Hechingen

Mehr als das Vorprogramm für Balingen: Hechinger Demokratie-Demo mobilisiert Hunderte

27.01.2024

Von Michael Würz

Mehr als das Vorprogramm für Balingen: Hechinger Demokratie-Demo mobilisiert Hunderte

© Michael Würz

So voll hat man den Hechinger Obertorplatz lange nicht gesehen, zumal bei einer Demo.

Gegen Extremismus, für die Demokratie: Unter diesem Motto hat sich der Obertorplatz am Samstagmittag mit einer stattlichen Menschenschar gefüllt. Aufgerufen hatte der CDU-Stadtverband; angeschlossen haben sich neben weiteren Parteien auch Kirchen, Vereine und Schulen.

Eigentlich ist es nur eine kleine Anekdote, die Ronny Stengel, stellvertretender Vorsitzender des Hechinger CDU-Stadtverbands, vor der Kundgebung am Samstag Journalisten verraten hatte: Noch nie in seinem Leben sei er auf einer Demo gewesen – und jetzt habe er sogar gleich eine angemeldet. Warum? Weil sie auch im CDU-Stadtverband jenes beklemmende Gefühl hatten, das im Moment so viele Menschen umtreibt, gespeist auch von den jüngsten Enthüllungen von „Correctiv“ rund um „Remigrationspläne“. Unter anderem AfD-Funktionäre hatten sich über Deportationsphantasien mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner ausgetauscht. Das treibt in Hechingen auch deshalb viele um, weil die AfD dort bekanntermaßen Montag für Montag ihre Kundgebung in der Stadt abhält – zum Leidwesen vieler, die ihre Sorgen um die Demokratie jetzt aber ganz deutlich artikulieren.

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Jürgen Fischer (SPD).

Hunderte, bisherige Schätzungen schwanken zwischen 600 und 800, waren es, die dem Aufruf des CDU-Stadtverbands und weiterer Parteien am Samstag gefolgt sind. Der proppevolle Obertorplatz (von dem SPD-Mann Jürgen Fischer in der Nacht zuvor noch geträumt habe, wie er sagte), ja, mit genau diesem Bild wollten viele in Hechingen auch eine unüberhörbare Botschaft rausschicken, die da lautet: „Wir sind mehr.“ Deshalb reihten sich alle ein, längst nicht nur Gemeinderatsfraktionen, sondern auch Kirchen, Schulen, Vereine. Und so dürfte CDU-Mann Ronny Stengel mitnichten der einzige geblieben sein, der an diesem Samstagmittag seine Premiere als Demonstrant feierte.

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Christoph Kühner (CDU).

Die Kundgebung begann derweil mit einer Schweigeminute: CDU-Stadtverbandschef Christoph Kühner hatte die Teilnehmer angesichts des Holocaust-Gedenktags am Samstag darum gebeten. Kühner erklärte, ehe nacheinander Rednerinnen und Redner ans Mikrofon traten, es sei wichtig, gegen Extremismus zu sein, noch wichtiger sei für ihn aber, für die Demokratie zu sein. Denn: „Der Zustand einer Demokratie wird nicht am Geschrei ihrer Gegner gemessen, sondern am Einsatz derjenigen, die sie verteidigen wollen.“ Die wichtigsten Aussagen der Rednerinnen und Redner.

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Nicht nur „Omas gegen Rechts“ artikulierten ihre Meinung auf Transparenten.

Dr. Regina Heneka (CDU) warnte davor, „einfachen, falschen, mit Hass erfüllten Parolen auf den Leim zu gehen“. Für ein friedliches Miteinander seien Verstand und Herz gefragt. „Damit auch unsere Kinder und Enkelkinder in Frieden und Freiheit aufwachsen können.“

Werner Beck (Freie Wähler) verurteilte Hass und Ausgrenzung. Er erinnerte an die besondere Verantwortung, die man in Hechingen angesichts vertriebener, ehemaliger jüdischer Mitbürger habe.

Jürgen Fischer (SPD) sagte, es gehe nicht darum, hier „die Ampel-Regierung zu stützen – oder zu stürzen“. Vielmehr gelte es, Gesicht gegen Hetze und Fanatismus zu zeigen. Fischer verglich die bekanntgewordenen Pläne Rechter und Rechtsextremer in Potsdam mit „KZ und Endlösung“. Dies sei „nichts anderes“.

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Kritik an den AfD-Demos in Hechingen.

Almut Petersen (Bunte Liste) ist stolz darauf, dass schon heute viele in Hechingen das Stadtleben mitgestalten. Und darum gehe es ja: Nicht irremachen lassen, sondern gegenseitig unterstützen. So könne ein „positives Miteinander gestaltet werden“.

Matthias Linckersdorff (FDP) erinnerte daran, dass der deutsche Wohlstand auf internationaler Arbeitsteilung und Weltoffenheit aufbaue. Als er den Schutz der EU-Außengrenzen forderte und für geregelte Einwanderung plädierte, kassierte er vereinzelte Buh-Rufe.

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Die CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz (Mitte).

Jad Anter (Grüne) sagte den wohl bedeutendsten Satz des Tages: „Ich bin Deutscher!“ Der 18-Jährige war vor 9 Jahren aus Syrien geflohen, strahlte glücklich beim Blick von der Bühne in die Menschenmenge.

Pfarrer Herberth Würth erinnerte daran, „dass jeder ein Fremder ist, fast überall“. Würth trat auch im Namen seines katholischen Kollegen Michael Knaus ans Mikro.

Giovanna Ciriello wandte sich „stellvertretend als Migrantenkind der dritten Generation“ an die Menge. Dies in großer Sorge: Ciriello fragt sich angesichts der bekanntgewordenen Vertreibungspläne Rechtsradikaler in Potsdam, ob sie als gut integrierte, in Hechingen geborene Frau bald heimatlos sein könnte.

Elisabeth Ilg-Reininghaus (Amnesty International) appellierte an die Demoteilnehmer, „nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen aufzustehen und Gesicht zu zeigen“. Und zwar „nicht nur auf dem Obertorplatz, sondern überall, wo es nötig ist“. Denn: „Jeder und jede hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“, zitierte sie die Menschenrechtscharta.

Leonie Schneider-Loye (Konrektorin Berufschulzentrum) berichtete sorgenvoll davon, wie eine Schülerin sie jüngst gefragt habe, ob sie trotz ihres deutschen Passes unter Umständen abgeschoben werde.

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© Michael Würz

Bekommt die Polizei nach der Demo noch Arbeit? Es riecht (!) danach.

Haben Gegner der Demo stinkende Buttersäure in die Wasserläufe gekippt?„Hier stinkt’s!“ Teilnehmer der Demokratie-Demo auf dem Obertorplatz hatten mit beißendem Gestank zu kämpfen. Das könnte freilich großer Zufall sein, hat aber dann doch ein – im wahrsten Sinne des Wortes – Gschmäckle. Der Verdacht, der bereits im Vorfeld der Kundgebung aufkam: Unbekannte könnten in der Nacht zuvor Buttersäure in die Wasserläufe gekippt haben. Jedenfalls ist nach der Demo die Feuerwehr angerückt.

Ganz offenkundig nicht einverstanden mit der Demokratie-Demo war auch ein Traktorfahrer, der lautstark am Obertorplatz vorbeifuhr und den Teilnehmern den „Stinkefinger“ zeigte. Hier dürfte der Fall juristisch klar im Bereich der Beleidigung angesiedelt sein. Eventuelle Zeugen werden gebeten, sich unter der Telefonnummer 07471/9880-0 mit dem Polizeirevier Hechingen in Verbindung zu setzen, welches die Ermittlungen übernommen hat.

Keine nennenswerte Beachtung fand hingegen eine aus dem AfD-Umfeld parallel angemeldete Kundgebung auf dem Hechinger Kirchplatz.

+++ Zahlreiche weitere Impressionen von der Kundgebung am Samstag auf dem Obertorplatz gibt es in unserer Fotostrecke +++

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