Hechingen, Zollernalbkreis

Andrang ist zu hoch – Integrationskurse im Kreis platzen aus allen Nähten

17.01.2024

Von Olga Haug

Andrang ist zu hoch – Integrationskurse im Kreis platzen aus allen Nähten

© Olga Haug

Sie haben einen der begehrten Plätze in einem Integrationskurs bekommen. Dozentin Ekaterina Janusch (rechts) gibt seit 2016 Kurse an der Vhs Hechingen.

Allein die Volkshochschule Hechingen bietet sieben Integrationskurse an, doch das Angebot reicht bei weitem nicht aus. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sind es noch mehr Menschen, die einen Kurs besuchen wollen. Doch es fehlt an Dozenten und an Räumen.

Um 10 Uhr morgens ist es ruhig auf den Gängen der Volkshochschule Hechingen. Kein Wunder, sitzen die Kursteilnehmer doch bereits auf ihren Plätzen und lauschen den Worten von Ekaterina Janusch. Janusch ist Dozentin und gibt seit 2016 Kurse an der Vhs. An diesem Morgen findet ein ganz bestimmter Kurs statt: ein Integrationskurs, für den Dozenten eine besondere Ausbildung benötigen – vorgegeben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

120 Personen auf Warteliste der Vhs Hechingen

Integrationskurse sind begehrt, vor allem seit es vermehrt Geflüchtete bedingt durch den Ukrainekrieg gibt. „Wir bieten aktuell sieben Integrationskurse an“, sagt Vhs-Leiterin Sarah Willner im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER.

Mehr als sieben Kurse sind aber nicht drin. Dafür reichen die Kapazitäten nicht, betont Willner, denn die sieben sind schon zwei Kurse mehr als üblich. Das Kursangebot sei enorm für solch eine kleine Volkshochschule, erklärt Willner.

Dennoch reicht das Angebot nicht aus. Wer einen Integrationskurs absolvieren will, der kommt erstmal auf eine Warteliste – und wartet unter Umständen ein Jahr lang auf einen der begehrten Plätze. Die Warteliste der Vhs Hechingen zählt derzeit 120 Menschen.

Leben-in-Deutschland-Test ist Einbürgerungstest

Am Ende des Kurses steht ein umfangreicher Test für die Teilnehmer an: der sogenannte Leben-in-Deutschland-Test. Und dieser ist kein geringerer als der allgemein bekannte Einbürgerungstest – mit 30 von 300 möglichen Fragen rund um die Rechts- und Gesellschaftsordnung und die Lebensverhältnisse in Deutschland.

Wer ihn besteht, kann die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Der Einbürgerungstest kann als solcher auch separat gemacht werden – er steht nicht in direktem Zusammenhang mit einem Integrationskurs.

„Es gibt Menschen in Deutschland, die schon lange hier leben und sich entscheiden, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen“, nennt Willner als ein Beispiel zur Unterscheidung zwischen einem Integrationskurs und dem Einbürgerungstest.

Menschen aus Stuttgart und Karlsruhe kommen zum Test nach Hechingen

Im Jahr 2022 hat die Vhs beim BAMF beantragt, den Einbürgerungstest anbieten zu dürfen und im selben Jahr auch genehmigt bekommen. Warum? Weil auch hier der Andrang merklich hoch war.

„Es kamen schon Menschen aus Stuttgart und Karlsruhe zu uns“, beschreibt Willner die Dimensionen. Seit der Einführung des Einbürgerungstests haben ihn 86 Personen an der Hechinger Vhs absolviert.

Über die Durchfallquote kann Willner nichts sagen. Die Auswertung übernimmt das BAMF, das ebenso die Personen direkt informiert. Die Vhs bekommt davon nichts mit. Da aber keiner der Absolventen wiedergekommen sei, geht Willner zumindest davon aus, dass die Durchfallquote gering ist.

Mangel an Kursen betrifft vor allem ländlichen Raum

Weitaus mehr wollen hingegen einen Integrationskurs in Hechingen besuchen. 300 Menschen waren es im vergangenen Jahr. Dass der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine bedeutende Rolle spielt, zeigen die Zahlen: Im Vergleich waren es im Jahr 2019 nur 182 Menschen, die einen der Kurse besucht hatten.

Der Mangel an Kursen ist freilich kein exklusives Problem in Hechingen. Der gesamte Zollernalbkreis ist davon betroffen, wie auch ganz Baden-Württemberg – insbesondere der ländliche Raum, sagt Kreissprecher Steffen Maier gegenüber unserer Zeitung. Die Nachfrage nach Deutschkursen, insbesondere nach Integrationskursen, übersteigt das Angebot im Zollernalbkreis, so Maier.

Quereinsteiger gehen lieber an Schulen

Gründe dafür sieht die Kreisverwaltung vor allem in fehlenden Dozenten: „Es findet aufgrund des Lehrermangels eine Abwanderung der Dozenten als Quereinsteiger in die Schulen statt“, erklärt Maier. Und es fehle schlicht an Unterrichtsräumen bei den Sprachkursträgern. In der Tat: Selbst wenn die Vhs Hechingen mehr Kurse anbieten wollte, sie könnte es schlicht nicht.

Strenges Reglement des Bundeamtes

Dass Schulen offensichtlich attraktivere Arbeitsbedingungen bieten, höre auch Jörg Würfel oft als Argument für fehlende Dozenten. Würfel ist Geschäftsführer des Jobcenters Zollernalbkreis.

Ganz so einfach scheint ihm die Erklärung aber nicht zu sein. Probleme für die fehlenden Lehrkräfte sehe er vor allem auch im Reglement des BAMF begründet. Wer einen Integrationskurs halten will, der muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen und zum Teil Zusatzqualifikationen erwerben (genaue Infos siehe Infokasten).

Das BAMF hat zwar die Zulassungsvoraussetzungen für Integrationsdozenten gelockert und Anfang vergangenen Jahres Ausnahmebedingungen festgehalten, genutzt hat das offensichtlich wenig – zumindest im Zollernalbkreis. „Von einem Träger habe ich erfahren, dass er dadurch keine einzige zusätzliche Lehrkraft gewinnen konnte“, sagt Würfel, dem das Thema auf den Nägeln brennt, wie er selbst gegenüber unserer Zeitung betont.

Jobcenter-Chef: „Kurse sind für Integration immens wichtig“

Nichtsdestotrotz sind für Würfel die vom BAMF geförderten Integrationskurse die wichtigste Säule für den Erwerb der deutschen Sprache: „Sie sind nicht nur für die Jobsuche, sondern auch für die Integration in die Gesellschaft immens wichtig.“ Dabei hält er fest, dass das Sprachniveau allein nicht ausschlaggebend ist, eine geeignete Arbeitsstelle zu finden – weshalb auch der Arbeitskreis Asyl in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter das Thema in einem aktuellen Projekt angeht.

Aber: Für manche Berufe wie Arzt oder Pflege, aber auch für die Aufnahme oder Fortführung eines Studiums ist das Erreichen eines bestimmten Sprachniveaus grundsätzlich zwingend erforderlich, sagt Würfel. Im Zollernalbkreis gibt es vier Träger, die Integrationskurse anbieten: DAA Albstadt, BBQ Balingen, Vhs Balingen und Vhs Hechingen. Seit 2005 bietet die Vhs Hechingen Integrationskurse an. Aktuell gilt ein Annahmestopp.

BAMF: Irreführende Aussagen zu freien Kursplätzen

Dabei vermittelt die Suchplattform des BAMF den Eindruck, dass noch reichlich freie Plätze vorhanden wären. „Die Inhalte müssen mit Vorsicht beurteilt werden“, sagt etwa die Kreisverwaltung. Auch Jörg Würfel kritisiert das Kursnavigationssystem des Bundesamtes.

Die Realität sei nämlich eine andere: „Es ist grundsätzlich natürlich gut, in seiner Aussage aber oft irreführend. Dort sind zum Beispiel Plätze in demnächst beginnenden Kursen als frei ausgewiesen, tatsächlich steht diesen Plätzen aber bereits ein Vielfaches an Wartenden gegenüber, die nur noch in den Kurs eingebucht werden müssen. Die Situation ist also bei weitem nicht so entspannt, wie es dort scheint“, sagt Würfel.

Gewaltiger Verwaltungsapparat

Die Vhs sieht sich also nicht nur mit einem zu hohen Andrang, sondern auch mit einem gewaltigen Verwaltungsapparat konfrontiert. „Wenn man durchblickt, macht’s Spaß“, sagt Elke Schmid gelassen. Sie verwaltet seit zwei Jahren die Integrationskurse an der Hechinger Volkshochschule, bringt auf dem Gebiet aber über 20 Jahre Erfahrung mit.

Anmeldungen, Anträge stellen, die richtigen Papiere einfordern, auf Genehmigungen aus dem Bundesamt für Migration warten – das umfasst lapidar den Aufwand hinter den Kulissen. Doch bevor überhaupt jemand einen Kurs besuchen darf, müssen die Sprachkenntnisse eingestuft werden. Dafür wird ein schriftlicher und mündlicher Test benötigt, vorgegeben vom BAMF.

Deutschkurse zur Überbrückung

Wer also denkt, Menschen mit dem Wunsch, einen Integrationskurs besuchen zu wollen, gehen einfach an die Infotheke der Vhs und bekommen einen Termin zugewiesen, der irrt – gewaltig. „Ich verstehe den Aufwand. Immerhin geht es um Bundesgelder“, nimmt Schmid den obligatorischen Verwaltungsaufwand in Schutz.

Damit die Wartenden die Zeit sinnvoll überbrücken können, gibt es Angebote unterschiedlicher Institutionen, so zum Beispiel niederschwellige Deutschkurse des Landratsamtes, Angebote des Arbeitskreises Asyl in Hechingen und des Jobcenters. Dieses hat eine Reihe von Maßnahmen mit „berufsorientierendem Deutsch“ eingerichtet, um zumindest ein bisschen Deutsch zu vermitteln. „Alle diese Angebote sind aber inhaltlich nicht mit den Integrationskursen zu vergleichen“, sagt Würfel.

Voraussetzung für Lehrkräfte: Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache

Laut BAMF müssen Lehrkräfte, die im Integrationskurs unterrichten, über eine Zulassung des Bundesamtes verfügen. Voraussetzungen dafür sind: Ein erfolgreich abgeschlossenes Studium Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Zweitsprache oder eine vom Bundesamt anerkannte gleichwertige fachliche Qualifikation. Deutschkenntnisse mindestens auf Sprachniveau C1.

Ausnahmeregelungen seit Februar 2023
Lehrkräfte können bereits während der Teilnahme an der Zusatzqualifizierung im Integrationskurs unterrichten. Masterstudierende der Fächer Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache mit einem allgemeinen Hochschulabschluss und nachgewiesenen Deutschkenntnissen auf Sprachniveau C1 in Verbindung mit einem Hochschulnachweis über mindestens zwei erfolgreich abgeschlossene Semester im Masterstudium.

Lehrkräfte mit einem Lehramtsabschluss für andere Fächer (außer Deutsch und moderne Fremdsprachen) ab dem vollendeten 60. Lebensjahr und nachgewiesener Sprachlehrerfahrung. (Die vollständige Liste der Voraussetzungen gibt es auf der Website des BAMF)

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