Balingen

Unterkunft für Geflüchtete in Balinger Charlottenstraße: Die Fronten sind verhärtet

16.01.2024

Von Klaus Irion

Unterkunft für Geflüchtete in Balinger Charlottenstraße: Die Fronten sind verhärtet

© Klaus Irion

Im Sitzungssaal des Balinger Landratsamts erläuterten die Verantwortlichen des Landkreises und Balingens Oberbürgermeister Dirk Abel die Pläne für die Geflüchtetenunterkunft im quasi benachbarten ehemaligen Staatlichen Vermessungsamt.

Unterbringungsnot und Flüchtlingselend trifft auf Sorgen und Ängste von direkten Anwohnern. Die Umwidmung des baulich heruntergekommenen, früheren Staatlichen Vermessungsamts in der Balinger Charlottenstraße sorgt weiterhin für verbale und soziale Zerwürfnisse. Am Montag wurden die Bewohner der umliegenden Häuser detailliert informiert. Gekommen waren aber nicht nur sie.

Es ist offensichtlich noch einiges zu tun, bis das ehemalige Staatliche Vermessungsamt in der Balinger Charlottenstraße zur Unterkunft für Geflüchtete werden kann. „Wir versuchen gerade, die bestehende, alte Heizung in Gang zu setzen“, erklärte Landrat Günther-Martin Pauli am Montagabend bei der Infoveranstaltung für betroffene Anwohner im Balinger Landratsamt. Eine teure Sanierung des Gebäudes oder zumindest neue Fenster werde es aber nicht geben. Eine neue Heizungsanlage aber schon, sollte die alte nicht wiederbelebt werden können. „Das Gebäude war ja eigentlich für den Abriss vorgesehen“, so Pauli.

Unterkunft für Geflüchtete in Balinger Charlottenstraße: Die Fronten sind verhärtet

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Das ehemalige Staatliche Vermessungsamt in Balingen an der Ecke Charlottenstraße/Bismarckstraße (Archivfoto).

Dass dies bislang nicht geschehen ist, und stattdessen am Montagabend Bewohner dieses Wohnviertels in direkter Nachbarschaft zum Landratsamt deutlich ihre Sorgen und Nöte, vor dem, was da kommen möge, kommunizierten, liegt an der inzwischen seit 15 Jahren andauernden bürokratischen Verschleppung des Neubaus des Balinger Polizeireviers. Dieses soll sich eines Tages auch auf das Gelände des früheren Vermessungsamts ausdehnen.

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„Angedacht ist der Beginn des Neubaus jetzt für den Zeitraum zwischen 2026 und 2028“, erklärte Pauli. Ob dem so sein wird, steht aber wohl noch in den Sternen. „Es ist jedoch inzwischen in der Schublade der Bauvorhaben des Landes von ganz unten nach ziemlich weit oben gerutscht“, behauptete Kreissozialdezernent Georg Link. So recht glauben wollten dies die Bewohner der Charlottenstraße und der Bismarckstraße aber nicht, wie an den Reaktionen abzulesen war.

Unterkunft für Geflüchtete in Balinger Charlottenstraße: Die Fronten sind verhärtet

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Die vor kurzem angeklebten Privatparkplatz-Zettel entlang der Fassade des ehemaligen Staatlichen Vermessungsamts in Balingen an der Ecke Charlottenstraße/Bismarckstraße künden von der Umnutzung zur Geflüchtetenunterkunft.

Deren Kritik richtete sich nicht ausschließlich gegen die Geflüchtetenunterkunft an sich, sondern auch gegen die Informationspolitik des Landratsamts. „Dass sie uns nur wenige Tage vor Heiligabend ein Schreiben mit den vollendeten Tatsachen haben zukommen lassen, war nicht in Ordnung“, erklärte eine Bewohnerin der Bismarckstraße. Landrat Pauli verwies darauf, dass wegen des sonst drohenden Abrisses alles ganz schnell habe gehen müssen.

Ob der Landrat denn bereit sei, die von ihm zugesagte Höchstzahl von 40 Menschen, die im ehemaligen Vermessungsamt untergebracht werden sollen, schriftlich zu bestätigen? „Das kann ich nicht, aber Sie haben hier vor vielen Zuhörerinnen und Zuhörern mein Wort darauf.“ Denn es würde ausschließlich das Erdgeschoss belegt. „Aus statischen und brandschutzrechtlichen Gründen dürfen wir im Obergeschoss gar niemanden unterbringen“, ergänzte Thomas Zitzmann, der Leiter des Amts für Zuwanderung und Integration des Zollernalbkreises.

Öffentlichkeit wurde zugelassen

Er versuchte, wie Landrat Pauli und Sozialdezernent Link und Balingens Oberbürgermeister Dirk Abel auch, den Anwohnern die Sorgen und Ängste vor den neuen Nachbarn zu nehmen. Gleiches galt für Mitglieder des Arbeitskreises Asyl, die am Montagabend zahlreich erschienen waren. Was wiederum die Anwohner verwunderte, denn im Gegensatz zu den bisherigen öffentlichen Bürgerinformationsveranstaltungen zu Geflüchteten an unterschiedlichen Orten im Zollernalbkreis erging für diesen Infoabend keine öffentliche Einladung des Landratsamts.

„Es war tatsächlich als reine Informationsveranstaltung für die Anwohner geplant“, erklärte Landratsamtssprecherin Marisa Hahn auf Nachfrage. Nachdem das Treffen aber durch die ZAK-Berichterstattung vorab bekannt geworden war, habe man sich dazu entschlossen, niemanden wegzuschicken, der an diesem Abend ins Landratsamt kommen würde.

Anlaufstelle für AK Asyl?

Einige Sprecher des AK Asyl nutzten dann auch die Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es aus ihrer Sicht sei, dass der Verein wieder direkt in einer Geflüchteten-Einrichtung eine Anlaufstelle habe. Früher war dies in der Flüchtlingsunterkunft des ehemaligen Gesundheitsamts in der Balinger Beckstraße der Fall gewesen. Doch wurden die dortigen Räumlichkeiten vor geraumer Zeit als Zentrale für die Hausmeister der Geflüchtetenunterkünfte benötigt.

„Es wäre natürlich ideal, wenn wir dies nun in der Charlottenstraße realisieren könnten“, sagte Grünen-Stadtrat Erwin Feucht in seiner Funktion als Sprecher des Arbeitskreises Asyl. Er wollte dies auch als Möglichkeit verstanden wissen, dass Zusammenleben der umliegenden Bewohner und der Flüchtlinge in für alle Seiten verträgliche Bahnen zu lenken.

Beidseits Polarisierende Äußerungen

Zeitweilig hatte man an diesem Abend jedoch den Eindruck, dass zunächst einmal das Verhältnis von Anwohnern und Arbeitskreismitgliedern in geordnete Bahnen gebracht werden müsste. Die Bewohner der Charlottenstraße und der Bismarckstraße fühlten sich nach eigener Aussage mit ihren Anliegen, Sorgen und Ängsten von den Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfern nicht ernstgenommen. Ein, zwei unbedachte Äußerungen taten ein Übriges.

„Wir nehmen ihre Bedenken ernst und werden uns darum kümmern“, betonte Landrat Pauli. Man werde in Absprache mit der Stadt Balingen nach der monierten, bislang spärlichen Straßenbeleuchtung schauen. „Und wenn in irgendeiner Weise ein Problem auftaucht, dann ist tagsüber immer ein Ansprechpartner im Landratsamt erreichbar.“ Für die Nächte verwies Pauli aufs benachbarte Polizeirevier.

Die Unterstützung der Stadt bekräftigte OB Abel übrigens auch nochmals in der Sitzung des Balinger Verwaltungsausschusses am Dienstag – es mögen vielleicht auch scheinbare Kleinigkeiten sein, die die Stadt beitragen kann, erklärte er, nachdem sich Nathalie Hahn über die Infoveranstaltung am Montag und ihre Eindrücke zu Wort gemeldet hatte. Insbesondere, wenn es beispielsweise um eine verbesserte Straßenbeleuchtung für mehr Sicherheit gehe.

Besserungsanstalt auf die Lochen?

Zurück zur Infoveranstaltung am Montag. Hellhörig machte eine Aussage von Sozialdezernent Link, der meinte: „Wenn dann doch einmal ein Geflüchteter unter den Bewohnern ist, der partout nicht guttut, dann haben wir ja immer noch die Möglichkeit, ihn in die Jugendherberge auf der Lochen umzuquartieren.“ Das mit derzeit rund 100 Flüchtlingen belegte Gebäude als insgeheime staatliche Besserungsanstalt? Nein, so wollte Link das wohl nicht verstanden wissen. „Dort ist eben rund um die Uhr Security vor Ort.“

In der Balinger Charlottenstraße wird dies nicht der Fall sein. „Die Erfahrung aus anderen Einrichtungen, wie die in der Beckstraße, zeigt uns seit Jahren, dass dies auch nicht notwendig ist“, erklärte Landrat Pauli. Die Anwohnerinnen und Anwohner überzeugte er mit dieser Aussage jedoch nicht.

Furcht vor Konflikt mit Kurden

Auch nicht zwei Bewohner der Charlottenstraße mit türkischem Migrationshintergrund, von denen einer Bedenken hat, „dass ich Ärger bekommen könnte, wenn im Vermessungsamt türkische Kurden untergebracht werden“. Ob dies der Fall sein wird, konnten die Verantwortlichen am Montagabend aber ebenso wenig sagen, wie die exakte Zahl der Flüchtlingszuweisungen fürs laufende Jahr. „Wir rechnen damit, dass dem Zollernalbkreis rund 800 weitere Flüchtlinge zugeteilt werden.“ Und die will der Landrat auch weiterhin dezentral unterbringen. „Wir wollen weiterhin keine Hallenbelegungen, werden aber um weitere Containerdörfer wohl nicht herumkommen.“

Einer der dafür vorgesehenen Plätze, ein Parkplatz ebenfalls in der Balinger Charlottenstraße, war am Montagabend laut Pauli „immer noch Teil unserer Überlegungen“. Tags darauf dann aber doch nicht mehr. „Die Pläne des Container-Standortes in der Charlottenstraße in Balingen werden derzeit nicht weiterverfolgt, dem Eigentümer wurde abgesagt“, bestätigte Landratsamtssprecherin Marisa Hahn auf ZAK-Nachfrage.

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