Balingen

Bürokratie, Kosten, Vorgaben: Wohnbau Balingen sieht Herausforderungen, aber will nicht schwarzmalen

28.02.2024

Von Jasmin Alber

Bürokratie, Kosten, Vorgaben: Wohnbau Balingen sieht Herausforderungen, aber will nicht schwarzmalen

© Jelena Marjanov

Ein Neubauprojekt der Wohnbaugenossenschaft, das kurz vor dem Abschluss steht: die vier Mehrfamilienhäuser im Roßnägele.

„Wer glaubt ernsthaft, dass die Baukosten wieder sinken?“ Diese durchaus provokante Frage stellt Matthias Aigner, Vorstand der Wohnbaugenossenschaft Balingen. Wie trifft die Baukrise die WBG, was bedeutet die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage für laufende und neue Projekte? Und was sind aus Sicht der Wohnbau die politischen Stellschrauben, an denen dringend gedreht werden müsste? Matthias Aigner und Vorstandskollege Karl-Heinz Welte berichten im Gespräch über aktuelle Herausforderungen und wagen einen Blick in die Zukunft.

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen erwartet bei seiner Prognose der Bautätigkeit einen deutlichen Einbruch. „Die Baukrise betrifft uns wie alle anderen Marktteilnehmer auch“, sagt Matthias Aigner, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Balingen (WBG). Sprich: Die Auswirkungen multipler Krisen – von den Finanzierungskonditionen über Fachkräfte- und Materialmangel bis hin zu langen Genehmigungsprozessen treffen Genossenschaften genauso wie Bauträger und bauwillige Privatleute.

Zur Veranschaulichung der Entwicklung zieht er eine Statistik der Deutschen Wohnungswirtschaft heran, die ausgerechnet hat, wie sich die Baukosten auf die zu verlangenden Mietpreise auswirken, um rentabel zu sein: Die Modellrechnung zeigt, wie Zinsentwicklung und Baukosten die Gesamtkosten im Mietwohnungsbau – ein Geschäftsbereich der Wohnbau – in die Höhe treiben. So würde die Netto-Kaltmiete je Quadratmeter Wohnfläche (jeweils im Durchschnitt) seit Mitte 2021 von 10,95 Euro auf prognostiziert 18,10 Euro steigen – also um rund 65 Prozent.

Selbstredend kein rein Balinger Problem, wie Aigner betont. Vielmehr sind es insgesamt „richtig schwierige Rahmenbedingungen“. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Wohnbau Balingen sich auf andere Bereiche konzentriert als den (Miet-)Wohnungsbau? Mitnichten, wie sowohl Matthias Aigner als auch Vorstandskollege Karl-Heinz Welte betonen. Jedoch muss sich auch die WBG auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen.

Klare Meinung zu städtischer Wohnbaugesellschaft

„Wir stehen für bezahlbaren Wohnraum“, sagt Aigner. Bei der Wohnbau gehe es gemäß der genossenschaftlichen Leitlinie darum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, nicht um Profitoptimierung. Deshalb stehe am Ende des Geschäftsjahres die schwarze Null. Das Problem dieser Geschäftsweise: Die Genossenschaft kann so keine Rücklagen bilden.

Wäre da eine – von manchen immer wieder geforderte – Umwandlung in eine städtische Wohnbaugesellschaft ein probates Mittel zur Schaffung von mehr Wohnraum? Oder gar eine Neugründung? Das verneinen die beiden Vorstände. „Die Finanzmittel der Stadt sollten sinnvoller eingesetzt werden, und zwar hinsichtlich der Genossenschaft“, begründet Aigner den hohen Kostenaufwand für solch eine neue Wohnbaugesellschaft. Sprich: Statt einer Neugründung oder Umwandlung sollte ein bestehendes Organ subventioniert werden, fordert er. Kommunale Zinssubventionen für die Wohnbau gab es bereits einmal, weiß Karl-Heinz Welte, der seit 34 Jahren bei der Wohnbau Balingen, davon 22 Jahre als Vorstand, tätig ist (siehe Beitrag zu seiner Person und dem anstehenden Ruhestand unten). „Die Stadt hatte dann Mitspracherecht bei der Belegung.“ Solch eine Zusammenarbeit sei immer wünschenswert, kommentiert Aigner.

Das ist der Stand bei laufenden Bauprojekten

Ein Blick auf aktuelle Projekte zeigt, wie die Wohnbau neuen Wohnraum schafft. Im Mai 2023 wurden die ersten 11 Mietwohnungen in den Mehrfamilienhäusern im Roßnägele bezogen, im Dezember die ersten Eigentumswohnungen übergeben. Die verbleibenden 27 Mietwohnungen sind zum März beziehungsweise April dieses Jahres vermietet. „Der Markt hat das dringend gebraucht“, sagt Aigner zu diesem großen Bauvorhaben.

Bürokratie, Kosten, Vorgaben: Wohnbau Balingen sieht Herausforderungen, aber will nicht schwarzmalen

© Jelena Marjanov

Die Wohnbaugenossenschaft erstellt auf dem ehemaligen Bali-Möbel-Areal ein Mehrfamilienhaus – das „Atrium am Stutzenweiher“ (vorne rechts im Bild).

Das Projekt „Atrium am Stutzenweiher“ der Wohnbau auf dem ehemaligen Bali-Möbel-Areal liegt laut Aigner im Zeit- und Kostenrahmen. Es entsteht im Schulterschluss mit der Rosenfelder Firmengruppe Jetter, die auf der innerstädtischen Brache Mehrfamilien- und Reihenhäuser baut. Interessierte können sich bei den Tagen der offenen Baustelle am 8. und 9. März umschauen. Rund ein Drittel der insgesamt 23 Eigentumswohnungen in diesem Mehrfamilienhaus sind bereits verkauft. „Mit dem Bezug rechnen wir Ende des Jahres.“

Bei Keplerstraße „liegt Ball bei der Stadt“

Anders sieht es mit dem Bauvorhaben in der Keplerstraße, quasi hinter der Stadthalle, aus. Die Wohnbau will auf diesem Grundstück zwischen B27 und Etzelbach rund 40 Wohnungen bauen. Der Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplan wurde durch den Gemeinderat im Februar 2023 gefasst, bei der Wohnbau hofft man auf den Abschluss des Bebauungsplans im ersten Halbjahr 2024, um die Erschließung und weitere Planung anzugehen. „Der Ball liegt bei der Stadt“, sagt Aigner. Auch was die Grundstückskäufe von der Stadt, die im Dezember 2022 angestoßen wurden, angeht.

Die lange Dauer, bis die Voraussetzungen für Neubauten geschaffen sind, sei kein ausschließliches Problem der Stadt Balingen, „aber es gibt Gemeinden, die es schneller hinbekommen“, merkt der Vorstand an. Man manche seitens der Wohnbau auch keinen Druck, weil die Baubranche derzeit ohnehin angespannt sei, ergänzt Welte. Dennoch sind die Wohnbauchefs realistisch: „2024 brauchen wir nicht mit einem Baubeginn rechnen.“

Aigner: „Was will Balingen?“

Hat die Stadt in Sachen Stadtentwicklung ein strukturelles oder ein Bürokratieproblem? In gewisser Weise beides, so Matthias Aigners Meinung. Er kategorisiert Balingen als „urbanes Zentrum im Zollernalbkreis“ und regt an, Bebauungspläne „größer über die Stadt zu denken“. Er merkt an, dass es schließlich auch Stadtentwicklungsbüros gebe und fragt: „Was will Balingen?“ Insgesamt sei bei der Nahwärme- und E-Mobilität-Infrastruktur noch einiges zu tun, vor allem außerhalb der Innenstadt. Positiv hebt Aigner hervor: „Was Balingen hervorragend gemacht hat, ist die Fußgängerzone und war die Gartenschau.“ Beides sei relevant für die Innenentwicklung.

600 Namen auf der Warteliste – Leerstand: 0,0

Denn weiterer (bezahlbarer) Wohnraum ist dringend notwendig. „Es fehlen im Südwesten Wohnungen“, sagt Aigner. Die Wirtschaft hier in der Region sei stark, und Fachkräfte bräuchten Wohnungen. Das zeigt auch ein Blick auf die Warteliste bei der Wohnbau: 600 Mietinteressenten – davon viele für Wohnungen im preiswerten Segment – stehen darauf, Tendenz steigend. Und das bei einem „Bestand von 0,0 Leerstand“. Was die Wohnbau ebenfalls zu spüren bekommt: „Die Nachfrage nach Eigentum ist etwas eingebrochen“, sagt Aigner, der das auf die hohen Zinsen, die Rezession und Inflation zurückführt.

„Die Wohnungsnot lässt sich nicht mit Einfamilienhäusern lösen, aber auch nicht mit Plattenbau“, konstatiert Matthias Aigner. „Wir müssen in Zukunft nach oben gehen“, fasst Karl-Heinz Welte zusammen. Ein Idealbild aus Sicht der Wohnbau für solche Lösungen befindet sich in der Bohnenbergerstraße, wo die Wohnbau ansprechende Mehrfamilienhäuser ohne Hochhauscharme gebaut hat.

Balingen setzt künftig verstärkt auf Konzeptvergaben. Gegen diese Form für Neubauvorhaben haben die Wohnbauvorstände nichts, üben aber Kritik daran, wenn die Kriterien schon zu eng vorgefasst sind – wie viel Konzept also dann überhaupt noch entstehen kann. Problematisch wird es, wenn die Vorgaben kostenträchtig sind, meint Karl-Heinz Welte. Man wolle schließlich auch von Haus aus nachhaltig und mit erneuerbaren Energieformen bauen, aber möglichst kostengünstig. Dennoch: Beispielsweise in Urtelen werde man sich beteiligen, sobald die Stadt mit den Grundstücksvergaben beginne.

Zugeständnisse und viele Akteure gefragt

Stichwort Sozialwohnungen und günstiger Wohnraum: Dieser werde von der Wohnbau erhalten, nicht zuletzt durch den Mietdeckel mit einer Durchschnittsmiete von 7 Euro je Quadratmeter. Diese liege laut Aigner 20 Prozent unter dem Marktdurchschnitt in Balingen. Bei den Sozialwohnungen „muss richtig was passieren“, fordert er. Viele Akteure sind dabei gefragt, nicht nur, wenn es um Förderung und Subventionen geht. Sondern auch bei den Zugeständnissen. Seien es die Grundstückspreise oder Vorgaben und Standards wie die 1,5 Stellplätze je Wohneinheit, die es bei Sozialwohnungen oder sehr günstigen Wohnungen vielleicht gar nicht bräuchte, befinden Welte und Aigner. Hier seien aber Bund, Land und Kommune gleichermaßen gefragt.

Nichtsdestotrotz will die Wohnbaugenossenschaft – mit Betonung auf „Bau“, wie Aigner es sagt – ihren Auftrag erfüllen, wenn sich die Möglichkeit für neuen Wohnraum ergibt.

Herausforderungen, aber kein Schwarzmalen

Ein großes Thema der nahen Zukunft ist für die Wohnbau, deren Geschäft zu einem Großteil aus dem Bewirtschaften und Vermieten von Eigen- und Fremdbestand besteht, die Dekarbonisierung – also der Weg weg von kohlenstoffhaltigen Energieträgern. Denn, so erklärt Aigner, „Baden-Württemberg will schneller als die EU-Vorgaben sein. Und das kostet uns bis 2040 zwischen 20 und 30 Millionen Euro.“ Trotz eines gut instandgesetzten Bestands, wie er noch anmerkt.

Schwarzmalen ist aber nichts für das Vorstandsduo, obgleich Matthias Aigner, wie eingangs erwähnt, nicht damit rechnet, dass die Baukosten wieder maßgeblich sinken werden. Ebenso sehe es in absehbarer Zeit auch beim Zinsniveau aus. „Aber es gibt immer gute und schlechte Phasen“, resümiert Aigner. „Es ist nicht aussichtslos, aber alles muss sich auf ein neues Niveau einpendeln.“

Vorstandswechsel: Karl-Heinz Welte geht in Ruhestand

Am 29. Februar hat Karl-Heinz Welte übrigens offiziell seinen letzten Arbeitstag bei der Wohnbaugenossenschaft Balingen. 34 Jahre lang war der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Wohnbau, davon 22 Jahre als Vorstand. „Es war ein Glücksfall“, sagt er heute dazu, wie er zur Wohnbau gekommen ist. Diese Entscheidung würde er auch immer wieder treffen, wie er resümiert. Das Positive in seinem Beruf sei gewesen, dass es im Arbeitsalltag immer gemenschelt hat.

Bürokratie, Kosten, Vorgaben: Wohnbau Balingen sieht Herausforderungen, aber will nicht schwarzmalen

© Wohnbau

Wechsel im Vorstand: Karl-Heinz Welte (links) verabschiedet sich nach 34 Jahren bei der Wohnbaugenossenschaft Balingen in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin Andrea Scherer tritt zum 1. März ihre neue Tätigkeit an. Sie bildet mit Matthias Aigner das neue Vorstandsduo.

„Die Arbeit hat mir immer Spaß gemacht, Zahlen sind meine Welt.“ Das zeigt sich auch in seiner Rückschau in Zahlen, von seinem Beginn bei der Wohnbau im Jahr 1990 bis heute. Die Bilanzsumme von damals (aus DM umgerechnet) 21 Millionen Euro habe sich fast verdoppelt. Gebaut wurden in dieser Zeit annähernd 1000 Wohnungen, wie Welte aufführt, der Bestand hat sich seinen Angaben zufolge um 20 Prozent erhöht. Sogar ein Plus von 230 Prozent sei bei den verwalteten Einheiten (der sogenannten WEG-Verwaltung) zu verzeichnen.

Zu Weltes Vorstandsaufgaben zählten die Bereiche Finanzen, Controlling und Wohneigentumsverwaltung.

Nachfolgerin aus eigenen Reihen

Laut Satzung der Wohnbau muss es zwei hauptamtliche Vorstandsmitglieder geben. Andrea Scherer tritt Weltes Nachfolge an und bildet zum 1. März mit Matthias Aigner, der Vorsitzender und Geschäftsführer ist, das neue Vorstandsduo. Sie ist bei der Wohnbau keine Unbekannte. Sie ist seit 1. Oktober 2013 in der Verwaltung der Wohnbau und bis dato als Prokuristin im Immobilien-Center am Alten Markt tätig. In ihrer neuen Funktion zeichnet sie zudem für die Bereiche Vertrieb, Marketing und Wohnungseigentümerverwaltung verantwortlich. Das Controlling „wechselt“ in den Zuständigkeitsbereich von Matthias Aigner.

Die Wohnbaugenossenschaft Balingen beschäftigt rund 30 Mitarbeiter. Dass darunter viele mit langer Betriebszugehörigkeit sind, darauf sind Matthias Aigner, Karl-Heinz Welte und Andrea Scherer sehr stolz.

Viel Wert wird auf die Ausbildung junger Menschen gelegt – eine herausfordernde Aufgabe, wie die drei betonen, die aber gerne erfüllt werde.

Diesen Artikel teilen: