Hechingen

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

04.02.2024

Von Michael Würz

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Die Politik hart kritisieren: ja. AfD wählen: nein. Landesverbands-Vize Jürgen Maurer will die Bauern-Debatte sachlich führen.

Es war auch Ausdruck der politischen Lage: Deutlich mehr Mitglieder als in den vergangenen Jahren haben am Samstag am Bauerntag der Kreisverbände Zollernalb und Tübingen teilgenommen. Die Vertreter der Landwirte gingen in der Hechinger Stadthalle Museum hart mit der Politik ins Gericht – und warnten zugleich vor der AfD und einer „Überstrapazierung“ der Traktoren-Proteste.

Die beiden wichtigsten Botschaften haben sie am Samstagmorgen bereits im Foyer der Stadthalle aufgehängt: „Zu viel ist zu viel. Ampel ruiniert Landwirtschaft“, steht auf einem Transparent. Und direkt daneben hängt ein weiteres: „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun.“ Darunter strömen nicht nur weit mehr Besucher als bei Bauerntagen in den vergangenen Jahren ins Hechinger Museum, auch Politikerinnen und Politiker stehen Schlange. Niemand will in diesem Jahr beim gemeinsamen Bauerntag der Kreisbauernverbände Tübingen und Zollernalb fehlen. Allein Tübingens Landrat Joachim Walter kämpft mit einer Grippe und kann deshalb nicht kommen. Sein Kollege von der Zollernalb, Günther-Martin Pauli, ist da. Genau wie der Europaabgeordnete Norbert Lins (CDU), die Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz (CDU), der Bundestagsabgeordnete Dr. Martin Rosemann (SPD), Landtagsabgeordnete von CDU, FDP und Grünen, mehrere Bürgermeister und Ortsvorsteher.

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Tauschen sich aus: Alexander Schäfer, Kreisobmann des Bauernverbands im Zollernalbkreis, und Dr. Gabriele Wagner, Chefin des Landwirtschaftsamts. Mehrere Vertreter der Kreisverwaltung waren zu Gast beim Kreisbauerntag in Hechingen.

Dass der Bauerntag in diesem Jahr ganz im Zeichen der Proteste der Landwirte stehen würde, war freilich klar. Und Jörg Kautt, Kreisobmann des Bauernverbands in Tübingen, gibt bereits ab Minute 1 die Richtung vor: „Seit Jahren werden wir mit immer mehr Auflagen und Bürokratie überzogen, die sinnbefreit und ideologisch ist“, sagt er. Er klagt über „Dokumentationen für alles, mit 5 Durchschlägen, Pflanzenschutz, Düngung und Bodenbearbeitung“.

Kautt will direkt klarmachen: Die Landwirte gehen nicht allein wegen des Agrardiesels auf die Straße, oder der Kürzung ihrer Subventionen. Vielmehr habe der neue Haushaltsentwurf des Bundes im Dezember eben „den Damm zum Überlaufen gebracht und auch zum Bersten“, sagt Kautt. Er klagt über mangelnde Planungssicherheit beim Tierschutz, während das Freihandelsabkommen „all diese Standards nicht fordert“, verlangt, „dass in Brüssel und Berlin die Vernunft einkehrt“.

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Ausdruck der politischen Lage: Deutlich mehr Mitglieder als in den vergangenen Jahren haben am Samstag am Bauerntag der Kreisverbände Zollernalb und Tübingen teilgenommen.

Doch während aus den Reihen der Landwirte zuletzt stellenweise Forderungen zu vernehmen waren, die Proteste auf französisches Niveau zu heben, fällt an diesem Samstagmorgen in Hechingen auf: Die Verantwortlichen beim Bauernverband bemühen sich vielmehr um Versachlichung. „Wir dürfen die Traktordemos nicht überstrapazieren“, sagt Jürgen Maurer. Der Vizepräsident des Landesbauernverbands tritt in Hechingen als Hauptredner ans Mikrofon, referiert über „Landwirte in der Mitte der Gesellschaft“. Es sei guter Stil, mahnt Maurer, nach den Traktordemos perspektivisch wieder „zurück an den Tisch zu kehren“. Und Maurer weiß, dass das, was er dann tut, „ungewöhnlich ist“. Aber zu wichtig ist ihm diese Botschaft, die er hier in Hechingen ganz deutlich machen will: „Lassen Sie die Finger von der AfD“, gibt er eine Nicht-Wahlempfehlung in den Saal. „Die AfD ist unglaubwürdig, sie ist keine Lösung für unsere Probleme, bitte machen Sie da kein Kreuz.“

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Der Landesbauernverband präsentiert sich im Foyer der Stadthalle Museum.

Vielmehr sei das Gebot der Stunde, sich kritisch mit den „etablierten Parteien“ auseinanderzusetzen. Maurer selbst macht das in Hechingen vor, regt sich ziemlich auf, etwa über den aus seiner Sicht zu strengen Tierschutz: „Wir können Tiere nicht totstreicheln.“ Man müsse trennen zwischen Haus- und Nutztieren, befindet Maurer. Er schimpft auf „Klimakleber“, lobt die Proteste der Landwirte (weil man da Rettungsfahrzeuge durchlasse). Maurer will nichts wissen von sogenannten „fairen Preisen, die nichts bringen“. Und nimmt längst nicht nur die Politik in die Pflicht. Bei der Biodiversität etwa, da könne jeder Privatmann etwas tun. Wie? Nicht die Böden versiegeln! Und keinen englischen Rasen, „den niemand braucht“. Und auch mit den Verbrauchern geht Maurer hart ins Gericht. Seine Beispielrechnung: Wer nicht alle 2, sondern erst alle 3 Jahre ein neues Handy kaufe, habe auch mehr Geld für Lebensmittel. Politikern indes empfiehlt Maurer einen Grundkurs, der ihnen erklären möge, worin der Unterschied zwischen einer Steuererhöhung liege und einer gestrichenen Subvention.

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit dem CDU-Europaabgeordneten Norbert Lins.

Als „handwerklich mangelhaft“ bezeichnet Maurer die Sparpläne der Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres. So, „als hätte die der Lehrling gemacht“, schimpft Maurer. Der im Übrigen nicht glaubt, „dass Özdemir von nichts wusste“. Und dennoch: Auch wenn viele Landwirte sich wünschten, dass man noch lauter werde, findet Maurer: „Wir sollten nicht demonstrieren wie die Franzosen.“ Um dann ganz klarzuziehen: „Wir hier in Deutschland machen keinen Aufstand, wir machen von unserem Grundrecht auf Demonstrationen Gebrauch.“ Und weil auch in Hechingen Kritik an der Darstellung der Einkommen von Landwirten laut wird, stellt sich Maurer in der Stadthalle demonstrativ gleich mehrfach vor „das hohe Gut der Pressefreiheit“. Alexander Schäfer, Kreisobmann beim Bauernverband im Zollernalbkreis, sagt später, nach Maurers Rede: „Diese Demokratie-Aussagen sind mir noch wichtiger als die fachlichen Aussagen.“ Schließlich ist Maurer nach Hechingen gekommen, um über Landwirte in der Mitte der Gesellschaft zu sprechen. Und Schäfer selbst legt seit Beginn der Bauernproteste großen Wert auf die Abgrenzung zu „Trittbrettfahrern“, betont auch am Samstag: „Wir setzen uns für demokratische Werte ein. Wir sind überzeugte Europäer.“

Zurück an den Tisch: Landesbauernverband kündigt in Hechingen Ende der Traktoren-Proteste an

© Michael Würz

Pflichttermin in einigen Politikerkalendern: Abgeordnete aus Brüssel, Berlin und Stuttgart, Bürgermeister und Ortsvorsteher lauschen Jürgen Maurers Worten aus der ersten Reihe.

Man habe „größte Sympathien“ mit den Bauerndemos, versichert unterdessen Zollernalb-Landrat Günther-Martin Pauli. Der auch erklärt, wieso die Kommunalpolitik – etwa mit Balingens OB Dirk Abel, Rosenfelds Bürgermeister Thomas Miller, Burladingens Bürgermeister Davide Licht und Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn – an diesem Tag so stark vertreten sei: „Für uns ist es nötig, zum Ausdruck zu bringen, dass wir Ihr tägliches Geschäft respektieren und anerkennen.“ Dann will der Landrat wissen, wer von den Anwesenden im Saal sich – Stichwort Wahljahr – denn bereits kommunalpolitisch engagiere. Einige Hände gehen nach oben.

Cindy Holmberg (Grüne): „Ich wurde bei Demos und Mahnfeuern beleidigt und angeschrien“

Auch Cindy Holmberg, Landtagsabgeordnete der Grünen für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen, tritt am Samstag ans Mikrofon, berichtet kritisch: „Ich war bei Demos und Mahnfeuern, dort musste ich mich beleidigen und anschreien lassen.“ Und verspricht: „Trotzdem kämpfen wir weiter für die Landwirtschaft.“ Unbequemen Fragen aus dem Saal muss sich in Hechingen unterdessen der FDP-Landtagsabgeordnete für Hechingen-Münsingen, Rudi Fischer, stellen. Stein des Anstoßes: Aussagen von Bundesfinanziminister Christian Lindner (FDP). Fischer beschwichtigt. Tenor: Nicht alles, was im Bund gesagt werde, finde auch die Zustimmung im Land. Ganz überzeugend wirkt das nicht auf die Gäste, einige lachen.

Martin Rosemann (SPD) äußert Verständnis für den Unmut

Auch Dr. Martin Rosemann, Bundestagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen, ergreift am Samstag das Wort: „Ich bedanke mich für alle, die für die Demokratie auf die Straße gehen.“ Und, auch dies: „Ich verstehe den Unmut darüber, dass Sie von den Kürzungsplänen so kurzfristig erfahren haben.“ Rosemann: „Es sollte erst Gespräche geben.“ Zugleich sei er sehr erfreut, dass sich die Kreisbauernverbände in Tübingen und im Zollernalbkreis so klar „von rechtsextremen Trittbrettfahrern distanzieren“. Die AfD, im Übrigen, sei „kein guter Partner für die Landwirtschaft“.

Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn hat die Lacher auf seiner Seite

Mit einem (Nicht-)Seitenhieb in Richtung Berlin hat in Hechingen unterdessen der Gastgeber, Bürgermeister Philipp Hahn, die Lacher auf seiner Seite: „Hechingen ist eine Fasnetshochburg, und die Stadthalle bereits närrisch geschmückt“, stellt er fest. Ganz allein die Pflicht zur Neutralität verbiete ihm an dieser Stelle einen Seitenhieb auf „Narren in Berliner Büros“ (der dennoch treffsicher sitzt).

Diesen Artikel teilen: