Zollernalbkreis, Balingen

Landrat nach Versammlung in Killer: „Erschreckende Erfahrung darf sich nie mehr wiederholen“

24.07.2023

Von Pascal Tonnemacher

Landrat nach Versammlung in Killer: „Erschreckende Erfahrung darf sich nie mehr wiederholen“

© Pascal Tonnemacher

Eine solche erschreckende Erfahrung wie die Bürgerversammlung in Killer dürfe sich nie mehr wiederholen, fordert Landrat Günther-Martin Pauli.

Ausgebuht, angeschrien, bedroht: Landrat Günther-Martin Pauli hat nach der Bürgerversammlung in Killer an „alle aufrechten Demokraten“ appelliert, dafür zu sorgen, dass sich so eine „erschreckende Erfahrung“ nie mehr wiederholt. Pauli fordert, Fluchtmigration zu steuern und zu begrenzen sowie die Aufnahme und Integration Geflüchteter in den Kommunen nachhaltig und auskömmlich zu finanzieren.

Landrat Günther-Martin Pauli ist Kritik qua Amt gewohnt. Doch der Abend am vergangenen Mittwoch im Burladinger Teilort Killer bleibt Pauli wohl noch länger negativ in Erinnerung.

Landkreise und Kommunen im ganzen Land stehen gleichermaßen unter Druck und müssen Geflüchtete unterbringen. Nicht nur eine finanzielle Herausforderung, auch an geeigneten Unterbringungsplätzen fehlt es, wie der ZAK mehrfach berichtete.

Auf einem Infoabend im Bürgerhaus hatte der Landrat den Bürgerinnen und Bürgern seine Pläne für das Gasthaus Lamm vorstellen wollen. Nach dem Motto „Alle gegen einen“ war er aber lediglich niedergebrüllt und ausgebuht worden (wir berichteten).

„Für mich und meine Kollegen eine erschreckende Erfahrung“, sagte der Landrat im Vorfeld der Kreistagssitzung am Montag im Landratsamt in Balingen. Er verweist auf Meinungsfreiheit, Mitwirkungsrechte und den Dialog mit den Menschen als Grundpfeiler des demokratischen Miteinanders.

Aufruf an alle aufrechten Demokraten

„Hierzu gehört eine gesunde Diskussionskultur“, sagte Pauli. „Niemand darf ausgebuht, beleidigt, angeschrien oder gar bedroht werden.“

Deshalb fordert Pauli: „Alle aufrechten Demokraten müssen mit dafür Sorge tragen, dass sich so etwas im Zollernalbkreis nie mehr wiederholt.“

Die Zollernälbler würde Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit auszeichnen, so Pauli. „In den vergangenen Jahren haben wir durch ein starkes Miteinander unsere Integrationspolitik gemeinsam wachsam und kreativ gestaltet“, sagte der Landrat.

Dankbarkeit für Hilfe

Die Landkreisverwaltung sei dankbar, dass sie bei dieser enormen Herausforderung immer auf die tatkräftige Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bauen durfte.

„Dies ist leider heute nicht mehr überall selbstverständlich“, meinte Pauli.

Die Sorgen und Ängste beim Thema Flüchtlingsunterbringung nehme man ernst und leite sie weiter. Pauli habe mit Justiz- und Integrationsministerin Gentges gesprochen und verweist auf eine einstimmige Resolution des Landkreistages (hier können Sie das PDF-Dokument lesen).

Was die Landkreise fordern

Darin fordern die Landkreise in Baden-Württemberg, dass Fluchtmigration gesteuert und begrenzt wird. Zudem soll den Kommunen die Aufnahme und Integration Geflüchteter nachhaltig und auskömmlich finanziert werden. So soll die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten auf Dauer machbar bleiben.

Unter anderem wird gefordert, dass die Standards für Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von Schutzsuchenden überprüft und gegebenenfalls gesenkt werden. Der Bund soll zur finanziellen Entlastung das sogenannte Vier-Säulen-Modell umsetzen und unter anderem Kosten für Unterkunft, Heizung und Integration übernehmen sowie eine monatliche Pro-Kopf-Pauschale bezahlen.

Außerdem sollen Ukraine-Geflüchtete wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz statt nach dem Sozialgesetzbuch II bekommen. Die deutschen Sozialleistungen sollen zudem auf ein (gemessen an den Lebenshaltungskosten) europaweit harmonisiertes Niveau abgesenkt werden.

Offener Brief von Almut Petersen

Auch Almut Petersen war in Killer niedergebrüllt worden, als sie von ihrer Arbeit im Arbeitskreis Asyl in Hechingen berichten wollte. Nun wendet sie sich an die Bürgerinnen und Bürger in Killer mit einem offenen Brief.

„Liebe Killemerinnen und Killemer, auch Tage nach der Versammlung in Ihrem Dorf bin ich zutiefst erschüttert über das, was ich dort erlebt habe. Woher kommt dieser Hass und diese Wut? Warum ist da eine solche Angst vor Menschen, die Sie noch gar nicht kennen? Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht? Irgendwie mag ich gar nicht glauben, dass Killer wirklich so ist, wie es an diesem Abend erscheinen mochte. Ich möchte darauf vertrauen dürfen, dass es auch das Gesicht der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft in Ihrem Dorf gibt.

An diesem Abend wurde mehrfach geäußert, dass Sie sich durch die bestehende kommunale Asylunterkunft bereits überfordert fühlen. Vielleicht lassen sich einige der Probleme lösen? Sehr berührt hat mich die Schilderung über den einsamen jungen Mann, der den ganzen Tag alleine mal am Sportplatz, mal an der Straßenlaterne telefonierend gesehen wurde. Vielleicht mag sich jemand ein Herz fassen und den jungen Mann einladen: Wir bieten dreimal wöchentlich von 9 bis 12 Uhr vom AK Asyl aus einen Deutschkurs im katholischen Gemeindehaus in Hechingen an. Vielleicht möchte er dazukommen, Deutsch lernen und Menschen kennenlernen, die ihm auf seinem schwierigen Lebensweg freundschaftlich zur Seite stehen.

Ich kenne einige der Leute, die eine Zeitlang in der Unterkunft in Killer gelebt haben persönlich. Sie haben dank eigener Anstrengung und der Hilfsbereitschaft freundlicher Mitmenschen inzwischen Deutsch gelernt, eine Arbeit und Wohnung gefunden. Ich erinnere mich dankbar an die wunderbare Gastfreundschaft, die mir von Ihnen entgegengebracht wurde und kann Sie nur ermutigen, sich ein Herz zu fassen und Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen, egal ob ihr Geburtsort Killer oder sonst wo auf der Welt ist. Miteinander ist das Leben einfach schöner als Gegeneinander.

Mit freundlichen Grüßen

Almut Petersen

P.S: Falls jemand Interesse hat, direkt in Killer Angebote für die Mensch in der Asylunterkunft aufzubauen und Begegnung und Miteinander zu stärken oder sonst Fragen hat, kann sich gerne an den AK Asyl Hechingen wenden. Wir unterstützen Sie gerne und geben unsere Erfahrungen gerne weiter: info@ak-asyl-hch.de“

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