Zollernalbkreis

Lehrer dürfen im Lockdown daheim bleiben, Erzieher nicht: „Ich muss die Zeit totschlagen“

20.01.2021

Von Rosalinde Conzelmann

Lehrer dürfen im Lockdown daheim bleiben, Erzieher nicht: „Ich muss die Zeit totschlagen“

© Pixabay

Kleine und große Hände malen zusammen: Kitaarbeit geht nur mit Nähe.

„Was sich die wenigsten klar machen, ist, wie unterschiedlich ein Lockdown für Erzieher und Lehrer abläuft.“ Dieser Satz kommt von einer Erzieherin und Mutter, die auf die aus ihrer Sicht herrschenden Missstände in der Zeit der Kitaschließungen und der Notbetreuung aufmerksam machen möchte. Offen schildert sie ihren derzeitigen Arbeitsalltag, berichtet über ihre Ängste vor einer Ansteckung und hinterfragt die Präsenzpflicht. Eine persönliche Betrachtung.

Wir nennen sie Paula M. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt. Die Frau möchte ihn aber nicht in der Zeitung lesen, weil sie mögliche Reaktionen ihres Arbeitgebers fürchtet. Schließlich ist das Thema „Kinderbetreuung in Pandemiezeiten: Kita- und Schulschließungen ja oder nein?“ eine emotionsgeladene Angelegenheit, die die Gesellschaft bis in die Familien hinein spaltet.

Paula M. liebt ihren Beruf

Die Erzieherin, die selbst Mutter ist, hängt an ihrem Beruf und führt ihn seit Jahren in einer städtischen Einrichtung aus. Das ist ihr ganz wichtig zu sagen. Es geht ihr nicht um allgemeinen Berufsfrust.

Es ist für Eltern schwer

Die Landesregierung hat Mitte Januar Woche beschlossen, dass die Schulen und Kitas weiter geschlossen bleiben. „Natürlich ist dies für die Eltern sehr schwer. Homeschooling muss gemacht werden und die Kleinen müssen neben dem Schüler und dem Homeoffice betreut werden“, sagt sie. Darüber werde in den Medien regelmäßig berichtet. Ebenso, dass in den Schulen und Kitas eine Notbetreuung angeboten wird und die Lehrer von zuhause aus Arbeitsmaterial an die Schüler weitergeben.

Präsenzpflicht wird verlangt

So weit, so gut. Dass der Lockdown für Lehrer und Erzieher aber komplett anders abläuft, tauche in den Medien nur wenig auf: „Das ist vielen nicht bekannt.“ Während sich nur die betreuenden Lehrer der Notbetreuung in den Schulen aufhalten würden, seien ihre Kollegen daheim.

„Das gilt für die Erzieher nicht“, sagt Paula M. Hier werde in ihrem Fall trotz einer geringen Anzahl von zu betreuenden Kindern eine Anwesenheit von allen Fachkräften verpflichtend durchgesetzt.

Es gibt nur Empfehlungen

Die Entscheidungsgewalt liegt beim Träger. Mangels einer gesetzlichen Vorgabe gebe es nur Empfehlungen von der Politik. „Und während die Lehrer alle zuhause sein können, werden die Erzieher im direkten Kontakt mit den Kindern eingesetzt“, klagt sie an.

Der Kontakt ist noch enger als vorher

Und dabei würden sie und ihre Kollegen besonders eng mit den Kindern zusammenarbeiten – ohne Maske und ohne Mindestabstand. Der Kontakt sei zurzeit sogar noch enger als sonst, weil die Kinder einer Ausnahmezustand erleben und Sicherheit suchen würden.

Dies sieht dann laut Paul M. so aus: „Kinder werden getröstet, herumgetragen, Tränen und auch Nasen werden an der Erzieherin abgeputzt und es wird mit versabberten Fingern liebevoll gekuschelt oder beim Vorlesen auch gern mal ins Gesicht geniest.“

Augenblicke und Situationen, vor denen keine Maske der Welt die Träger wirkungsvoll schützen können, sagt Paula M. Zumal gerade Kleinkinder das Maskenabnehmen als beliebtes Spiel ansehen würden.

„Ich schlage die Zeit tot“

Sie werde derzeit oft von Eltern auf der Straße angesprochen, was sie und ihre Kollegen derzeit mit so wenigen Kindern den ganzen Tag machen würden. Ihr Antwort ist schockierend ehrlich: „Die Zeit totschlagen. Ja wirklich!“

Weil alle gleichbehandelt werden sollen, herrsche Präsenzpflicht für alle. Und da würden auch die Mütter mit kleinen Kindern und Erziehern, die zur Risikogruppe gehören, nicht ausgeschlossen.

Putzen anstatt Kinder betreuen

Normalerweise würden in den einzelnen Gruppen bis zu 25 Kinder betreut. In der Notbetreuung seien es bis maximal fünf Kinder. Wer nicht direkt mit den Kindern arbeite, werde anderweitig eingesetzt: „Wir putzen, bearbeiten Portfolios und überlegen Aktionen für die Kinder, die zuhause betreut werden.“

Auch diese Arbeiten seien irgendwann erledigt und während man sich die Zeit tot schlage, seien die eigenen Kinder in einer anderen Kita und in der Notbetreuung der Schule für ein paar Stunden untergebracht. „Dadurch steigt das Risiko sich anzustecken“, meint Paula M. Überhaupt sei das Risiko, jemanden anzustecken um ein Vielfaches höher als bei den meisten anderen Berufsgruppen, ist sie sich sicher.

Abends muss man noch lernen

Aber eigentlich hat sie gar keine Zeit, sich anzustecken, merkt sie mit einem zynischen Unterton an. Denn nach der Arbeit muss sie mit ihrem Schulkind noch lernen, weil in der Notbetreuung nur das Notwendigste gemacht wird. „Wie schön, dass jeder Angst hat, sich privat mit uns zu treffen, so bleibt genügend Zeit, Unterrichtsinhalte nachzuholen, während die Kleinen die Wohnung verwüsten“, beschreibt sie das abendliche Chaos.

Keine Kurzarbeit

Und was ist mit Kurzarbeit? Das ist doch für die Städte und Gemeinden eine Möglichkeit, einen Teil der Erzieher daheim zu lassen. „Es liest sich politisch einfach gut, wenn es eine Stadt oder Gemeinde ohne schafft“, ist die Meinung von Paula M. Ihr Arbeitgeber jedenfalls bietet keine Kurzarbeit an.

Das ist aber nicht in jedem Fall so, wie unsere Recherche ergeben hat. Es gibt regionale Unterschiede. Während einige Städte und Gemeinden vor allem im Frühjahr, als die Kitas zum ersten Mal geschlossen wurden, Kurzarbeit für die Erzieherinnen angemeldet haben und auch jetzt wieder zur Kurzarbeit greifen, gibt es Einrichtungen im Kreis, die sowohl im Frühjahr als auch jetzt alle pädagogischen Fachkräfte beschäftigt hatten und haben.

Auch was die Zahlen in der Notbetreuung betrifft, ergibt sich kein einheitliches Bild. Dass nur wenige Kinder da sind, wie es Paula M. erlebt, scheint nicht die Regel zu sein. Im Gegenteil. Vielfach ist es derzeit so, dass die Gemeinden und Städte aus ihrer Sicht (zu) volle Räume haben. Was im Grunde genommen das ursprüngliche Ziel der Notbetreuung verfehlt.

Gewerkschaften schlagen Alarm

Landesweit schlagen derzeit die Gewerkschaften Alarm, weil das Angebot seit Weihnachten immer stärker in Anspruch genommen wird. Das Bildungsmagazin „News4Teachers“ berichtet aktuell, dass in einigen Kitas im Land bereits personelle Engpässe bestünden. Es ist gar von einer Kita- und Schulöffnung durch die Hintertür die Rede und Verdi fordert, dass Corona-Infektionen bei Erziehern als Berufskrankheit anerkennt werden.

Es gibt keine Vorgaben, nur Appelle

Ein Grund für die steigende Nachfrage ist sicherlich darin zu sehen, dass die Landesregierung beim zweiten Lockdown lediglich an die Eltern appelliert, ihre Kinder wenn möglich zuhause zu betreuen. Es gibt entgegen der Coronaverordnung im Frühjahr keine Formvorschriften für die Beantragung oder den Nachweis der Voraussetzungen für die Aufnahme in die Notbetreuung.

Das Land gibt den öffentlichen Trägern lediglich Orientierungshilfen an die Hand. In der aktuellen vom 6. Januar heißt es: „Es gilt vielmehr der dringende an die Erziehungsberechtigten zu richtende Appell, die Notbetreuung nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie zwingend erforderlich ist.“

Letztlich muss jeder Träger auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen, wer die Notbetreuung in Anspruch nehmen darf.

Balingen verlangt Nachweis

Wer sein Kind in einer städtischen Kita in Balingen für die Notbetreuung anmelden möchte, muss eine Unabkömmlichkeitsbescheinigung vom Arbeitgeber vorlegen, sofern sich die Eltern darauf berufen, dass sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit unabkömmlich sind.

Sollten andere schwerwiegende Gründe, wie zum Beispiel pflegebedürftige Angehörige oder der ehrenamtlicher Einsatz in Hilfsorganisationen aufgeführt werden, müssen diese dem jeweiligen Kita-Leitungsteam glaubhaft nachgewiesen werden, sagt Rathaussprecher Jürgen Luppold. „Es sind viel mehr Kinder in der Notbetreuung als im Frühjahr“, bestätigt er.

Rosenfeld wird überrannt

„Wir werden teilweise überrannt“, sagt auch Rosenfelds Stadtchef Thomas Miller. Aus diesem Grund verlangen die Rosenfelder ebenfalls eine Bescheinigung des Arbeitgebers, in der die Unabkömmlichkeit bestätigt wird. „Die Vorgaben im Frühjahr waren restriktiver“, meint Müller. Jetzt spüre man die Lockerung.

In Winterlingen müssen die Eltern einen Antrag ausfüllen, der zusammen mit einer Arbeitgeberbescheinigung vorgelegt werden muss. „Schon im ersten Lockdown haben wir es so gehandhabt und es hat sich bewährt“, sagt Bürgermeister Michael Maier.

Die Geislinger Eltern brauchen ihren Arbeitgeber nicht zu bemühen, sie müssen aber für die Notbetreuung ein Formular ausfüllen, in dem sie ihre Berufstätigkeit beschreiben und ihre Unabkömmlichkeit glaubhaft nachweisen.

Albstadt ist großzügig

Noch großzügiger handhabt es die Stadt Albstadt. Dort müssen die Eltern lediglich eine eigenständige Erklärung abgeben, in der sie ihren Beruf angeben und schlüssig begründen, warum sie die Notbetreuung in Anspruch nehmen wollen. „Wir vertrauen darauf, dass die Angaben richtig sind“, sagt die städtische Sprecherin Sarah Braun. Die Auslastung liege derzeit bei 15 bis 20 Prozent.

In Meßstetten genügt eine schriftliche Anmeldung. Eine Bescheinigung des Arbeitgebers müsse nicht vorgelegt werden, erklärt Thorsten Steidle, Stabstellenleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit würden 80 Jungen und Mädchen die Notbetreuung in Anspruch nehmen.

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