Hechingen

„Es stehen epochale Umbrüche an“: Diskussion in Hechingen verdeutlicht Probleme im Handwerk

18.03.2023

Von Julia Siedler, Von Michael Würz

„Es stehen epochale Umbrüche an“: Diskussion in Hechingen verdeutlicht Probleme im Handwerk

© Julia Siedler

Wie geht es weiter mit dem Handwerk? Die Besucher in der Stadthalle Museum verfolgen am Freitagabend gespannt die Diskussion.

Betriebe müssen ihre Öffnungszeiten einschränken oder geben ihr Geschäft auf, Projekte können nicht umgesetzt werden: Wie ernst ist die Lage im Handwerk? Unter dem Motto „Wir suchen Fachkräfte für die Zukunft“ hat der CDU-Stadtverband Hechingen am Freitagabend zur Podiumsdiskussion in die Stadthalle Museum geladen.

Anke Traber, Chefin der Arbeitsagentur Balingen, warnt vor einfachen Antworten: „Es gibt nicht nur eine Ursache und auch nicht nur eine Lösung.“ Sie gibt zu bedenken, dass die Last der Ausbildung in den Betrieben liege. „Da muss man mal fragen, ob diese das leisten können.“ Traber fragt sich außerdem, ob die Abschaffung der Schulempfehlung die richtige Entscheidung war: „Der Trend geht zum schnellstmöglichen, höchsten Schulabschluss.“

„Es stehen epochale Umbrüche an“: Diskussion in Hechingen verdeutlicht Probleme im Handwerk

© Julia Siedler

Prominent besetztes Podium (von links): Jürgen Gress, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Zollernalb, Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn, Moderatorin Denise Maurer, Anke Traber, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Balingen und Thomas Bogenschütz, Vorsitzender des Vereins Medical Valley.


Und, nächster Punkt: Rollenbilder. „Wie oft haben Sie mit Ihrer Tochter schon mal Autoreifen gewechselt?“, fragt sie. „Frauen haben unglaubliches Potenzial, das muss schon zuhause gefördert werden.“ Die Chefin der Arbeitsagentur in Balingen weiß: „Wir werden nur zwei von drei Arbeitern ersetzen können, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen.“ Auch deshalb gelte ganz besonders: „Wenn es uns nicht gelingt, uns den Bedingungen der Generation Z zu stellen, dann haben wir verloren.“

Es gibt nicht einen Lösungsweg

Dass es dafür den einen Lösungsweg nicht gibt, sieht auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut so. „Wir müssen gemeinsam an den vielen Stellschrauben drehen.“ Hoffmeister-Kraut sieht dann auch „epochale Umbrüche“ auf die Arbeitswelt zukommen. Das größte Problem, das ihr bei regelmäßigen Gesprächen in Unternehmen genannt werde, sei neben der Bürokratie ganz klar der Fachkräftemangel, sagt die Ministerin. Wie auch Arbeitsagentur-Chefin Traber mahnte Hoffmeister-Kraut an, Rahmenbedingungen für Frauen zu schaffen, dass diese in ihren angestammten Berufen arbeiten können. Hoffmeister-Kraut warnt davor, dass Wohlstand und Entwicklung verloren gehen könnten. „Wir dürfen nicht mehr das Studium als alleinigen Königsweg propagieren“, fordert die Ministerin. Sie weiß: „Der Erfolg vieler Geschäftsführer beruht rein auf ihrer beruflichen Ausbildung.“

Gress: „Ich brauche Bäcker, Metzer, und so weiter.“

Jürgen Gress, Chef der Kreishandwerkerschaft, sagte: „Wir brauchen weniger Häuptlinge als Indianer. „Ich brauche Bäcker, Metzger, und so weiter.“ Gress begrüße zwar die Durchlässigkeit des derzeitigen Schulsystems, „man kann durch das System marschieren“, bedauert aber: „Die Leute fehlen uns in der dualen Ausbildung.“ Gress fragt kritisch: „Inwiefern spielt die Egalisierung durch die Gemeinschaftsschule eine Rolle?“

Der Fachkräftemangel ist auch ein Standortwettbewerb

Der Fachkräftemangel sei auch ein Standortwettbewerb, sagt Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn. Er und der Gemeinderat seien gefordert, kreativ zu werden. Die Frage ist: „Wie schaffen wir es, attraktiv zu sein?“ Hahn nennt für Hechingen eine „tolle Schullandschaft, Freizeiteinrichtungen, Kinderbetreuung“, verwies auch auf den Beschluss des Gemeinderats tags zuvor, der gleich drei neuen Kitas grünes Licht gegeben hatte. „Aber wir haben kein Personal“, sagt Hahn. Ändern könnte das die „praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher“ (PiA), eine attraktive Alternative zur klassischen Erzieher-Ausbildung, die vergütet wird und sich auch für Quereinsteiger anbietet.

Geld spielt eine große Rolle

Überhaupt spiele Geld eine große Rolle, betont auch Jürgen Gress: „Schon jetzt werden im Ausbildungsbetrieb Löhne bezahlt, über die der Bachelor staunt“, merkt er an. Könnte der Fachkräftemangel also auch eine Chance sein? Ja, findet Thomas Bogenschütz, Vorsitzender des Vereins Medical Valley in Hechingen. Dann nämlich, „wenn Unternehmenskulturen entstehen, die auch nachhaltig und gesund für die Mitarbeiter sind“, sagt er.

„Die Generation Z macht sich mehr Gedanken übers Leben“

Ein Thema, das auch Arbeitsagenturchefin Anke Traber umtreibt: „Die Generation Z macht sich viel mehr Gedanken als wir, denkt darüber nach, wie sie sich das Leben generell vorstellt“, sagt sie. Und die die „Work-Life-Balance“ der „Work-Life-Seperation“ gegenüberstelle, also die radikale Trennung zwischen Berufs- und Privatleben.

Ohne Zuwanderung geht es nicht

Einigkeit herrscht bei den fachkundigen Diskutanten übrigens auch beim Thema Zuwanderung: Sie sei „zwingend für unseren Arbeitsmarkt“, stellte unter anderem Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut klar.

Diesen Artikel teilen: