Geislingen

Frust ja, zuhause bleiben nein: Es entsteht ein falsches Bild vom Erzieherberuf

27.01.2021

Von Rosalinde Conzelmann

Frust ja, zuhause bleiben nein: Es entsteht ein falsches Bild vom Erzieherberuf

© Familienzentrum St. Michael

Barfußlaufen im Schnee ist gesund. Das Schneetreten macht den Kindern in der Notbetreuung sichtlich Spaß.

„Öffentlich zu fordern, Erzieher in Kurzarbeit zu schicken, halte ich für untragbar“, sagt Daniela Hatzenbühler, die seit über drei Jahrzehnten in der Kindergartenarbeit tätig ist. Die Geislingerin kann die Darstellung der Erzieherin, die wir am Montag an dieser Stelle veröffentlichten, in Teilen nachvollziehen: „Ich verstehe ihren Frust.“ Dass die Betrachtung aber ein falsches Bild vom Erzieherberuf abgibt, widerstrebt ihr aus tiefster Überzeugung. Sie schildert ihre Perspektive.

Es ist dieser eine Satz, an dem sich die Leiterin des katholischen Familienzentrums St. Michael stört, der sie aufwühlt: „Ich muss meine Zeit totschlagen.“ Der Satz ist auch die Schlagzeile und Hatzenbühler befürchtet, dass er sich in vielen Köpfen festsetzen wird. „Weil Überschriften unwahrscheinlich prägen.“

Was macht es mit dem Berufsstand?

Sie kann die Angst der Erzählerin nachvollziehen, weil sie ungeschützt mit Kindern arbeitet. Gleichzeitig aber stellt sie sich Frage, was diese Angst mit dem Berufsstand macht. Es müsse doch zu regeln sein, dass die Kitaleitung für die Kollegen, die sich vor einer Ansteckung fürchten, eine andere Arbeit findet. Sie kann nur für ihre Einrichtung, den katholischen Kindergarten St. Michael, reden: Es gebe die Möglichkeit von Homeoffice und wer angeschlagen sei, gehe in den Krankenstand. Auch das sei eine Lösung. „Denn die Angst spüren auch die Kinder.“

Hatzenbühler bewertet aber auch die ganz persönliche Einstellung und stellt die provokante Frage, ob eine Erzieherin in Zeiten von Fachkräftemangel an einem Platz sein muss, an dem sie sich nicht wohlfühlt: „Was hält mich denn noch, dass ich es aushalte?“

Die Politik kann nur verlieren

Die Nachfrage nach der Notbetreuung ist standortgemäß sehr unterschiedlich. Der Politik kreidet die engagierte Erzieherin und Mutter von zwei Töchtern nicht so sehr an, dass sie Fehler macht. „Ich würde mit keinem Politiker tauschen wollen, man kann nur verlieren“, konstatiert sie. Allerdings kann sie absolut nicht nachvollziehen, dass die Politik nicht verstanden hat, „dass ich die Kitas und Schulen nicht zumachen kann, wenn ich die die Eltern weiter zur Arbeit schicke.“

Erzieher haben keine Lobby

In ihrer langen Berufszeit hat Hatzenbühler eine Erkenntnis gewonnen: „Die Erzieher haben keine Lobby“. Vielfach sei noch in den Köpfen verhaftet, dass Kitas Betreuungseinrichtungen sind: „Wir sind ebenso Bildungseinrichtungen wie die Schulen.“ Auch wenn sich das Bild von der Familie stark zum Positiven gewandelt habe, brauche es noch viel politische Arbeit.

Apropos Bildungseinrichtung und damit zurück zum Bild der Erzieher: Die Kitaleiterin erzählt von ihrem hoch engagierten Team, das bereit ist, sich auf Neues einzulassen. Die Corona-Pandemie habe ihnen keine Wahl gelassen. Leerlauf kann sie keinen erkennen, auch wenn nur wenige Kinder da sind. Deshalb ist für sie auch Kurzarbeit keine Wahl – im Übrigen für ihren Träger, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, auch nicht.

Mehr Zeit für jedes Kind

In St. Michael beträgt die Auslastung derzeit 50 Prozent, Tendenz steigend. „Wir haben mehr Zeit für jedes einzelne Kind, wir können uns weiterbilden und wir schnüren Pakete, für die Kinder, die nicht da sind.“ Angst vor einer Ansteckung hat Daniela Hatzenbühler nicht: „Ich bin pädagogische Fachkraft.“

Aber sollte die Politik nicht doch mehr vorgeben, klare Ansagen machen? Ja, sagt eine Erzieherin aus einem Nachbarkreis, die jedoch anonym bleiben möchte.

Sie arbeitet in einer städtischen Einrichtung und bestätigt, was die Gewerkschaften seit Weihnachten beobachten und monieren: „Die einen schlagen die Zeit tot, bei den anderen herrscht Normalbetrieb.“

Es herrscht Chaos

Die Kita-Erzieherin beschreibt die Situation seit der erneuten Schließung der Kitas und dem Angebot der Notbetreuung als Chaos. Maßgeblich kreidet sie dieses „Durcheinander“ dem Gesetzgeber, nicht ihrem Arbeitgeber an.

Weil es keine klaren Vorgaben gibt, werde die Notbetreuung von Land zu Land, von Stadt zu Stadt, von Träger zu Träger, aber auch vom Haus zu Haus unterschiedlich gehandhabt.

Das hat nichts mit Notbetreuung zu tun

In ihrem Fall verlange der Träger einen Antrag mit dem Stempel des Arbeitgebers. Ob die Eltern an einzelnen Tagen keine Betreuung benötigen, sei dann irrelevant: „Die Kinder kommen jeden Tag.“ Zum Start der Notbetreuung habe die Hälfte der Eltern sich zurückgemeldet. „Jetzt sind 80 bis 90 Prozent der Kinder da“, sagt sie und wird noch deutlicher: „Eins muss ich sagen, ich freue mich auf jedes Kind, das zu uns kommt. Allerdings hat es für mich, nichts mit Notbetreuung zu tun. Diese Art von Belegung haben wir jedes Jahr um diese Jahreszeit.“

Ihr Appell an die Politik lautet: . Mehr einheitliche Regeln wären sinnvoller. Ich finde es einfach nur schade, dass vieles in unserem Land nicht einheitlich durchgeführt wird.“

Auch die Privaten klagen

Auch die privaten Träger sind in der Frage der Handhabung der Notbetreuung in derselben Bredouille, wie uns von der Kita und Grundschule Malesfelsen in Albstadt, einer Tochtergesellschaft des Unternehmens Groz-Beckert, zurückgemeldet wurde. „Täglich kämpfen wir mit solchen Themen und sind unglücklich, dass die Politik die Träger mit der Notbetreuung mehr oder weniger alleine lässt“, erklärt Nicolai Wiedmann, Geschäftsführer der Kita und Grundschule Malesfelsen.

Während die Stadt Albstadt, wie berichtet, von den Eltern keine Arbeitgeber-Bescheinigung für die Notbetreuung einfordert, wird diese in der Kita Malesfelsen verlangt. Diese unterschiedliche Handhabe in einer Stadt würden die Eltern nicht verstehen.

Intern Probleme schaffe, dass bei den Erziehern und Hortpädagogen Kurzarbeit herrscht, bei den Lehrern nicht, sagt Wiedmann.

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