Hechingen

Kreishandwerker tagen in Bisingen: Steht der Wohlstand zur Debatte?

23.05.2024

von Jörg Wahl

Kreishandwerker tagen in Bisingen: Steht der Wohlstand zur Debatte?

© Jörg Wahl

Peter Haas, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbands des Handwerks im Land, war Hauptredner in Bisingen – er ging hart mit der Politik ins Gericht. Das Handwerk braucht seiner Ansicht nach jetzt „Welt-Aufgangs-Stimmung“.

Die Kreishandwerkerschaft Zollernalb hat dieser Tage in der Bisinger Hohenzollernhalle ihre Mitgliederversammlung abgehalten. Rund 100 Innungsmitglieder folgten der Einladung. Ehrengast und Hauptredner war Peter Haas, Hauptgeschäftsführer von Handwerk BW, dem Spitzenverbands des Handwerks in Baden-Württemberg. Er ging hart mit der Politik ins Gericht.

Kreishandwerksmeister Ernst Berger sprach über die aktuellen Herausforderungen, denen die Wirtschaft und insbesondere das Handwerk momentan gegenüberstünden. „Leider ist aktuell im Handwerk kein wirklich spürbarer Aufschwung in Sicht und von einer konjunkturellen Entspannung im Gesamthandwerk kann keine Rede sein“, zitierte er den Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich. Der Handlungsdruck für die Politik habe „in keinster Weise nachgelassen“, sagte Berger. Vielmehr müsse die Regierung aus seiner Sicht „endlich die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stärken“. Denn: Die Geschäftslage habe sich im 1. Quartal deutschlandweit spürbar eingetrübt. Gründe dafür seien die schwächelnde Baukonjunktur und die schwache Nachfrage der Industrie. Insgesamt hätten nur noch etwa 43 Prozent der Betriebe in Deutschland eine gute Geschäftslage gemeldet. Aus Bergers Sicht „ein deutliches Warnsignal für die Regierung“.

Kreishandwerker tagen in Bisingen: Steht der Wohlstand zur Debatte?

© Jörg Wahl

Rund 100 Innungsmitglieder aus dem Kreis bekamen in den Reden in der Hohenzollernhalle eher schwere Kost serviert.

Er forderte „mutige und deutliche Schritte von den politischen Entscheidungsträgern“. Ein mutiges, mittelstandsorientiertes Wachstumspaket für Deutschland sei dringend notwendig. Berger findet: „Hürden der Demokratie gehören entschärft.“ Zweifelsohne seien die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung größte Herausforderungen, ganz abgesehen von den Energiepreiserhöhungen, „welche kleinere Betriebe in den Ruin führen“. Hinzu komme der Facharbeitermangel. Die Zahl der Ausbildungsverträge sei um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Steigende Produktionskosten, Personalabbau und Standortverlagerung seien stete Themen bei den Firmen im Zollernalbkreis, um bestehen zu können. Kreishandwerksmeister Berger appellierte, „gemeinsam an einem Strang zu ziehen, damit das Handwerk auch zukünftig die tragende Säule der Wirtschaft bleibt“.

Die Wirtschaftsmacht von nebenan

Das „Handwerk BW“ bilden 140.000 Handwerksbetriebe mit 800.000 Beschäftigten, erklärte Peters Haas eingangs seiner Rede. Das bedeute: „Zusammen sind wir wirklich eine Wirtschaftsmacht von nebenan.“ Die Frage aber sei: „Welche Perspektiven haben wir, für unser Land, für unser Handwerk?“ Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik habe der Wohlstand des Landes und der Menschen so zur Debatte gestanden wie derzeit. Nirgends stehe geschrieben, dass Baden-Württemberg nicht dasselbe passieren könne wie dem Ruhrgebiet. „Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen“, stand im Brandbrief, den der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit den anderen drei Spitzenorganisationen der Wirtschaft in Berlin Anfang 2024 an den Kanzler geschrieben hatte.

„Viele sorgen sich um Land, Standort und Gesellschaft“

„Wir erleben gerade eine Stimmung in Wirtschaft und Gesellschaft, die sich über Jahre aufgestaut hat“, sagte Haas. Bürokratische Pflichten, komplizierte Steuergesetzgebungen und Kostenentwicklungen seien auferlegt, so dass „unterm Strich nicht viel übrig bleibt“. In jüngster Zeit habe man sich einem Kipppunkt genähert. „Viele sorgen sich um Land, Standort und um die Gesellschaft. Wo bleiben die Erfolgsbedingungen für Zukunft, Bildung, unternehmerische Freiheit, Energieversorgung und Demokratie?“, fragte Haas in seiner Rede. Aus seiner Sicht sei zudem ärgerlich, „dass die Regierung so viel Hirnschmalz aufs Gymnasium verwendet“.

„Ich glaube nicht, dass mehr Freizeit uns rettet“

Noch dazu komme der demografische Wandel. Die immer weniger werdenden Arbeitskräfte, die es noch gebe, wollen selbst auch noch weniger arbeiten. „Mehr Freizeit“ habe jüngst als Parole auf den Plakaten des Deutschen Gewerkschaftsbundes gestanden. „Ich glaube nicht, dass uns das rettet“, befand Haas. Der auch die Aussage des Kanzlers kritisierte, wonach der Sozialstaat die Grundlage des Wohlstands sei. „Es ist umgekehrt“, sagte Haas. Denn ohne wirtschaftliche Erfolge gebe es keine vollen Sozialkassen. Wohlstand aber müsse erwirtschaftet werden. 25.000 Betriebe stehen laut Haas in den nächsten 5 Jahren zur Übergabe an. „Doch wer hat Lust aufs Unternehmertum?“ Haas stellte in seiner Rede auch die These auf, dass ohne das umstrittene Heizungsgesetz in 2023 mehr Heizungspumpen verkauft worden wären. Nun seien die Förderanträge förmlich eingebrochen, nämlich von 30.000 in 2022 auf 7000 im vergangenen Jahr.

Haas kritisiert: „Mehr Psychologiestudenten als Azubis im Heizungsbau“

Haas gab überdies zu bedenken: Bis 2030 werden 9 Millionen Menschen in Rente gehen, nur 6 Millionen kommen nach. Aber worauf kommt es an? Haas findet: „Der Staat trägt eine Riesenverantwortung in Sachen Nachwuchsgewinnung.“ Außerdem forderte er, dass die Berufsorientierung an Schulen verbessert werde, zumindest an jenen Berufen die eine Ausbildung benötigen. „In Deutschland studieren mehr Menschen Psychologie, als es Azubis im Heizungsbau gibt.“ Hass findet: „Würden mehr Menschen in sinnvolleren Berufen landen, bräuchten wir vielleicht weniger Psychologen.“ Stichwort: Burnout.

Zeit für „Welt-Aufgangs-Stimmung“

Im Handwerk sei es dringend Zeit für „Welt-Aufgangs-Stimmung“, so Haas. Die Chancen seien gegeben, dass der sogenannte „goldene Boden“ erhalten bleibe.

Jürgen Greß, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Zollernalb, bedankte sich bei Haas „für dessen aufschlussreiche Ausführungen“. Greß konnte bei der Mitgliederversammlung zahlreiche Ehrungen langjähriger und verdienter Mitglieder vornehmen.

Die Geehrten der Kreishandwerkerschaft

Kreishandwerker tagen in Bisingen: Steht der Wohlstand zur Debatte?

© Jörg Wahl

Jürgen Greß, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft (rechts), konnte zahlreiche langjährige und verdiente Mitglieder ehren.


Bronze (9 Jahre)

Obermeister Michael Braunstein,

Innung des Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerks Zollernalb

Stellvertretender Obermeister Michael Leopold,
Glaser-Innung Zollernalb

Obermeister Klaus-Peter Müller,

Innung des Kfz-Gewerbes Zollernalb

Obermeister Steffen Nüßle,

Glaser-Innung Zollernalb

Stellvertretender Obermeister Gerd Schäfer,
Fleischer-Innung Zollernalb

11 Jahre

Obermeister Alwin Tollkühn

Innung des Metallhandwerks Zollernalb

Stellvertretende Obermeisterin Anja Trux,
Friseur-Innung Zollernalb

Silber (15 Jahre)

Obermeister Giuseppe Capone,

Friseur-Innung Zollernalb

Obermeister Mark Geiger,

Maler- und Lackierer-Innung Zollernalb

Kassenprüfer Frank Gess,

Kreishandwerkerschaft Zollernalb

Obermeister Thomas Hagg,

Elektro-Innung Zollernalb

Obermeister Reinhard Konzelmann,

Schreiner-Innung Zollernalb

Stellvertretender Obermeister Dieter Maichle,
SHKF-Innung Zollernalb

Obermeister Jürgen Sieber,

Fleischer-Innung Zollernalb

Gold (21 Jahre)

Obermeisterin Diana Kempf,

Damen- und Herrenschneider- Innung Zollernalb

Ehemaliger stellvertretender

Obermeister Karl-Josef Rupp,

Innung des Bauhandwerks Zollernalb

Ehemalige stellvertretende

Obermeisterin Rosalinde Sagel-Ott,

Damen- und Herrenschneider- Innung Zollernalb

Obermeister Achim Thiel,

SHKF-Innung Zollernalb

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