Zollernalbkreis

Zwischen Hechingen und Tübingen: Nur jeder zweite Zug ist pünktlich

27.01.2020

Von Gudrun Stoll

Zwischen Hechingen und Tübingen: Nur jeder zweite Zug ist pünktlich

© Pascal Tonnemacher

Verspätungen, Ausfälle, verärgerte Kunden: Was ist los mit der Bahn? Der Reutlinger Abgeordnete Ramazan Selcuk hat nachgefragt.

Massive Verspätungen im Regionalverkehr, überfüllte Züge und andauernde Zugausfälle aufgrund technischer Störungen – was vielen Pendlern längst aus eigener Erfahrung bekannt ist, wurde auf Anfrage des Reutlinger Landtagsabgeordneten Ramazan Selcuk (SPD) nun vom grünen Verkehrsminister Winfried Hermann offiziell bestätigt.

Die Pünktlichkeitswerte der IRE-Linie Stuttgart – Tübingen – Aulendorf seien katastrophal, teilt der Reutlinger Abgeordnete mit und verweist auf eine kleine Anfrage, die er im Landtag zur aktuellen Situation auf der Neckartalbahn (zwischen Tübingen und Stuttgart) und auf dem Streckenabschnitt der ZAB 1 zwischen Hechingen und Tübingen gestellt hat. Die Anfrage war an das Verkehrsministerium gerichtet und wurde von Ministerialdirektor Dr. Uwe Lahl beantwortet.

Nur jeder zweite Zug ist pünktlich

Aus dem Antwortschreiben geht hervor, dass im Dezember 2019 nur 61,2 Prozent der IRE pünktlich am Messpunkt Tübingen abfuhren. Noch schlimmer sei die Situation der HzL-Regionalbahnen, bei denen lediglich 53,5 Prozent der Züge Tübingen pünktlich verließen. Dabei würden weder Ausfälle aufgrund von Baustellen noch Verspätungen über 30 Minuten in die Statistik eingerechnet.

Empfindlicher Fahrplan

Gründe liefere Minister Hermann dafür zur Genüge, heißt es in der Pressemitteilung von Ramazan Selcuk. So verweise das Ministerium auf die Baumaßnahmen im Zuge von Stuttgart 21, einen empfindlichen Fahrplan mit Dominoeffekt bei einzelnen Verspätungen sowie technische Schwierigkeiten mit der Neigetechnik. Das Ministerium räumt auch einen massiven Mangel an Lokführern ein.

Situation ist unbefriedigend

Insbesondere in der morgendlichen Hauptverkehrszeit seien einige Züge heillos überfüllt, müssten Schüler und Berufspendler immer wieder vom Bahnpersonal auf den nachfolgenden Zug verwiesen werden, schildert der Abgeordnete die unbefriedigende Situation. Schuld daran trage wohl auch die Hohenzollerische Landesbahn selbst, die beispielsweise auf der hochfrequentierten Strecke Hechingen – Tübingen seit Dezember 2018 einen von fünf Waggons einspare.

Nur vier statt fünf Wagen

Auf seine Frage nach den Gründen für die Überfüllung antwortete das Verkehrsministerium folgendermaßen: „Beschwerden sind uns insbesondere über den Zug 86230 bekannt (Hechingen ab 7.01 Uhr - Tübingen Hbf an 7.26 Uhr). Dieser Zug fährt seit Dezember 2018 mit vier und nicht mehr wie vorher mit fünf Triebwagen des Typs RS 1, da der fünfte Triebwagen seitdem zur Verstärkung eines anderen Zugs eingesetzt wird. Die Sitzplatzkapazität beträgt somit ca. 280 Plätze. Die uns vorliegenden Fahrgastzählungen der HzL aus den Jahren bis 2018 ließen nicht erwarten, dass hierdurch problematische Situationen entstehen würden.

Die Spitzen liegen demnach bei den meisten Zählungen zwischen Dußlingen und Tübingen-Derendingen bei ca. 350 bis 370 Fahrgästen, d. h. pro Triebwagen müssten rund 20 Personen stehen. Wir vermuten, dass drastische Überfüllungen insbesondere dann vorkommen, wenn der vorausfahrende IRE 3250 (Hechingen ab 6.37 Uhr/Mössingen ab 6.44 Uhr) ausfällt oder stark verspätet ist. Möglicherweise haben die Fahrgastzahlen aber inzwischen auch zugenommen, z. B. durch das Job-Ticket des Uni-Klinikums. Wir prüfen bereits, inwieweit aus einem anderen Netz ggf. ein geeigneter Triebwagen zur Verstärkung abgezogen werden kann.“

Mehr Komfort, längere Fahrzeiten

Um Komfort und Zuverlässigkeit der Bahn zu steigern, will die HzL alte Triebwagen vom Typ RS 1 durch neue vom Typ LINT 54 ersetzen. Die Türöffnungszeiten der neuen Modelle, darüber hat auch der ZAK schon ausführlich berichtet, sind allerdings deutlich länger beim RS 1. Allein auf der Strecke Tübingen-Sigmaringen verlängert sich die Fahrzeit um drei Minuten.

Zwischen Hechingen und Tübingen: Nur jeder zweite Zug ist pünktlich

© Privat

Ramazan Selcuk, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reutlingen.

Wechsel im Sommer

Im Sommer so, Selcuk, stehe der Betreiberwechsel im Regionalverkehr an. Es sei allerdings zu befürchten, dass die von Abellio angekündigte Taktverdichtung den Dominoeffekt im Fahrplan weiter verstärken werde, statt für die gewünschte Verlässlichkeit im Bahnverkehr zu sorgen.

Kritik an Landesregierung

Ramazan Selcuk kritisiert die Landesregierung deshalb deutlich und fragt: „Wie soll die verdichtete Taktung auf der Strecke funktionieren, wenn es im Zu- und Ablauf im Bereich Stuttgart mit weniger Zügen jetzt schon nicht funktioniert, die neuen Wagen weniger Leute fassen und wegen der längeren Schließphase der Türen mehr Zeit brauchen?“ Eine Anfrage zur Neckartalbahn habe ebenso niederschmetternde Ergebnisse gebracht. Auch hier machen massive Verspätungen, Zugausfälle und Personalmangel den Zuggästen das Leben schwer.

Hintergrund

Aufgrund zahlreicher Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern wendete sich Ramazan Selcuk im Dezember 2019 mit Anfragen zur aktuellen Situation der Neckartalbahn (Drucksache 16/7384) und Hohenzollerischen Landesbahn (Drucksache 16/7423) an die Landesregierung. Die nun vorliegenden Antworten zeichnen seines Erachtens ein erschütterndes Bild vom Zustand des Bahnverkehrs in Baden-Württemberg.

Fragen und Antworten

„Wie haben sich Fahrgastzahlen und Auslastungsquote der HzL im Streckenabschnitt der ZAB 1 zwischen Hechingen und Tübingen in den vergangenen acht Jahren entwickelt“? hatte der Abgeordnete unter anderem angefragt.

Zahlen sind leicht gesunken

Die Antwort aus dem Verkehrsministerium: Die Fahrgastzahlen der HzL-Regionalbahnen sind nach den uns vorliegenden Zahlen von 2011 bis 2018 leicht gesunken: 2018 stiegen an Schulwerktagen an den Stationen von Tübingen bis Hechingen (Hechingen nur Fahrten in Richtung Tübingen) rund 5400 Fahrgäste in diese Züge ein.

Die Auslastung ist jedoch durch eine spürbare Reduzierung der Platzkapazitäten insbesondere im Zusammenhang mit der Neuausschreibung ab Ende 2013 etwas angestiegen (2011: knapp 48 %, 2018: ca. 53 %). Insbesondere in der morgendlichen Haupt­verkehrszeitt gibt es in Fahrtrichtung Tübingen zwischen Dußlingen und Tübingen-Derendingen nach 7 Uhr kaum noch freie Sitzplätze.“

Folgen der Verspätungen

Eine weitere Frage lautet: „Wie haben sich die Verspätungen und Zugausfälle seit dem 1. Januar 2019 auf der HzL im Streckenabschnitt der ZAB 1 zwischen Tübingen und Hechingen bzw. auf der dort verkehrenden IRE-Linie Stuttgart-Aulendorff entwickelt?

Zahlen zu den Ausfällen

Wie aus dem Antwortschreiben des Ministeriums hervorgeht, sind 2019 insgesamt 38 IRE-Züge ausgefallen. Von der HzL gibt es Daten von Januar bis November: Demnach sind 69 Verbindungen ausgefallen. Geplante Ausfälle wegen Bauarbeiten und als Ausfall gewertete Züge mit Verspätungen von mehr als 30 Minuten sind in dieser Tabelle nicht enthalten.

Wie steuert das Land gegen?

Welche Maßnahmen sind geplant, um die Pünktlichkeit der IRE-Züge zwischen Stuttgart und Aulendorff zu erreichen, die regelmäßig den Fahrplan der HzL durcheinanderbringen und dort Folgeverspätungen und Zugausfälle auslösen? lautete eine weiteres Anliegen des Abgeordneten.

Kein Fakt, sondern Gedankenspiel

Aus der Antwort hat das Büro des Reutlinger Abgeordneten die recht reißerische Überschrift gebastelt „Wegen Bahn-Chaos: Landesregierung erwägt Streichung des IRE“. So war die Antwort des Ministeriums nicht formuliert. Dort heißt es: „Die radikalste Lösung wäre, den IRE aus dem Knoten Stuttgart herauszunehmen. Er würde dann in einem entspannten Fahrplan vor den ICE-Ankünften aus Richtung Mannheim abfahren.

Ob diese Maßnahme die Vorteile für die Zollernbahn überwiegt, ist auch vor Ort auf politischer Ebene abzustimmen. Es gibt allerdings durchaus auch Verspätungsursachen bei den HzL-Zügen, die nichts mit den IRE zu tun haben, z. B. Fahrzeugstörungen. Im Zuge des geplanten Einsatzes von neuen Fahrzeugen bei der HzL ist die Einführung eines insge­samt robusteren Fahrplans vorgesehen.“

Persönliches

Ramazan Selcuk, Jahrgang 1963, stammt aus der Türkei, ist verheiratet und hat drei Kinder. Nach dem Hauptschulabschluss begann er eine Ausbildung zum Betriebsschlosser und arbeitete anchließend als Betriebsschlosser und Schichtmeister in verschiedenen Betrieben.

Ende der 1980er erfolgte die Weiterqualifizierung zum Techniker, 1996 die Lehrmeistertätigkeit am Technikum in Reutlingen. Seit 1996 ist Selcuk technischer Lehrer an der Hochschule Reutlingen. Der Sozialdemokrat ist Mitglied des Gemeinderats von Reutlingen und rückte im Oktober 2017 für den ausgeschiedenen Abgeordneten Nils Schmid in den baden-württembergischen Landtag nach. Ramazan ist Mitglied im Ausschuss für Verkehr, im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst und im

Petitionsausschuss.

Diesen Artikel teilen: