Hechingen

Meinung zu Inklusion: „Wir zimmern uns täglich ein Brett vor ‘n Kopf“

29.04.2024

Von Olga Haug

Meinung zu Inklusion: „Wir zimmern uns täglich ein Brett vor ‘n Kopf“

© Olga Haug

Wie barrierefrei ist Hechingen?

ZAK-Redakteurin Olga Haug kritisiert, dass Inklusion in unserer Gesellschaft nicht stattfindet. Menschen mit Behinderung werden aktiv ausgeklammert.

Was bedeutet eigentlich Inklusion? Dass Kinder mit Behinderung in Regelkindergärten und Schüler mit Behinderung in Regelschulen dürfen? Ja – aber nicht nur. „Inklusion heißt, dass sich Menschen mit Behinderungen nicht an Systeme anpassen müssen, vielmehr, dass sich das System an die Bedürfnisse behinderter Menschen anpassen muss.“ So beschreibt es Ulrike Kapala, Vorsitzende des Vereins Downtown Hechingen.

+++ Lesen Sie dazu: Wie barrierefrei ist Hechingen? +++

Ähnlich formuliert es auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Es müssen Strukturen geschaffen werden, durch die sich alle Menschen unabhängig von unterschiedlichen Voraussetzungen einbringen können.“ Von diesen Strukturen sind wir aber, wenn wir ehrlich sind, noch weit entfernt.

Ein großer Teil unserer Gesellschaft wird schlicht ausgeklammert

Wenn man an seine eigene Schulzeit zurückdenkt: Wie viele Schüler hatte man in der Klasse sitzen, die geistig oder körperlich behindert waren? Auch heute tun sich Schulen und Kindergärten schwer. Was sicher nicht den Institutionen selbst angekreidet werden kann, sondern den eben nicht vorhandenen Strukturen.

Ein großer Teil unserer Gesellschaft wird schlicht ausgeklammert. Die Menschen werden an gesonderten Schulen unterrichtet und nach ihrer Schulzeit verbringen sie ihr Leben in gesonderten Werkstätten. Und dabei darf keineswegs Kritik an eben diesen Werkstätten geübt werden. Die Mitarbeiter leisten dort täglich zweifelsfrei Wertvolles. Der Punkt ist: Wir schließen aktiv diesen Teil aus unserem „normalen und gewohnten“ Umfeld aus.

Wir nehmen Menschen mit Behinderung nicht wahr

Menschen mit Behinderung finden in unserem Leben nicht statt – weil wir sie schlicht nicht sehen. Wir nehmen sie nicht wahr. Wenn ich nie einen Menschen mit Behinderung sehe, nie mit ihm rede – weil er eben keine Brötchen verkauft oder an der Supermarktkasse kassiert – er nie mit mir auf den Bus wartet, in den er ebenso problemlos einsteigen kann wie ich, dann werde ich mir seiner Existenz und seiner Bedürfnisse auch nicht bewusst.

Die Downtown-Vorsitzende Ulrike Kapala sagt es deutlich: „Wir können nicht mehr akzeptieren, dass ein Teil der Gesellschaft aufgrund einer Einschränkung ausgeklammert wird.“ Wenn also Inklusion in unseren Köpfen beginnen soll, dann muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden – und zwar nicht über das bloße Reden darüber, sondern über das Erleben und gemeinsames Handeln.

Wie viel Potenzial arbeitet täglich in den Werkstätten, weit entfernt von unserem täglichen, routinierten Alltag? Potenzial, das dort eingesetzt werden kann, wo es an Personal doch so dringend fehlt. Wir bauen uns selbst Tag für Tag Barrieren – und zimmern uns täglich das berühmte Brett vor ‘n Kopf.

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