Zollernalbkreis

„Wir werden alle Hände brauchen“: Die Corona-Lage im Zollernalb-Klinikum spitzt sich zu

18.03.2020

Von Michael Würz

„Wir werden alle Hände brauchen“: Die Corona-Lage im Zollernalb-Klinikum spitzt sich zu

© Michael Würz

Arbeiten? Bitte, wo möglich, ab sofort nur noch im Home Office! Raus ins Freie? Bitte nur noch alleine oder in allerkleinsten Gruppen! Medizinstudenten der Klinik in Balingen appellieren dringend an die Bevölkerung im Zollernalbkreis.

Die Zahlen lassen keine Zweifel: Dem Zollernalb-Klinikum stehen harte Tage bevor. Wie sich das Krankenhaus vorbereitet, worum der Klinikchef bittet.

Haben die Menschen in der Region den Ernst der Lage verstanden? Dr. Gerhard Hinger, Chef des Zollernalb-Klinikums, hat seine Zweifel. Deshalb lädt er am Mittwoch spontan die Presse ein, will noch einmal aufklären über die aktuelle Entwicklung der Coronakrise – und die Patientenzahlen, die der Klinik in den nächsten Tagen bevorstehen. Hingers dringende Botschaft: „Die Menschen müssen verstehen, dass sie sich an die Vorgaben der Landesregierung halten müssen.“ Denn, so viel ist bereits sicher: Die Lage wird in den kommenden Tagen deutlich dramatischer, die Intensivbetten knapp.

Hinger rechnet vor: Bereits bis Sonntag wird es im Zollernalbkreis rund 170 bestätigte Covid-19-Fälle geben. Eine Woche später bereits dürfte die Zahl im Kreis bei rund 700 liegen. Bis zum 6. April sei mit mehr als 5300 Infizierten im Kreis zu rechnen. Und: Es zeichne sich aus seiner Sicht keinesfalls ab, dass die Ausbreitung harmloser verlaufe als in anderen Ländern, die es bereits hart getroffen hat – wie etwa Italien.

Was auf die Klinik zukommt

So könnten in einer eher optimistischen Rechnung Anfang April bereits rund 270 Patienten mit Covid-19 im Krankenhaus liegen. Und weitere 50 ein Intensivbett mit einer Beatmungsmaschine benötigen. Eine weniger optimistische Rechnung, die auf den Zahlen aus China beruht (wo bei 15 Prozent der Patienten schwere und bei 5 Prozent lebensbedrohliche Verläufe auftraten), kommt zu einem dramatischen Ergebnis, das sie derzeit ebenfalls in der Klinik durchspielen. Dann könnten am 6. April bereits mehr als 800 Patienten im Krankenhaus liegen – und 269 weitere ein Intensivbett benötigen.

Letzteres ist gewissermaßen das Horrorszenario – doch auch bei einem deutlich harmloseren Verlauf werden die Kapazitäten nicht ausreichen: Im Zollernalb-Klinikum gibt es derzeit 13 Intensivbetten mit Beatmungsmaschinen. „Wir haben eine Großbestellung aufgegeben“, berichtet Hinger. Der hofft, dass die Klinik schnell beliefert wird. 35 Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit wolle man schaffen, erklärt der Klinikchef.

Es ist wichtig, die Kurve zu drücken

Damit läge das Zollernalb-Klinikum über der Empfehlung der Regierung, die den Kliniken rät, ihre Beatmungsplätze zu verdoppeln. Doch so oder so: Die Lage spitzt sich dramatisch schnell zu, dazu genügt ein einfacher Blick auf die Entwicklung der Zahlen. Und dies im Übrigen auch dann, würden die Menschen sich vorbildlich verhalten. Umso wichtiger aber sei, die Kurve so stark wie möglich zu drücken, appelliert Hinger. Was das für ihn bedeutet? Unternehmen sollten Mitarbeiter, die von zuhause arbeiten können, unbedingt ins Home Office schicken. Ohnehin obligatorisch: In den Ellenbogen niesen, nicht die Hände schütteln. Ins Freie sollten die Menschen ausschließlich in Kleinstgruppen, etwa mit dem Partner oder den Kindern.

Eine mögliche Ausgangssperre hingegen betrachtet Hinger mit gemischten Gefühlen: Es sei aus medizinischer Sicht nicht verkehrt, wenn die Menschen – eben alleine oder in kleinsten Gruppen – an die frische Luft dürften. Der Haken dabei: Das funktioniert auch im Zollernalbkreis bislang nur leidlich, vorsichtig formuliert.

Die Cafés sind voll

Volle Cafés am Wochenende, Menschen dicht gedrängt in der Sonne – das sind die Bilder, die Hinger in dieser schweren Zeit die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Das Gebot der Stunde lautet für den Mediziner deshalb: Aufklärung. So wie es dieser Tage Lara Kaufmann getan hat, die Medienmanagement studiert und in der Unternehmenskommunikation der Klinik arbeitet. Sie erzählt: Unternehmen hätten ihre Mitstudierenden reihenweise ins Home Office geschickt – die sich dann zur gemeinsamen Arbeit in Cafés getroffen hätten.

„Wir werden alle Hände brauchen“: Die Corona-Lage im Zollernalb-Klinikum spitzt sich zu

© Michael Würz

Sie will aufklären: Lara Kaufmann.

Kaufmann kann kaum glauben, was sie sieht, als sie Fotos davon auf Instagram entdeckt. „Ich habe ihnen unsere Zahlen gezeigt, die wir im Zollernalb-Klinikum errechnet haben.“ Erst jetzt haben die Studierenden verstanden. Während Lara Kaufmann am Mittwoch erzählt, sind im Innenhof der Balinger Klinik zahlreiche Arbeiter am Werke: Sie bauen ein Zelt auf, für das Hinger 35 weitere Betten bestellt hat. Das „Coronazelt“ soll Mitte kommender Woche in Betrieb gehen – als eine Art Vorsortierungsstation der eintreffenden Covid-19-Patienten. Auch die Albstädter Acura-Klinik habe bereits Hilfe angeboten, könnte vor allem Patienten, die nicht an Corona erkrankt sind, aufnehmen.

Patienten werden entlassen

Im Zollernalb-Klinikum selbst wollen sie alle Patienten entlassen, die nicht an potenziell lebensbedrohlichen Krankheiten leiden. Und, auch dies eine weitere Überlegung: Man könnte die beiden Häuser, Albstadt und Balingen, trennen. Albstadt, mit der Stroke Unit, der Kardiologie und der Gefäßchirurgie primär als „normale“ Klinik betreiben. Und Balingen, abgesehen von der Gynäkologie und Geburtshilfe, als Coronazentrum nutzen. Außerdem ziehen sie die medizinischen Disziplinen zusammen: Anästhesisten etwa würden fortan auch auf der Intensivstation eingesetzt. Hinger weiß: „Wir werden alle Hände brauchen!“

„Wir werden alle Hände brauchen“: Die Corona-Lage im Zollernalb-Klinikum spitzt sich zu

© Michael Würz

Hier, hinter der Klinik in Balingen, bauen sie ein Zelt auf. Zahlreiche Betten sind bestellt.

Weitere Änderungen kommen in Kürze auch auf Besucher zu, erklärt der Klinikchef. Nur noch in ganz wenigen, medizinisch gut begründeten Fällen könne man Besucher in die Klinik lassen. Entschieden werde dies künftig in einem „Akkreditierungszelt“ vor dem Eingang. Auch ein Sicherheitsdienst komme dort zum Einsatz.

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