Zollernalbkreis

„Wir hören uns zu, wir beten miteinander“: Orthodoxes Gemeindeleben in Balingen in Kriegszeiten

17.03.2022

Von Klaus Irion

„Wir hören uns zu, wir beten miteinander“: Orthodoxes Gemeindeleben in Balingen in Kriegszeiten

© Orthodoxe Gemeinde Balingen

Die orthodoxe Gemeinde Balingen ist Anlaufstelle für ukrainische wie russische Gläubige.

Der Krieg in der Ukraine ist das pure Leid vieler Menschen – und das auf ukrainischer, aber auch auf russischer Seite. Diese Erfahrung macht Michael Buk derzeit täglich ganz persönlich. Er ist Pfarrer der in Balingen beheimateten und Gottesdienste abhaltenden russisch-orthodoxen Gemeinde. Der ZAK hat mit ihm gesprochen.

„In unserer Gemeinde sind Menschen mit russischen Wurzeln und Menschen mit ukrainischen Wurzeln, alle eint die Ablehnung dieses von Wladimir Putin ausgelösten Krieges“, sagt Pfarrer Buk. Mithin gebe es auch keine gegenseitigen Vorwürfe oder gar Streit bei Gottesdiensten oder sonstigen Begegnungen.

Buk erfreut übers Bischofswort

Buk hat sich sehr darüber gefreut, dass auch der orthodoxe Bischof seiner Diözese, Metropolit Jean Renneteau von Dubna, sich dieser Tage in einem offenen Brief „mit deutlichen Worten gegen den Krieg ausgesprochen hat“.

Mehr noch: Der in Paris residierende Bischof des zu Moskau gehörenden Erzbistums der russisch-orthodoxen Kirchen in Westeuropa hat in seinem offenen Brief den obersten Kirchenherrn der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., aufgefordert, seine Stimme gegen „diesen abscheulichen und absurden Krieg“ zu erheben. So zitiert die Katholische Presseagentur Österreich den Bischof.

Die persönlichen Sorgen und Nöte

„Der Weg unserer Gemeinde ist der des Betens für den Frieden, aber auch der des sich gegenseitig Zuhörens“, betont Erzpriester Buk. Ukrainischstämmige wie russischstämmige Gemeindemitglieder berichteten aus ihrem ganz persönlichen Umfeld. Und von den ganz persönlichen Sorgen und Nöten, die Putins Krieg über sie gebracht hat.

„Wir hören uns zu, wir beten miteinander“: Orthodoxes Gemeindeleben in Balingen in Kriegszeiten

© Orthodoxe Gemeinde Balingen

Michael Buk ist seit vielen Jahren Pfarrer der orthodoxen Gemeinde Balingen.

Ob Flucht und Vertreibung auf ukrainischer Seite oder Sanktionen gegen Russland – „das Leid gerade der kleinen Leute, ist unermesslich“, sagt Pfarrer Buk. Man stehe den vor Kriegswirren flüchtenden Menschen mit Rat und Tat zur Seite. „Wir können beispielsweise auch Übersetzerdienste anbieten – ukrainisch wie russisch.“

„Es ist Putins Krieg“

Buk ist aber immer wieder einmal auch seelsorgerisch gefragt. So wie im Fall eines kleinen russischstämmigen Jungen „der mich anrief und fragte, warum der Westen seine Oma umbringe“. Hintergrund der Geschichte: Die Eltern des Jungen können seiner Großmutter kein Geld mehr nach Russland überweisen, das sie dringend für den Kauf lebensnotwendiger Medikamente braucht.

„Wir müssen uns in solchen Situationen immer wieder klar machen: Es ist nicht der Krieg der Russen, es ist Wladimir Putins Krieg“, betont der Erzpriester. Er selbst habe nicht damit gerechnet, dass der russische Präsident tatsächlich über die Kriegsdrohungen gegen die Ukraine hinausgehen würde. Jetzt wiederum rechnet er damit, „dass dieser Krieg uns alle noch lange beschäftigen wird“.

Hintergrund

Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Balingen gehört, wie erwähnt, zum Erzbistum der russisch-orthodoxen Kirchen in Westeuropa mit Sitz in Paris. Gründet wurde dieses Erzbistum einst – nach der russischen Revolution – im Jahr 1921 von russischen Emigranten und hatte seinen Sitz in Berlin.

Da schon bald darauf immer mehr russische Emigranten nach Paris übersiedelten, wurde der Sitz des Erzbistums in die französische Hauptstadt verlegt.

Drei orthodoxe Diözesen

Heute gibt es drei russisch-orthodoxe Diözesen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Wobei die hiesige Diözese eine Besonderheit darstellt. Deren Einzugsgebiet verläuft länderübergreifend in großen Teilen Westeuropas.

Die Gemeinde des Erzpriesters Michael Buk, der auch gleichzeitig Dekan für Deutschland ist, hat als einzige deutschsprachige Gemeinde seiner Kirche in der weiteren Umgebung rund 100 aktive Mitglieder von Nordbaden bis zum Bodensee.

Gottesdienst in Friedhofskirche

Die Gottesdienste feierte die Gemeinde vor der Corona-Pandemie ausschließlich im Balinger Siechenkirchle. Mit Beginn der Pandemie ermöglichte es Balingens evangelischer Dekan, Beatus Widmann, dass seine orthodoxen Glaubensbrüder- und -schwestern für ihre religiösen Feiern vorübergehend auch die Balinger Friedhofskirche nutzen können.

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