Balingen

Unterirdische Unannehmlichkeiten: Wer ist für Frommerns marode Kanalisation verantwortlich?

22.03.2024

Von Nicole Leukhardt

Unterirdische Unannehmlichkeiten: Wer ist für Frommerns marode Kanalisation verantwortlich?

© Büro ITR

Die Kanäle in Frommern gleichen einer Tropfsteinhöhle, hatte Immo Gerber vom Fachbüro ITR aus Neuhausen ob Eck erklärt. Aufnahmen aus dem Kanal zeigen, was er damit meint: Der Fachmann spricht von Versinterungen und Inkrustationen, hier in der Stauffenbergstraße.

Wer muss für welche Schäden im städtischen Kanalnetz haften? Frommerner Anwohner fürchten, dass sie bei der dringend anstehenden Sanierung nun zur Kasse gebeten werden. Sie sehen die Verantwortung bei der Stadt, weil die Kanäle nicht fristgerecht gewartet worden sind. Eine Spurensuche in Frommerns Untergrund.

Dramatischer hätte Immo Gerber vom Ingenieurbüro ITR aus Neuhausen ob Eck den Zustand der Frommerner Kanalisation kaum beschreiben können. Der Fachmann hatte Ende Januar den Frommerner Räten und der Verwaltung in der Ortschaftsratssitzung die Hiobsbotschaft überbracht, dass „das System unterdimensioniert, baulich mangelhaft und faktisch am Ende ist“.

Nach den starken Regenfällen im Mai des vergangenen Jahres hatten Anwohner einiger Straßenzüge in Frommern einmal mehr mit Überschwemmungen zu kämpfen. Sie hatten bei der Verwaltung darauf gedrängt, das aus ihrer Sicht defekte und zu klein dimensionierte Kanalnetz zu überprüfen. Mit der Aussage, die Rohre seien keinesfalls zu klein und das Netz an sich in Ordnung, wollten sie sich nicht länger zufriedengeben.

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Die Verwaltung beauftragte das Büro ITR aus Neuhausen ob Eck mit den Arbeiten. Dessen Kanalbefahrung im Herbst hatte dann schließlich den maroden Zustand der Rohre und Schachtbauwerke in seinem ganzen Ausmaß gezeigt. An vielen Stellen ist bereits Gefahr im Verzug.

Stadt ist seit 2001 zur Kanalkontrolle verpflichtet

Geregelt ist die Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung der unterirdischen Infrastruktur in der Eigenkontrollverordnung für Abwasseranlagen, wie Christopher Heck vom Gemeindetag Baden-Württemberg bestätigt. Darin sind auch konkrete Fristen vorgegeben. Demnach sind Kanalisationen „regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Die Überprüfungen und erforderliche Sanierungen sind nach wasserwirtschaftlichen Dringlichkeiten durchzuführen“. Christopher Heck sagt ganz konkret: „Beispielsweise hat die Überprüfung von Misch- und Schmutzwasserkanälen, die saniert oder schadensfrei sind und nicht in Wasserschutzgebieten liegen, alle 15 Jahre zu erfolgen.“ Für nicht sanierte Kanäle beträgt die Frist sogar nur 10 Jahre. Ein Intervall, das auch der Ingenieur aus Neuhausen ob Eck in seiner Beurteilung für angemessen erachtet hatte.

Der vorgeschriebene Wartungszeitraum wurde deutlich überschritten

Balingen allerdings hat vor der Überprüfung im Herbst 2023 zuletzt im Jahr 2002 einen Blick in die Frommerner Kanäle geworfen. Damals war das Büro ISAS aus Füssen beauftragt worden. Die Frist wurde also um mindestens 6 Jahre überschritten. Warum so lange gewartet wurde? Die Balinger Verwaltung schreibt auf ZAK-Nachfrage: „Aufgrund der ab 2001 in Kraft getretenen Eigenkontrollverordnung wurden erst ab diesem Zeitpunkt alle öffentlichen Kanäle in der Stadt regelmäßig befahren. Aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt noch fehlenden Kenntnisse in dieser damals neuen Materie und Verpflichtung zog sich der erste Turnus an Kanalbefahrungen und Sanierungen deutlich länger hin, als es die Verordnung vorsah. Mit dem aktuell laufenden Programm ist es unser Ziel, die verordneten Zeitrahmen zukünftig einzuhalten.“

2002 war die „Unterwelt“ noch in Ordnung

Dass die Kanäle 2002 umfassend geprüft worden sind, bestätigt die Betriebsdokumentation, in die die Verwaltung dem ZAK Akteneinsicht gewährt hat. In acht dicken Ordnern ist der Zustand jedes Rohrs und jedes Schachtbauwerks in Frommern, Dürrwangen und Stockenhausen akribisch aufgeführt. Erstaunlich dabei: Vor 21 Jahren war die Frommerner Kanalisation offenbar mustergültig in Schuss. In gerade einmal 10 Prozent der befahrenen gut 39 Rohrkilometer hat die Kamera damals Schäden festgestellt, 90 Prozent des Netzes waren schadensfrei. Damit lag Frommern sogar deutlich unterm Bundesdurchschnitt, für den das Fachbüro einen Beschädigungsgrad von 20 Prozent angegeben hatte.

Keiner weiß, wie die Schäden entstanden sind

Wie konnte die einst so solide Kanalisation innerhalb dieser zwei Jahrzehnte solch massive Schäden entwickeln? Eine Frage, die auch die Balinger Verwaltung nicht abschließend zu beantworten vermag. Pressesprecher Dr. Dennis Schmidt schreibt: „Warum sich das erhobene Schadensbild so gewandelt hat, kann heute nicht mehr abschließend nachvollzogen werden, da auf die damaligen Erhebungen nur in der eingesehenen Papierform zurückgegriffen werden kann.“ Zwar waren seinerzeit 26 Videokassetten entstanden, die zumindest in der Betriebsdokumentation erwähnt sind, der Stadt jedoch nicht vorliegen.

+++ Lesen Sie dazu: Teurer Ärger aus dem Untergrund: Warum Frommerner in die Röhre schauen (sollten) +++

Möglicherweise liege die Diskrepanz zwischen dem Zustand 2002 und 2023 auch an „der Weiterentwicklung der Erfassungstechnik, der Weiterentwicklung des Standes der Technik bei der Bewertung der Schäden oder der unterschiedlichen Bewertung der Schäden“, mutmaßt Dr. Dennis Schmidt.

Sanierungskosten sind heute fast dreimal so hoch

Auch die Kosten klaffen auseinander. Während 2002 noch von notwendigen Ausgaben in Höhe von rund 2,8 Millionen Euro ausgegangen worden ist, sprach der Fachmann im Januar von 8,5 Millionen Euro, ohne notwendige Straßenbauarbeiten für offene Sanierungen. Die Stadt sagt heute: „Ein Teil der Kanäle wurde damals mittels Inliner saniert. Neben der erheblichen Teuerungsrate in den letzten 22 Jahren ist darauf hinzuweisen, dass die in der Stadt Balingen insgesamt wünschenswerten Aufgaben in jedem Jahr das zur Verfügung stehende Budget überschreiten, weshalb im Rahmen der Haushaltsberatungen zwischen verschiedenen Projekten abgewogen werden muss. Daher kamen einzelne Maßnahmen nicht zur Umsetzung, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch auch nicht so hoch priorisiert waren.“

Hausanschlüsse sind das große Problem

Einigkeit immerhin herrscht in beiden Kontrollergebnissen darüber, dass schadhafte oder nicht fachgerecht installierte Hausanschlüsse das große Problem sind: Sie machen in beiden Betriebsdokumentationen das Gros der Schadensbilder aus. Von etlichen unfachmännisch eingebauten Stutzen hatte auch Immo Gerber im Januar in Frommern gesprochen. Einige von ihnen seien „offenbar mit dem Maurerhammer eingeschlagen worden“, hatte er den Räten erklärt. Was wiederum verwundert: Warum wurden die Hausbesitzer nicht bereits vor gut 20 Jahren darüber informiert? Auch hier schreibt die Verwaltung: „Das kann nicht mehr nachvollzogen werden, jedoch ist es uns heute wichtig, hier gegenüber den Anwohnern offen zu kommunizieren und sie über die vorliegenden Schäden zu informieren.“

Anlieger fürchten hohe Kosten

Dass unter Umständen beträchtliche Kosten auf die Anlieger zukommen, hat sich in Frommern längst herumgesprochen. Denn die Stadt sieht für die Schäden an den Hausanschlüssen eindeutig die Hausbesitzer in der Pflicht. Diese wiederum sehen das naturgemäß nicht so. Immerhin hätten die Häuslebauer davon ausgehen müssen, dass bei erfolgter Bauabnahme auch die Anschlüsse ans öffentliche Kanalnetz durch Fachleute geprüft worden seien, finden sie.

Der Anschluss wird von der Stadt abgenommen

Denn keineswegs ist die Abnahme eines solchen Stutzens quasi „Privatsache“ zwischen Baufirma und Bauherr, wie den Anliegern jüngst erklärt worden war. Das Tiefbauamt prüft den „Anschluss einer Grundstücksentwässerungsanlage an die öffentliche Kanalisation“, zumindest in den letzten Jahren. Auf dem eigens dafür angefertigten Formular der Verwaltung, das dem ZAK exemplarisch aus dem Jahr 2021 vorliegt, werden sowohl Bauherr als auch ausführende Fachfirma festgehalten. Auch Angaben zur Bauart und zum Material des Anschlusses sind aufgeführt, ebenso wird eine Skizze angefertigt. Ohne Unterschrift durch das Tiefbauamt keine Bauabnahme. Wer ist am Ende also verantwortlich und muss entstandene Schäden bezahlen? Die Anwohner in Frommern sehen die Stadt in der Pflicht. Das letzte Wort scheint tatsächlich noch nicht gesprochen.

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