Tieringen

Ein Zuhause auf Zeit: Tieringer Feriendorf nimmt unbegleitete jugendliche Geflüchtete auf

06.02.2023

Von Janine Lehleiter

Ein Zuhause auf Zeit: Tieringer Feriendorf nimmt unbegleitete jugendliche Geflüchtete auf

© Janine Lehleiter

Bernhard Deyhle steht am Eingang zum Tieringer Feriendorf. Hier werden bald maximal acht jugendliche Geflüchtete untergebracht.

Noch vor zwei Wochen hat sich Landrat Günther-Martin Pauli mit einem Appell hilfesuchend an die Öffentlichkeit gewendet. Es würden im Zollernalbkreis dringend Unterkünfte für geflüchtete Menschen gesucht. Nun informierte Bernhard Deyhle, Leiter des Tieringer Feriendorfes, in einem Pressegespräch darüber, dass zwei der Ferienhäuser in Tieringen vom Landratsamt dafür gemietet werden. Jedoch nur als Übergangslösung für höchstens drei Monate.

Manchmal geht es schneller als man denkt. Noch vor zwei Wochen hat der ZOLLERN-ALB-KURIER beim Feriendorf in Tieringen nachgefragt, ob es denkbar wäre, dass dort bald Geflüchtete untergebracht werden. Die Antwort vom Vorsitzenden des Vereins für Evangelische Familienferiendörfer in Württemberg, Tobias Kenntner, war ernüchternd: Diese Spekulation sei „nur heiße Luft“.

Zwei Wochen später sieht es jedoch anders aus, wie Bernhard Deyhle in einem Pressegespräch informierte. „Wir haben zugesagt, dass der Landkreis für eine befristete Zeit – maximal drei Monate – zwei unserer Ferienhäuser anmieten kann“, so der Feriendorfleiter.

Bis zu acht Geflüchtete in zwei Ferienhäusern

In einem Gespräch, das erst in der vergangenen Woche stattgefunden hat, habe sich das Tieringer Feriendorf mit dem Landratsamt darauf geeinigt, dass in zwei der 15 Häuser im Unterdorf bis zu acht geflüchtete Menschen aufgenommen werden. Man sei sich finanziell einig geworden, versicherungstechnisch wurde alles abgeklärt und die Gebäude auf einen Aufenthalt, der länger als eine Woche gehe, vorbereitet. Die Kosten übernehme der Landkreis, diese werden laut Bernhard Deyhle jedoch vom Bund erstattet.

Unterkunft für unbegleitete Minderjährige

Losgehen könnte es mit der Unterbringung sofort. „Wir warten täglich darauf, dass sie anrufen und sagen, morgen kommen sie“, so Bernhard Deyhle. Bei den Geflüchtete, die nach Tieringen kommen, handle es sich um sogenannte UMAs – „Unbegleitete minderjährige Ausländer“. Diese müssen laut Gesetz zum Schutz und zur speziellen Betreuung separat untergebracht werden, wie es der Feriendorfleiter erläutert.

Noch unbekannt, wer kommt

Pro Ferienhaus sollen vier von den 16- bis 18-Jährigen unterkommen, obwohl die Beherbergungskapazitäten höher seien. Das begründet der Bernhard Deyhle so: „Wir wissen nicht, wer kommt. Deshalb bekommen diejenigen Einzelzimmer.“ Die Leitung des Feriendorfs rechne damit, dass die erwarteten unbegleiteten Minderjährigen aus Syrien und Afghanistan stammen. Klar sei das jedoch auch noch nicht, lediglich, dass es sich nicht um ukrainische Menschen handle.

Nur eine Übergangslösung

Der Feriendorfleiter betont bei allem Optimismus aber, dass diese Vereinbarung lediglich eine Hilfe in einer akuten Zeit sei. Das heißt, der Landkreis suche noch weiterhin nach geeigneten Unterbringungsstätten für geflüchtete Menschen. „Wir haben das aber aus der gesellschaftlichen Verantwortung heraus so entschieden. Wir können hier nicht Häuser leer stehen lassen, wo andere auf der Straße stehen“, bezieht Bernhard Deyhle Stellung.

Ideal sei das Feriendorf wie auch andere Stätten im ländlichen Raum für eine Unterkunft für Geflüchtete ohnehin laut Bernhard Deyhle nicht. Zwar seien die Bushaltestelle und damit der Weg zur Schule nur fünf Minuten entfernt, doch Tieringen biete keine Einkaufsmöglichkeit, sodass ein eigenständiges Leben für „Fremde“ hier gar nicht so einfach sei.

Unterstützung durch Diasporahaus Bietenhausen

Abhilfe schaffe die Unterstützung durch das Diasporahaus Bietenhausen. „Eine oder zwei Personen von dort werden mehrere Stunden die Woche hier sein. Das Diasporahaus ist qualifiziert und erfahren, damit sich wir dann gut aufgestellt“, so Bernhard Deyhle. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden beim Einkauf und der Alltagsbewältigung helfen, aber auch eine Art Programm für die Jugendlichen zusammenstellen. Das Feriendorf stelle dafür aber die Räumlichkeiten zur Verfügung.

Tieringerinnen und Tieringer reagieren positiv

In der vergangenen Woche habe außerdem ein Gespräch mit Ortsansässigen wie beispielsweise den Tieringer Vereinen stattgefunden. „Wir haben auch das DLRG angesprochen und gefragt, ob die in unserem Schwimmbecken einen Schwimmkurs anbieten können. Aber wer weiß, vielleicht können alle acht ja schon schwimmen“, so Bernhard Deyhle. Auch eine Zusammenarbeit mit der Offenen Jugendarbeit Tieringen hält der Feriendorfleiter für möglich.

Der allgemeine Tenor in der Informationsveranstaltung sei ein positiver gewesen. Das Diasporahaus habe sich vorgestellt und das Jugendamt über alles Wichtige aufgeklärt. „Der Ort ist durch das Feriendorf und die Tagungsstätte an Fremde gewöhnt“, so Bernhard Deyhle. Anders als in Dotternhausen, wo sich der Gemeinderat jüngst gegen eine Unterbringung von UMAs entschied (wir berichteten), lag die Entscheidung in Tieringen nur beim Feriendorf als Vermieter.

Nicht immer umsetzbar

„Bei uns ist bis Ostern ‚Saure-Gurken-Zeit‘, in der wir nicht voll belegt sind“, so Bernhard Deyhle im Pressegespräch. Den Rest des Jahres, vor allem in der bundesweiten Ferienzeit, wäre so eine Vereinbarung nicht so einfach umzusetzen. Die Leitung des Tieringer Feriendorfes hat dann meistens volle Belegungsbücher vor sich liegen, wie auch schon bei der Nachfrage durch den ZOLLERN-ALB-KURIER zwei Wochen zuvor argumentiert wurde.

Ein Zuhause auf Zeit: Tieringer Feriendorf nimmt unbegleitete jugendliche Geflüchtete auf

© Janine Lehleiter

Das Feriendorf ist zwar ganzjährig geöffnet und besonders an den bundesweit über 20 Ferienwochen ausgebucht. Moment herrscht dort aber „Saure-Gurken-Zeit“ und viele Ferienhäuser stehen leer.

Das Jahr 2022 sei jedoch ein „super Jahr und ganz besonders gewesen“, so Bernhard Deyhle. Eigentlich sei die Tourismusbranche noch von der Pandemie gezeichnet gewesen, doch in Tieringen sei davon nichts zu spüren gewesen: „Wir waren so gut ausgebucht wie noch nie.“

Volle Häuser durch Förderprogramm

Grund dafür sei ein Förderprogramm des Bundes namens „Corona-Auszeit für Familien“ gewesen. Dieses richtete sich an Familien aus belasteten Familiensituationen, seien es Alleinerziehende, welche mit niedrigem Einkommen oder etwa mit einem Kind mit Behinderung.

„In den ersten Wochen hatten wir schon Tausende von Anfragen“, so Bernhard Deyhle über das Förderprogramm. 750 Familien mit circa 28.000 Übernachtungen nutzten schließlich das Angebot, im Tieringer Feriendorf eine unbeschwerte Zeit zu genießen. „Nach Corona etwas aufzuholen, war für uns als Feriendorf natürlich toll. Aber vor allem war es toll für die Familien. Wir hatten Familien hier, die hatten ein größeres Ferienhaus als ihr Zuhause“, schwärmt Bernhard Deyhle.

Zielgruppe des Feriendorfes: Familien in schwierigen Situationen

Er habe so beobachten können, dass diese Familien es in der Pandemie noch schwerer hatten als andere und dass die Schere in der Gesellschaft nach der Krisenzeit noch mehr auseinandergehe als zuvor. „Unser Ziel ist es, Familien in schwierigen Lebenssituationen Ferien zu ermöglichen“, so Bernhard Deyhle.

Familienbildungsfreizeiten in Tieringen

Die Maßnahme lief zwar Ende des Jahres 2022 aus. Für 2023 und 2024 gebe es vom Land Baden-Württemberg ein Programm mit dem Namen „Stärker nach Corona“. Auch hier sei das Tieringer Feriendorf mit im Boot. In den Sommerferien findet in diesem Rahmen die Familienbildungsfreizeit „Der Natur so nah“ statt, die sich an verwaiste Familien, in denen ein Elternteil verstorben ist, richtet. Im Herbst gibt es eine weitere mit dem Titel „Zeitinsel“, dann aber für Familien mit Suchtbelastung.

Bei beiden Angeboten sei laut Bernhard Deyhle derzeit noch Platz. Eine dritte Familienbildungsfreizeit für Familien mit einem Kind mit einer Behinderung sei schon ausgebucht. Alle drei werden von der Regierung gefördert und sind deshalb finanziell erschwinglich. Ergänzend dazu bietet das Feriendorf die Freizeit „Mütter und Väter in starker Verantwortung“ für alleinerziehende Elternteile an. „So können wir den jeweiligen Elternteil etwas entlasten und Erholung ermöglichen“, so Bernhard Deyhle.

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