Balingen

Mediothek Balingen: Drei Werke, die noch niemand ausleihen wollte

01.12.2020

Von Lea Irion

Mediothek Balingen: Drei Werke, die noch niemand ausleihen wollte

© Jessica Ruscello/Unsplash

Bücher über Bücher – es bleibt die Qual der Wahl (Symbolfoto).

Tausende Bücher warten in der Balinger Mediothek täglich darauf, ausgeliehen zu werden. Die Konkurrenz untereinander ist groß – manchmal so groß, dass ein Buch jahrelang im Regal verstaubt. Was für Bücher sind das? Und was passiert mit ihnen, wenn sie wirklich gar niemand lesen will? Wir haben nachgefragt.

Stöbert man gedankenversunken durch die Mediothek in der Stadtmitte in Balingen, fällt einem meist kaum auf, wie viele Werke sich eigentlich in den Regalen befinden. Von Fantasy über Horrorgeschichten bis hin zu kunstanalytischen Sachbänden – eine Bibliothek hat einen riesigen Literaturschatz zu bieten.

Manchmal ist dieser papiergewordene Reichtum aber fast schon zu groß. Denn hin und wieder kommt es vor, dass sich Bücher im Bestand befinden, die immerzu übersehen werden oder die schlicht und ergreifend niemand lesen will. Wir haben bei der Mediothek nachgefragt, welche Bände hoffnungslos in den Regalen verstauben.

Wissen für die Millionenfrage

28.096 physische Medien befinden sich dort nämlich im Moment. Davon sind 762 sogenannte Nullausleihen. Der Name ist selbsterklärend – die Zahl derer, die solche Medien ausgeliehen haben, beläuft sich auf Null. Die Mitarbeiter der Mediothek betonen aber auch, dass bei Nullausleihen Dinge dabei sind, die beispielsweise erst frisch eingetrudelt sind.

Zu Nullausleihen gehören oft auch Titel, die im Bestand sein müssen, im Thema aber so spezifisch sind, dass es nur einen kleinen Personenkreis gibt, der damit etwas anfangen kann. Das, sagen die Bibliothekaren, können zum Beispiel Bücher der Kunstgeschichte sein.

Gut für den Smalltalk

Ein Buch, das den unrühmlichen Titel der Nullausleihe trägt, ist beispielsweise „Michelangelo – Das zeichnerische Werk“ von Thomas Pöpper. Gekauft wurde es am 26. Juli 2017. Seither ziert es etwas trostlos eines der Regale in der Mediothek.

Mediothek Balingen: Drei Werke, die noch niemand ausleihen wollte

© Benjamin Rebstock

Mediothek-Leiterin Maxi Goessler-Kilic reinigt die Bücher regelmäßig, auch die Nullausleihen.

Dabei könnte das Buch auch für Laien eine interessante Lektüre sein. Der Autor stellt darin die bedeutendsten Werke des Künstlers Michelangelo vor. Mit 763 Seiten ist es zwar ein regelrechter Schmöker, der Inhalt wurde von Thomas Pöpper aber sorgfältig ausgewählt und analysiert.

Auch Werke, die erst kürzlich entdeckt wurden und Michelangelo zuzuschreiben sind, haben es in das Buch geschafft. Denn, das wissen wohl die wenigsten: Michelangelo signierte seine Blätter in der Regel nicht. Damit erschwert das lange verstorbene Kunstgenie die Zuteilung vieler Werke. Und ein bisschen mehr Detailwissen in Sachen Kunstgeschichte kommt wohl jedem Smalltalk zugute.

Kein Abiturient greift zu

Ein weiteres Buch, das laut Mediothekspersonal noch niemand ausleihen wollte, ist eine Buchanalyse zu Max Frischs Werk Homo faber von Bernd Matzkowski. Angeschafft wurde es am 4. Juni 2016. Nicht verwunderlich, denn zu der Zeit war das Buch Topthema im Abitur. Sehr verwunderlich ist aber, dass wohl kein Balinger Schüler das hilfreiche Beiwerk ausleihen wollte.

Rezensionen im Internet von Gymnasiasten, die mit Matzkowskis Buch gearbeitet haben, hatten größtenteils nur Gutes darüber zu sagen. Wer sich also dieser Tage nach einem Stückchen deutschsprachiger Literaturgeschichte sehnt, zu der „Homo faber“ in jedem Fall zu zählen ist, kann sich mit diesem Buch detailliert durch das Leben des Walter Fabers arbeiten.

424 Seiten Jazz pur

Noch eine Nullausleihe ist „100 Jahre Jazz – Von der Klassik bis zur Moderne“ von Philippe Margotin, angeschafft am 19. Dezember 2017. Der Autor hat in diesem Buch die bekanntesten Sänger der Musikrichtung zusammengefasst.

Auf 424 Seiten porträtiert Margotin 63 der bedeutendsten Jazzmusiker eines Jahrhunderts, aufgeteilt in Epochen und Stilrichtungen. Mit dabei sind auch 195 prägende Fotos. Auch hier gilt – es könnte das ein oder andere Detail dabei sein, das am Ende die Millionenfrage im Fernsehen entscheidet.

Zuerst Flohmarkt, dann Müll

Was aber passiert, wenn die Bücher wirklich gar niemanden interessieren? Dann, nach einer gewissen Zeit, wandern sie zum hauseigenen Flohmarkt der Mediothek. Und wenn selbst da niemand zugreift, muss das Buch wohl oder übel entsorgt werden. „Die Null-Liste wird regelmäßig kontrolliert, denn man findet hier auch oft Titel, die abhanden gekommen sind“, sagt eine Mitarbeiterin der Mediothek.

Einen gewissen Schutz genießen aber beispielsweise Bücher mit regionalem Wert. Diese werden auch dann nicht entsorgt, wenn sie im Regal verstauben. Und wer weiß – vielleicht ist der ein oder andere Leser ja auf den Geschmack gekommen und stöbert in eine der drei genannten Nullausleihen, damit diese ihren unrühmlichen Titel endlich ablegen dürfen.

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