Hechingen

Führerscheindelikt ja, Marihuana-Vergehen nein: Teilamnestie bei Hechinger Berufungsprozess

22.05.2024

Von Klaus Irion

Führerscheindelikt ja, Marihuana-Vergehen nein: Teilamnestie bei Hechinger Berufungsprozess

© LG

Im Schwurgerichtssaal des Hechinger Landgerichts spielte am Mittwoch das neue Cannabis-Gesetz eine nicht unerhebliche Rolle.

Neun Monate Knast für eine Fahrt ohne Führerschein auf einem Kleinkraftrad? Gibt es nicht? Doch, hätte es beinahe gegeben. Wie es dazu kam, warum es letztlich bei einer Geldstrafe blieb und was das neue Cannabis-Gesetz mit all dem zu tun hat, lesen Sie hier.

„Dieses Mal muss es klappen, sonst scheppert’s, die Einträge ins Bundeszentralregister laufen bei Ihnen ja über.“ Ein unmissverständlich mahnender und dennoch resümierend wohlwollender Schlusssatz, den der Vorsitzende Richter am Landgericht Hechingen, Albrecht Trick, einem 38-Jährigen aus einem Nachbarlandkreis ins Stammbuch schrieb.

Noch nicht rechtskräftig

Vor Gericht stand der in Ostfildern geborene und Stuttgart aufgewachsene Möbelpacker wahrlich nicht zum ersten Mal. Die erste Straftat beging er mit 15 Jahren. Bis heute hatte er 24 Strafverfahren am Hals. Diebstahl, Raub, Bedrohung, Erpressung, Körperverletzung, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Fahren ohne Führerschein: Die Liste ist lang. Aktuell steht der Vater dreier Kinder unter doppelter Bewährung. Und doch verließ er am Mittwoch das Hechinger Landgericht vorerst als freier Mann, der zu 60 Tagessätzen à 10 Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft könnte noch Revision beantragen.

Ziel, Bewährung zu erhalten

In Tränen aufgelöst, schloss er im Gerichtssaal seine Verlobte in die Arme, er hatte wohl selbst nicht mehr daran geglaubt, dass er keine Gefängnisstrafe erhält. Sein einziges Ziel, weswegen er überhaupt in Berufung gegangen sei, sei deswegen auch gewesen, zumindest eine erneute Bewährung zu erhalten. Das Amtsgericht Hechingen hatte ihn nämlich im November 2023 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Führerscheins und einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zu zwei Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Hinzugekommen wären dann noch die beiden Bewährungsstrafen von 4 Monaten beziehungsweise 3 Monaten Haft. Ergo 9 Monate hinter Gitter.

Nach Ansicht der Staatsanwältin wäre dies auch die angemessene Strafe für den jetzt Verurteilten gewesen. Sie plädierte dafür, die Strafe aus der ersten Instanz aufrechtzuerhalten. „Denn Sie haben den Ernst der Lage trotz mehrerer Jugendstrafen und Haftstrafen im Erwachsenenalter immer noch nicht erkannt.“ Von ihrer Strafforderung nach 2 Monaten Haft ohne Bewährung ließ die Staatsanwältin auch nicht ab, obwohl sie zuvor im Prozess zugestimmt hatte, den Vorwurf des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz fallenzulassen.

Von Geburt an einen Hirntumor

Tatsächlich war der einst als angelernter Koch Tätige nicht nüchtern, als er nächtens auf dem Hechinger Obertorplatz von einer Polizeistreife kontrolliert wurde. Er hatte zuvor Marihuana konsumiert und auch 8,6 Gramm noch bei sich. Cannabis-Konsum gehörte für den Mann zum Alltag. Er bekam es auf Rezept. Grund: Ein Hirntumor, den er von Geburt an im Kopf hat „und der bei mir immer wieder zu einem Tremor führen kann“.

Hätte der Mann sich sein Cannabis tatsächlich stets legal in einer Apotheke geholt, wäre der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz gar nicht zum Tragen gekommen. „Den Stoff aus der Apotheke konnte ich mir aber kaum leisten.“ Deshalb sei er auf den preisgünstigeren Stoff, der auf der Straße illegal vertickt wird, ausgewichen.

„Jetzt in der Apotheke günstiger“

Dann aber kam Gesundheitsminister Karl Lauterbach und setzte mit seinen Kollegen der Ampelkoalition das Versprechen um, Cannbis-Anbau und -Konsum in begrenzten Mengen und unter bestimmten Vorgaben zu erlauben. „Heute ist der Stoff in der Apotheke für mich günstiger als der Stoff von der Straße“, ließ der Angeklagte Richter Trick wissen.

Und so kam das neue Cannabis-Gesetz dem Mann ohne Führerschein doppelt zugute. Denn seine 8,6 Gramm, die man in der Tatnacht bei ihm gefunden hatte, fallen inzwischen wohl unter die Cannabis-Amnestie. „Um diese Sache juristisch nicht zu kompliziert zu machen, schlage ich vor, dass wir den Vorwurf des Betäubungsmittel-Verstoßes nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung fallen lassen“, so Richter Trick. Dieser besagt, dass bei mehreren vorgeworfenen Taten eine Tat, die dabei „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“, aus dem Gesamttaten-Komplex herausgenommen werden kann. So geschah es dann auch.

Verteidiger war verhindert

Ein Plädoyer eines Verteidigers gab es am Mittwoch nicht, da der Anwalt des Angeklagten anderweitig einen unaufschiebbaren Termin gehabt habe, wie er das Gericht und seinen Mandanten hatte wissen lassen. Also übernahm der Beschuldigte seine Verteidigung selbst. Er verwies darauf, dass er sich längst gebessert habe. Was ihm Richter Trick insoweit bestätigte, als die Zeiträume zwischen begangenen Straftaten in den vergangenen Jahren immer größer wurden. „Und zuletzt eher auch in die Kategorie Bagatellen gefallen sind.“

Der Angeklagte jedenfalls meinte, er habe, wenn es zu einer Gefängnisstrafe kommen sollte, „die Aussetzung zur Bewährung verdient“. Dass es letztlich gar nicht soweit kam, wurde ja bereits erwähnt. Denn das Gericht sah weder „eine generalpräventive Notwendigkeit“ für eine erneute Gefängnisstrafe noch „eine spezialpräventive“, weil er auf andere Art und Weise nicht mehr zu beeindrucken sei. „Wir haben nicht das Gefühl, dass Sie so weitermachen wollen“, betonte der Vorsitzende Richter, beendete seine Urteilsbegründung aber mit der eingangs erwähnten deutlichen Mahnung.

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