Hechingen

Wie barrierefrei ist Hechingen?

29.04.2024

Von Olga Haug

Wie barrierefrei ist Hechingen?

© Olga Haug

An Gleis 2 und 3 am Hechinger Bahnhof gibt es ein Blindenleitsystem. Doch gehbehinderte Personen können die Gleise ohne fremde Hilfe nicht erreichen.

Ob Zugang zu den Gleisen am Bahnhof oder die Teilhabe an den Ferienspielen: Barrierefreiheit und Inklusion sind Thema in Hechingen. Wir haben mit dem Behindertenbeauftragten des Kreises, Josef Ungermann, gesprochen.

„Inklusion ist ein Prozess. Inklusion muss in die Köpfe der Verantwortlichen rein“, sagt Josef Ungermann. Unsere Zeitung traf den Behindertenbeauftragten des Landkreises Zollernalb am Hechinger Bahnhof. Wie barrierefrei ist die Zollernstadt und was bedeutet Barrierefreiheit überhaupt?

Ein Bahnhof, zwei Zuständigkeiten

Klar, dass sich der Bahnhof als Beispiel geradezu anbietet, fast schon aufdrängt. Hier gibt es drei Gleise, die auf zwei Eigentümer verteilt sind. Gleis 1 gehört der Deutschen Bahn. Von Barrierefreiheit ist dieses Gleis weit entfernt. Man erreicht es zwar problemlos, aber es hat weder ein taktiles Blindenleitsystem, noch ist es auf der richtigen Höhe. Die Höhe des Zugeinstiegs und das Niveau des Gleises passen nicht zusammen, das Gleis ist zu niedrig.

+++ Lesen Sie dazu: Meinung zu Inklusion: „Wir zimmern uns täglich ein Brett vor’n Kopf“ +++

„Ohne fremde Hilfe hat man keine Chance“

Auf Gleis 2 und 3 sieht es hingegen anders aus. Die Gleise sind im Besitz der SWEG (Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH). Hier gibt es ein Blindenleitsystem. Außerdem sind die Höhen so angepasst, dass man mit einem Rollstuhl mehr oder minder problemlos in einen Regionalzug steigen kann. In einen Interregio hingegen nicht, was mitunter am Zug selbst liegt – im Inneren des Zuges müssen erstmal Stufen bewältigt werden. Doch trotz der augenscheinlichen Barrierefreiheit auf Gleis 2 und 3 gibt es ein großes Problem: Man kommt nicht hin.

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Der Behindertenbeauftragte Josef Ungermann zeigt am Hechinger Bahnhof das Problem: Die Rollstuhlrampen sind zu steil.

Josef Ungermann zeigt uns das Problem vor Ort. Zu den Gleisen gelangt man über die Unterführung – viele Treppen runter und viele Treppen wieder rauf. Es gibt Rollstuhlrampen, „doch die sind zu steil“, betont Ungermann. „Ohne fremde Hilfe hat man keine Chance.“

Wann der Bahnhof barrierefrei wird, bleibt offen

Seit Ungermann seinen ehrenamtlichen Dienst als Behindertenbeauftragter des Kreises im Juli vergangenen Jahres angetreten ist, hat er viele Nachrichten aus der Hechinger Bevölkerung zum Bahnhof erhalten, sagt er im Gespräch mit dem ZAK. Das Thema liege ihm am Herzen: „Man muss auf jeden Fall was tun.“ Deshalb ist er aktiv geworden, hat Mails an die Deutsche Bahn und die SWEG verschickt. Und was sagen die Verantwortlichen? Konkret sei keiner geworden. Vonseiten der Deutschen Bahn hieß es zumindest, dass das Gleis auf die richtige Höhe angepasst werde, das sei im Bahnhofsmodernisierungsprogramm des Landes vorgesehen. Wann dies aber tatsächlich umgesetzt wird, bleibt offen.

Alle Verantwortlichen sollen an einen Tisch

Dass es hierzu keine konkrete Aussage gibt, ist für Ungermann in gewisser Weise verständlich, bedenkt man, dass im Zuge der Realisierung der Regionalstadtbahn der Bahnhof ohnehin umgebaut werden muss. Dennoch will Ungermann weiterhin versuchen, alle notwendigen Akteure an einen Tisch zu bringen, um zu erörtern, welche Maßnahmen kurzfristig für mehr Barrierefreiheit umgesetzt werden können.

„Wenn man im ÖPNV als Rollstuhlfahrer unterwegs ist, wird man verrückt!“

Der ehemalige Bürgermeister von Obernheim betont im Gespräch, dass man in jeder Stadt Verbesserungspotenzial findet. Das treffe nicht allein auf Hechingen oder den Zollernalbkreis zu. Und formuliert es deutlich: „Wenn man im ÖPNV als Rollstuhlfahrer unterwegs ist, wird man verrückt!“

Dabei können schon kleine Dinge helfen: Nicht auf dem Gehweg parken. Ein Appell an alle, bewusster im Umgang mit den Mitmenschen zu sein. Denn auf einem zugeparkten Gehweg hat weder ein Mensch im Rollstuhl, noch eine Person mit Kinderwagen eine Chance, durchzukommen. „Mit etwas Aufmerksamkeit im Leben können kleine Barrieren beseitigt werden“, sagt Ungermann, der auch durchaus klarstellt, dass es allein schon aufgrund der Topographie unmöglich sei, Städte wie Hechingen komplett barrierefrei zu gestalten – und nennt dabei positive Beispiele in der Zollernstadt: „Der neugestaltete Obertorplatz ist eine Variante, mit der man gut klarkommt.“ Außerdem sei Ungermann aktuell auch in Gesprächen mit der Stadt und den Architekturbüros, wie sich das Baugebiet Killberg entsprechend gestalten lässt.

Downtown Hechingen will mehr Inklusion bei den Ferienspielen

Regen Austausch hatte Ungermann ebenso mit dem Hechinger Verein Downtown. Der Verein ist ein Zusammenschluss von Familien mit behinderten Kindern sowie Menschen, die die Idee einer inklusiven Gesellschaft teilen. Aktuell geht es dem Verein vor allem um die Inklusion bei Ferienspielen. „Momentan entwickeln wir gemeinsam mit Ratzgiwatz und mit der Unterstützung der Aktion Mensch ein Konzept, wie wir behinderte Kinder gut und wirklich teilhabend an den Ferienspielen inkludieren können“, sagt Vereinsvorsitzende Ulrike Kapala auf Nachfrage unserer Zeitung. Inklusion bei den Hechinger Ferienspielen ist an sich nicht neu, sie soll aber optimiert werden. „Neben den regulären Ratzgiwatzleitern werden dringend sogenannte Inklusionsbegleiter gesucht“, sagt Kapala. Diese sollen Kinder mit Behinderung während der Ferienspiele begleiten.

Symbole und Sprachausgabegeräte für barrierefreie Kommunikation

Außerdem sollen die Projekte mit verschiedenen Symbolen und Sprachausgabegeräten ausgestattet werden, um Kinder mit geistiger Behinderung und eingeschränkter Lautsprache Zugang zu ermöglichen. Ein Beispiel hierfür findet sich unter anderem auf dem Spielplatz im Starzelpark: Dort, wo im April vergangenen Jahres die Inklusionsschaukel aufgestellt wurde, hilft eine sogenannte Kommunikationstafel, sich zu verständigen (siehe Foto).

Wie barrierefrei ist Hechingen?

© Olga Haug

Die Kommunikationstafel am Spielplatz im Starzelpark soll barrierefreie Kommunikation ermöglichen.

„Über diese Tafeln können Gespräche initiiert, Wünsche ausgedrückt und Ereignisse kommentiert werden. Dadurch kann Kommunikation für alle möglich werden“, erklärt Kapala. Denn auch in der gängigen Kommunikation gibt es Barrieren. Menschen mit geistiger Behinderung benötigen viel Visualisierung.

Kein geteerter Festplatz beim Irma-West-Kinderfest

Auch andernorts in Hechingen tut sich was. Wenn vom 12. bis zum 15. Juli im Herzen Hechingens das Irma-West-Kinderfest gefeiert wird, will man ebenso auf die Teilhabe aller Wert legen. Die Veranstalter haben sich Ungermann beratend ins Boot geholt. „Wir sind froh, dass es beim Landratsamt einen Ansprechpartner gibt, denn wir sind keine Experten zu dem breiten Themenfeld der Inklusion und Barrierefreiheit“, sagt Stefan Walter, Vorsitzender der Irma-West-Gemeinschaft.

Im vergangenen Jahr nahm erstmals Downtown beim Umzug teil und soll es auch in diesem Jahr wieder tun. Außerdem haben sich die barrierefreien Toiletten bewährt, sagt Walter. Was in diesem Jahr neu umgesetzt wird, wolle der Vorstand noch genau besprechen.

Eines steht aber schon fest: „Ein geteerter, vom Kies befreiter Festplatz wird weiterhin nicht Realität werden. Da kollidieren die Themen Barrierefreiheit, Kosten und Flächenversiegelung“, sagt Walter. Wenn auch dieser Umstand bedauerlich ist, sieht Walter den Erfolg in den kleinen Dingen: „Manchmal sind die kleinen Anpassungen schon Gold wert.“

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