Hechingen

E für (noch nicht) einsatzbereit? Hechinger Hausarzt kritisiert schnelle Rezept-Umstellung

27.01.2024

Von Julia Siedler

E für (noch nicht) einsatzbereit? Hechinger Hausarzt kritisiert schnelle Rezept-Umstellung

© picture alliance/dpa

Das rosafarbene Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente ist seit 1. Januar passé. Abgelöst wurde es vom E-Rezept, das es unter anderem per Smartphone-App gibt.

Der Hechinger Hausarzt Dr. Ingo Pufke kritisiert die schnelle Rezept-Umstellung: „Wir arbeiten auf der Baustelle“, sagt er. „E-Rezepte sind super“, bilanziert hingegen knapp ein Monat nach der Einführung Melanie Pfeffer aus der onkologischen Facharztpraxis Freddy Henne im Stockoch. Ein Stimmungsbild.

Für Patientinnen und Patienten bedeute die Umstellung auf das E-Rezept „mehr Komfort und weniger Wege in die Arztpraxis“, verspricht das Bundesministerium für Gesundheit. „Das erleichtert auch den Praxisalltag: Händische Unterschriften und Wege entfallen, Folgerezepte können ohne erneuten Patientenbesuch ausgestellt werden.“ So weit die Theorie. Und wie funktioniert die Einführung in der – im wahrsten Sinne des Wortes – Praxis?

„Das ist eigentlich noch nicht komplett ausgereift“

Der Hechinger Allgemeinmediziner Dr. Ingo Pufke teilt die Euphorie bislang nicht. „Das alles hat sicherlich seine Vorteile, vor allem für die Patienten“, sagt Pufke. Er kritisiert jedoch: „Das ist alles schnell, schnell begonnen worden, aber eigentlich noch nicht komplett ausgereift.“ Zum Beispiel könnten rezeptfreie Produkte, der Sprechstundenbedarf, Privatrezepte und Medikamente aus dem Bereich der Betäubungsmittel noch nicht als E-Rezept ausgestellt werden. „Momentan kostet es uns im Praxisablauf eher mehr Zeit“, so Pufke. In den Praxen müsse man oft warten, bis die Rechner innerhalb der Telematik-Infrastruktur die Verbindung zum „fiktiven Raum“ haben, in den dann die Apotheke sozusagen eintreten und das Rezept „abholen“ könne. „Wir arbeiten auf der Baustelle“, kritisiert Pufke.

Wieder Mehrkosten für die Praxen

Was den Hechinger Arzt zudem stört: Dass mit der Umstellung am Formular für das Kassenrezept gespart werde. Wenn ein Patient dieses nicht mittels seiner elektronischen Gesundheitskarte in der Apotheke abholen kann, „dann müssen wir das auf einem DIN-A4-Blatt ausdrucken“. Das Papier hierfür sei nicht nur deutlich größer, sondern nun auch eine Ausgabe der Praxis. Und auch wenn die Kosten hierfür freilich überschaubar sind, zahle dennoch „der Arzt und nicht mehr die Krankenkasse“. Pufke stellt fest: „Wir bekommen wieder Mehrkosten aufgebrummt, die nicht erstattet werden.“

„Es funktioniert an sich gut“

Eine positivere Bilanz zieht unterdessen Melanie Pfeffer aus der onkologischen Facharztpraxis Freddy Henne im Stockoch. „Es funktioniert an sich gut“, hält die Medizinische Fachangestellte fest. In der Facharztpraxis mache das E-Rezept aus ihrer Sicht keine größere Arbeit. Im Gegenteil: „Wir müssen die Rezepte nicht mehr ausdrucken und die Patienten müssen nicht noch mal kommen, um sie abzuholen“. Rezepte würden bis auf wenige Ausnahmen (zu denen bisher auch noch privat Versicherte gehören) nicht mehr ausgedruckt. Zu den Ausnahmen gehören unter anderem auch Hilfsmittel wie die Trinknahrung während einer Chemotherapie: „Das geht elektronisch nicht.“ An der Integration dieser Rezepte werde derzeit mit den zuständigen Stellen gearbeitet, heißt es auf der Gematik-Website. Die Gematik ist die GmbH aus den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens, die 2005 eigens zum Zweck der Einführung und Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte gegründet wurde.

Einige Patienten „brauchen noch ein bisschen“

Und was sagen die Patienten? „Wir haben viele ältere Patienten und ein paar, die noch ein bisschen brauchen und sich darüber aufregen, aber es ist ja einfacher und ein Weg weniger“, findet Pfeffer. Obwohl die interne IT derzeit noch etwas an den Vorgängen für die elektronische Signatur der Ärzte feilen müsse, lautet Pfeffers eindeutiges Fazit: „E-Rezepte sind super!“

Eine echte Neuerung – oder eher Werbung?

Die Gematik wirbt zudem mit mehr Sicherheit für die Patienten durch die elektronische Gesundheitskarte, da mögliche Wechselwirkungen besser erkannt werden könnten. Das sei Pfeffer zufolge aber auch bereits zuvor der Fall gewesen. Und auch Allgemeinmediziner Pufke bestätigt: „Wenn Diskrepanzen zwischen Medikamenten vorhanden waren, haben uns die Apotheken sofort informiert.“ Er wisse daher nicht, „ob das jetzt so eine Neuerung ist – für mich ist das eher Werbung.“ Wegen des Besuchs verschiedener Ärzte und Apotheken könne nach wie vor einiges untergehen, sagt er. Es bestehe gewiss die „Hoffnung, mit der elektronischen Lösung alles aufzudecken“. Die Frage aber sei, „ob es nachher auch so sein wird“. Hier liege der Fehler allerdings weniger im System, sondern beim Menschen. „Manche Tabletten gehören so zur Routine, dass Patienten einfach vergessen, sie beim Arzt zu erwähnen.“

In der Apotheke dauert es manchmal einen Moment

Abhilfe soll der elektronische Medikationsplan schaffen, der es ganz offenbar noch nicht von der Theorie in die praktische Umsetzung geschafft hat. Aber: Der Rest „läuft ganz gut bisher“, sagt Petra Spranger von der Hechinger Apotheke Spranger neben dem Kino Burgtheater. Einzig die neue Bedienmaske für die Apothekerinnen und Apotheker sehe etwas anders aus, weshalb es – zumindest momentan noch – „etwas länger dauert“. Die Abläufe an sich hätten sich allerdings nicht wesentlich verändert. Manches Mal seien noch nicht alle Rezepte im virtuellen „Fach“ des Patienten angekommen. Doch dann dauere es meist nur ein paar Minuten, bis alles abrufbar ist.

Vorteil für Patienten: E-Rezepte sind Einzelrezepte

Der große Vorteil, den die Apothekerin in der Umstellung sieht? Patienten können ihre Rezepte überall einlösen. Zudem handle es sich bei den E-Rezepten um Einzelrezepte. Sie erklärt: „Ich habe zum Beispiel zwei der verschriebenen Sachen da, das Dritte aber nicht.“ Kunden mussten in diesem Fall bislang entscheiden, ob sie das fehlende Medikament bestellen lassen – und noch mal kommen – oder es mit allen drei Verschreibungen in einer anderen Apotheke versuchen. Nun könnten sie die vorrätigen Medikamente mitnehmen und die restlichen in einer anderen Apotheke einlösen, so Spranger.

Für die Apothekerin ist es „weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung“

Zudem sei es möglich, auch von unterwegs aus den Hausarzt einfach anzurufen, wenn dringende Tabletten ausgegangen sind. „Dann kann der das bereitstellen und man kann es mit dem Kärtchen auch in München zum Beispiel einlösen.“ Die Geschwindigkeit sei dabei etwas vom Arzt abhängig, denn „die Rezepte sind erst abrufbar, wenn sie signiert sind“, erklärt Spranger. „Für uns ist es weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung. Mir ist es eigentlich egal, ich habe ja keine Wahl – ich muss es ja machen.“ Für Patienten und in der Praxis sei es jedoch, „wenn es mal läuft“, ein Schritt in die richtige Richtung, ist Spranger überzeugt. Und wie sieht die Apothekerin die einfache Einlösung über Online-Apotheken? „Die mag ich als Vor-Ort-Apotheke prinzipiell nicht“, sagt Spranger, die eine ihrer Filialen, die Eugenien-Apotheke im Stockoch, zum Jahresende geschlossen hat, weil sie nicht mehr wirtschaftlich zu führen war (wir berichteten).

Apotheker wussten weder vorher noch jetzt, welche Medikamente Kunden nehmen

Zudem habe die Vor-Ort-Apotheke den Vorteil, dass Kunden Auskunft und Beratung erhielten und bei Stammkunden die Medikationspläne bereits bekannt wären. Denn, das bestätigt auch die Apothekerin, mit der elektronischen Gesundheitskarte hätte sich in dieser Hinsicht noch nichts geändert. Bis auf die „haargenaue Verordnung der Ärzte“, die Übermittlungsfehler nun unmöglich mache, sei die Sicherheit nicht angestiegen. Apotheker wussten weder vorher noch jetzt, welche Medikamente ein Kunde genau einnimmt. „Ich kann aus datenschutzrechtlichen Gründen immer nur auf die aktuelle Verordnung zugreifen“, außer natürlich, man gebe in der Apotheke seinen Medikamentenplan ab. „Alles andere wäre ja auch nicht richtig“, betont sie.

„Mich kostet das momentan mehr Arbeitszeit“

Zurück zum Hechinger Hausarzt Dr. Ingo Pufke, der nicht abstreiten will, dass „der neue Weg Vorteile bringen kann“. Allerdings gebe es Länder, die schon länger elektronisch unterwegs seien. „Vielleicht hätte man da schon vorher mal schauen können, wie genau die das umsetzen.“ Denn: „Mich kostet das momentan mehr Arbeitszeit, das muss man klipp und klar sagen“, so Pufke. Wenn dann aber eines Tages alles laufe, könne es für Patienten durchaus angenehmer werden, glaubt auch er. „Vor allem für chronisch Kranke.“ Denn diese müssten nicht mehr für Wiederholungsrezepte (die sogenannte Mehrfachverordnung) in die Praxis kommen.

Es wäre im Einzelfall katastrophal, wenn sich Patienten nicht mehr blicken lassen

„Ich hoffe nur, dass wir dann nicht in Kontrollprobleme kommen, wenn die Patienten nur noch bestellen und sich nicht mehr zeigen würden“, warnt Pufke. „Denn das wäre im Einzelfall katastrophal.“ Dann etwa, wenn das gewohnte Medikament nicht mehr wirke und der Patient umgestellt werden müsse. Bei allen „Verbesserungen, Verbesserungen, Verbesserungen“ müsse man Pufke zufolge „aufpassen, dass man nicht vergisst, dass es unter dem Strich nicht um die elektronischen Geschichten geht, sondern der Patient weiterhin im Mittelpunkt stehen sollte.“ Nicht die Telematik-Strukturen, sondern Patientenversorgung sei das Wichtigste, betont er.

Extrawege für Privatpatienten sorgen für Schmunzler

Mitunter komme es derzeit aber auch zu lustigen Situationen: Wenn der Ehemann privat und seine Frau gesetzlich versichert sei, fielen schon einmal ungläubige Sätze wie: „Jetzt muss ich da als Privatpatient noch mal separat hierher laufen?“ Für die gesetzlich versicherte Ehefrau wurde es seit dem 1. Januar dann doch etwas einfacher, räumen da auch die Kritiker ein.

„Das ist alles noch nicht so richtig im Fluss“

Und wie sieht es aus, wenn Rezepte für eine andere Person besorgt werden müssen? Melanie Pfeffer, die Medizinische Fachangestellte in der onkologischen Praxis Henne im Stockoch, sieht darin – wie auch die Gematik – kein Problem.

Pufke hingegen fragt: „Ist es korrekt, wenn jemand die Krankenkarte eines anderen benutzt?“ Dies in einer Zeit, „in der alle nach Datenschutz rufen“. Es brauche eine gute Möglichkeit, ohne die Gesundheitskarte an das Rezept zu kommen. Auch hier komme im Zweifel wieder der A4-Ausdruck zum Einsatz. Sonst könne es auch passieren, dass beispielsweise die Sozialstation das Kärtchen für die Medikamentenbeschaffung ausleiht und erst tags darauf zurückbringe. „Dann hat Frau Müller aber einen Herzinfarkt und das DRK will die Krankenkarte sehen“, veranschaulicht Pufke. Wenngleich im akuten Notfall natürlich darüber hinweggesehen werde, findet der Mediziner: „Das ist keine Lösung. Das ist alles noch nicht so richtig im Fluss.“

Was die Gematik dazu sagt

Die Gematik hingegen schreibt zu diesem Thema, dass Versicherte mit der E-Rezepte-App auch Medikamente für andere Patientinnen und Patienten abholen dürfen. Über die Familienfunktion in der App könnten Versicherte gar „die Rezepte für andere Menschen auf deren Wunsch hin in ihrer eigenen E-Rezept-App einsehen und verwalten“, heißt es weiter auf deren Website.

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