Balingen

Komplettsanierung oder Modell Flatterband? Balinger Friedhofkirche bringt Dekan in Dilemma

11.04.2024

Von Klaus Irion

Komplettsanierung oder Modell Flatterband? Balinger Friedhofkirche bringt Dekan in Dilemma

© Klaus Irion

Ein (bau-)historisches, aber dringend sanierungsbedürftiges Kleinod ist die Balinger Friedhofkirche.

Die Balinger Friedhofkirche ist da. Ausreichend Geld, sie von Grund auf zu sanieren, dagegen (noch) nicht? Was, wenn dieses Dilemma zum schleichenden weiteren Verfall führt? Ein Abriss? Undenkbar! Eine Kirchenruine? Eigentlich auch undenkbar! Das sagt der evangelische Dekan Michael Schneider zum Dilemma.

Gemeindehäuser, Kindergärten, Häuser für soziale Dienste und natürlich Kirchen. Insgesamt 130 Gebäude umfasst das „Immobilienportfolio“ des evangelischen Kirchenbezirks Balingen. Allein in der Gesamtkirchengemeinde Balingen stehen davon 21. Bis vor einiger Zeit waren es noch 22. Doch das Tobias-Beck-Haus, das frühere Gemeindehaus der Pfarrei Balingen-Ost, wurde vor einigen Jahren verkauft. Heute ist dort ein privater Pflegedienst beheimatet.

Zu diesen 21 Gebäuden gehört auch die Balinger Friedhofkirche. Die über 1000 Jahre alte Kirche an der Eyach ist eine der ältesten Kirchen in Württemberg und – wenig überraschend – denkmalgeschützt. Sie ist aber auch eines der baulichen und damit finanziellen Sorgenkinder von Michael Schneider, seit 1. Oktober 2023 Dekan des Kirchenbezirks Balingen.

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Impressionen an der Balinger Friedhofkirche.

© Klaus Irion

Impressionen an der Balinger Friedhofkirche.

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Impressionen an der Balinger Friedhofkirche.

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Äußerlich ist die Friedhofkirche in die Jahre, um nicht zu sagen, schon in die Jahrzehnte gekommen. Soll heißen, es besteht dringender Handlungsbedarf. Wenige hundert Meter entfernt, empfängt Dekan Schneider den ZAK-Redakteur zum Gespräch in der baulichen jüngeren Vergangenheit, einem weißen Flachdachbungalow in der Charlottenstraße. Das Dekanatamt ist seit Jahrzehnten Dienst und Wohnsitz der Balinger Dekane.

Noch unter seinem Amtsvorgänger Beatus Widmann ist die Idee der Friedhofkirche als Bürgerkirche entstanden. Ein illustrer Kreis aus honorigen Balingern und Unternehmerpersönlichkeiten hat sich seinerzeit zusammengefunden und den Förderverein Friedhofkirche aus der Taufe gehoben. Eine Infotafel in unmittelbarer Nähe zum Kircheneingang weist die „Taufpaten“ des Vereins aus.

„Ein echtes Dilemma“

Doch denkmalgeschütztes Gotteshaus hin, Förderverein her: Die mit rund 1,6 Millionen Euro veranschlagte „Dann-aber-auch-nur-fest-und-trocken-Sanierung“ (Dekan Schneider), ist noch lange nicht beisammen. „Ich weiß, dass der Kirchturm bröckelt, ich weiß aber auch, dass allein dieser Bauabschnitt mit rund 450.000 Euro zu Buche schlägt“, rechnet Schneider vor. Gleichwohl soll dies in absehbarer Zeit in Angriff genommen werden. Denn die Friedhofkirche habe eine „brutale Tradition“. Und was wäre die Alternative? Der Dekan nennt es das „Modell Flatterband“. Wie lange die Stadt Balingen, die zwar nicht Eigentümer der Friedhofkirche, wohl aber des sie komplett umgebenden Stadtfriedhofs ist, eine solche „Bauruine“ wegen der Gefahr herabfallender Teile dulden würde, sei mal dahingestellt. Stichwort: Verkehrssicherungspflicht.

„Ich bin hier tatsächlich in einem echten Dilemma“, beklagt Schneider. Die Gesamtkirchengemeinde allein könne die Sanierungskosten nicht stemmen. Dabei kann sich der Dekan lebhaft vorstellen, welche Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt würden, wenn es hieße: Friedhofkirche oder evangelischer Kindergarten – Friedhofkirche oder evangelische Sozialstation.

Es regiert das Prinzip Hoffnung

Bis auf Weiteres regiert daher in der Charlottenstraße 16 das Prinzip Hoffnung. Hoffnung darauf, dass der „von mir ob seines unermüdlichen Engagements geschätzte Förderverein“, weitere Gelder generiert. Hoffnung darauf, dass die Gesamtkirchengemeinde Balingen Mittel aus dem landeskirchlichen Ausgleichsstock erhält. Letzteres aber steht auch noch in den Sternen, denn, so Schneider, „auch die Landeskirche muss in den kommenden Jahren sparen“. Konkret: 129 Millionen Euro.

„Oikos – Liegenschaftsentwicklung in den Kirchenbezirken – Bau-Moratorium“ ist der Titel eines Schreibens, das der Oberkirchenrat in Stuttgart im vergangenen Jahr unter anderem allen Dekaninnen und Dekanen hat zukommen lassen. Oikos ist altgriechisch und bezeichnet den familiären oder sakralen Versammlungsbau einer Gemeinschaft. Der zentrale Satz des Schreibens: „Die sinkenden Kirchensteuereinnahmen, zurückgehende Gemeindegliederzahlen und die

Vorgaben des kirchlichen Klimaschutzgesetzes erfordern eine deutliche Reduzierung des aus Kirchensteuermitteln zu erhaltenden und unterhaltenden Immobilienbestands.“

Vier historische Kirchen

Zwischen 35 und 50 Prozent soll diese Gebäudereduzierung in den kommenden Jahren/Jahrzehnten betragen. „Auch die Gesamtkirchengemeinde Balingen wird mit rund 40 Prozent ihres Bestandes dabei sein“, stellt Dekan Schneider nüchtern fest und verweist auf bereits erfolgte Verkäufe von Kirchengebäuden in Albstadt. Kommt das in absehbarer Zeit auch auf Balingen zu? Und wenn ja, welche Kirche, welche Gebäude wären das dann? Des Dekans Antwort ist, was auf keinen Fall wegkommen würde. Als quasi im Bestandserhalt „gesetzt“, sieht er die vier historischen Kirchen. Neben der Balinger Stadtkirche auch diejenigen in Engstlatt, Heselwangen und eben die inmitten des Balinger Stadtfriedhofs.

„Wenn man jedoch den heutigen reinen Nutzen der Friedhofkirche betrachtet, bräuchten wir als Gesamtkirchengemeinde sie nicht.“ Natürlich sei die Atmosphäre einer Trauerfeier in einer Aussegnungshalle nicht mit der Feierlichkeit in der Friedhofkirche zu vergleichen. Andererseits: Was finde denn abgesehen von Trauerfeiern noch in der Friedhofkirche statt? „Wer lässt sich denn heute noch dort trauen, etwas, das in früheren Jahren üblich war“, so Schneider. Er sieht das kleine Gotteshaus – im Gegensatz zu Mitgliedern des Fördervereins – auch nicht als Ort häufiger kultureller Events wie Ausstellungen oder Konzerte. „Für Letzteres haben wir doch die Stadtkirche.“

Dekan hofft auf Bürgerschaft

Nun ist die Friedhofkirche aber da, wird dableiben und eines nahen oder fernen Tages auch aufwändig energetisch der heutigen Gesetzeslage entsprechend saniert und modernisiert sein. Dass dafür dann aber „mit dem Rasenmäherprinzip alle anderen Einrichtungen der Gesamtkirchengemeinde Balingen gestutzt werden, sei nicht seine Vorgehensweise. „Wenn, dann müsste schon ein kompletter Aufgabenbereich aufgegeben werden.“

Damit das nicht geschieht, setzt der Dekan darauf, dass die Bürgerschaft in Balingen den (bau-)historischen Wert der Friedhofkirche erkennt und zu ihrem Erhalt finanziell beiträgt. „Damit meine ich durchaus auch Menschen, die der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt haben.“ Schließlich seien es nicht selten auch Nicht-Kirchenmitglieder, die sich am lautesten beschweren, wenn ein historisches Gebäude wie die Friedhofkirche dem schleichenden Verfall anheimfalle. Man sieht: Die Debatte um das evangelische Kleinod im Herzen Balingens bleibt spannend.

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