas anzubieten. Denkbar sei auch, dass er oder Betroffene auf Wunsch die Einrichtungen besuchen.

Auftaktveranstaltung in der Stadthalle

Die Auftaktveranstaltung für die Gründung der Selbsthilfegruppe ist am Dienstag, 14. Mai, im Studio der Balinger Stadthalle. Manfred Wörner, der seit drei Jahren in Isingen lebt, wird über seine eigene Betroffenheit sprechen. Anschließend soll ein Psychologe oder Arzt einen Impulsvortrag halten. Nach diesem öffentlichen Start trifft sich die Selbsthilfegruppe einmal im Monat in den Räumen von Wörners Ergotherapie-Praxis in Balingen. Wer sich vorab informieren möchte, ist auf der Website elternkindentfremdung.com richtig.

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