Balingen

C’est la guerre – Das ist der Krieg: Erinnerungen an das Bombardement Balingens vor 75 Jahren

21.02.2020

Von Klaus Irion

C’est la guerre – Das ist der Krieg: Erinnerungen an das Bombardement Balingens vor 75 Jahren

© Stadtarchiv Balingen

Die Reste der Balinger Firma „Baltrik“ nach dem Bombenangriff vom 22. Februar 1945.

Ein Zeitzünder, eine explodierende Bombe, ein Splitter, der Tod: Gerhard Ulrich war einer von 30 Menschen, die am 22. beziehungsweise 23. Februar 1945 beim schlimmsten der sechs Weltkriegs-Bombenangriffe auf Balingen ums Leben kamen. Anlässlich des 75. Jahrestags erinnert Gerhard Ulrichs Sohn an das Geschehen und hält ein eindrückliches Plädoyer für Frieden in der Welt.

Es ist der 23. Februar 1945. Der 28-jährige Maschinenbautechniker Gerhard Ulrich und seine Ehefrau Lotte Ulrich, später verheiratete Ströle, haben am Tag zuvor den, wie man später wissen wird, schlimmsten der insgesamt sechs Bombenangriffe auf Balingen, unbeschadet überstanden. Gerhard Ulrich macht sich wie üblich morgens auf den Weg zur Arbeit. Gerade als er am Balinger Bahnhof angekommen war, explodierte eine mit Zeitzünder versehene Bombe. Von einem Splitter wurde der junge Mann tödlich am Kopf getroffen.

Vater nie kennengelernt

Gerhard Ulrich war einer von 30 Menschen, die beim Bombardement Balingens am 22. Februar beziehungsweise an dessen Folgen tags darauf verstarben. Lotte Ulrich war zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes schwanger. Im August 1945 kam ihr Sohn zur Welt, der auf den Namen seines Vaters getauft wurde.

Der 74-jährige Gerhard Ulrich lebt heute in Lampertheim, doch die Erinnerung an die Schrecken des Krieges, die dazu geführt haben, dass er seinen Vater nie kennenlernen durfte, lässt ihn nicht los. Anlässlich des 75. Jahrestags des Bombardements hat er dem ZOLLERN-ALB-KURIER diese Woche folgende Zeilen geschrieben.

Erzählungen der Mutter

„Welchen Sinn hat das Gedenken an ein Ereignis welches nur noch wenigen Menschen aus eigenem Erleben präsent ist? Ich selbst kenne diese Ereignisse auch nur aus Erzählungen meiner Mutter und aus Zeitungsberichten. Und doch fühle ich mich so betroffen, als wäre ich dabei gewesen.

Trauer und Zorn

In gewisser Weise stimmt das auch, da ich im August 1945 in Balingen geboren bin und meine Eltern in Balingen in der Stingstraße wohnten. Die schicksalhaften Umstände, die zum Tod meines Vaters bei diesem Bombenangriff führten, bewegen mich noch heute, und Trauer und Zorn ergreifen mich beim Denken an diesen sinnlosen Krieg, der in bisher nicht vorstellbarer, menschenverachtender Weise geführt wurde und ungeheures Leid bei so vielen Menschen verursacht hat.

C’est la guerre – Das ist der Krieg: Erinnerungen an das Bombardement Balingens vor 75 Jahren

© Privat

Das frisch verheiratete Paar Lotte und Gerhard Ulrich im Jahr 1943.

Mein Vater ist 1916 in Metzingen geboren und war Maschinenbautechniker, als er 1937 Soldat wurde. Er war beim Heeresmusikkorps und hat in Ausübung dieses Dienstes bei Auftritten in der Heimat wohl meine Mutter kennengelernt und dann 1943 geheiratet.

Dienst in der Heimat

Anhand von Fotos kann ich sehen, dass er während des Krieges in Frankreich, Griechenland und Russland eingesetzt war. Das schien ihm wohl zu gefährlich zu sein, zumal zwei seiner Brüder bereits gefallen waren, und er konnte erreichen, zu kriegswichtigem Dienst in die Heimat verlegt zu werden, wo er seiner Arbeit als Maschinenbauer nachging.

Tödlicher Bombensplitter

Das junge Familienglück schien perfekt. Der Bombenhagel am 22. Februar war ohne eigene Schäden vorbeigegangen, und so machte er sich am 23. Februar, wie viele andere auch, auf den Weg zur Arbeit. Am Bahnhof, wo wohl ein Schild vor Blindgängern warnte, kam es zur Explosion einer mit Zeitzünder bestückten Bombe, und ein Bombensplitter verletzte ihn tödlich am Kopf, während alle anderen Passanten mit dem Schrecken davonkamen.

Hinweis, aber keine Absperrung

Von der französischen Besatzungsverwaltung wurde dann unterstellt, er wäre in gewisser Weise selbst schuld, da er den Hinweis auf Blindgänger missachtet hätte. Die Stellungnahme endete mit der lapidaren Feststellung: C`est la guerre – Das ist der Krieg. Meine Mutter hat erst zehn Jahre später, anlässlich eines Zeitungsartikels zum Jahrestag, den Mut zu einer öffentlichen Erwiderung gefunden und argumentiert, wie ein Soldat, der an den Kriegsfronten eingesetzt war, sich vor Blindgängern fürchten könne. Es wäre nötig gewesen, den Platz ordnungsgemäß abzusperren.

Fragile Lebensplanung

Was will ich mit dieser Schilderung zu Ausdruck bringen? Ich möchte zeigen wie fragil unsere Lebensplanung sein kann, wenn das sogenannte Schicksal in diese Pläne einbricht, sowohl im Guten wie im Schlechten. Und ich möchte deutlich machen, dass Schreckensmeldungen und Bilder von denen wir nicht direkt betroffen sind und die heute durch die Medien in hohem Masse uns zur Kenntnis gelangen, immer mit persönlichem Schicksal und Leid zusammenhängen.

Aktiv um Weltfrieden bemühen

Wir sollten nicht abstumpfen und die Kriegsberichte aus aller Welt nur als Information zur Kenntnis nehmen, sondern aktiv werden und uns um einen Weltfrieden bemühen, auch wenn es aussichtslos erscheinen mag. Die 75 Jahre, die wir in Deutschland und Europa in Frieden leben durften, sind keine Selbstverständlichkeit. Deshalb finde ich solche Erinnerungstage wichtig, um vor allem den jüngeren Menschen, für die der Frieden Normalzustand geworden ist, zu sagen: seid wachsam und bewahrt den Frieden!“

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