Zollernalbkreis/Tübingen

Windräder in der Region Neckar-Alb: Hürden sinken, Naturschützer mahnen

27.01.2023

Von Klaus Irion

Windräder in der Region Neckar-Alb: Hürden sinken, Naturschützer mahnen

© Klaus Irion

Die einzigen drei Windrotoren im gesamten Zollernalbkreis stehen seit über 20 Jahren auf dem Melchinger Himmelberg.

Die Bedrohung von Vögeln und Fledermäusen durch Windkraftanlagen in der Region Neckar-Alb, also den Landkreisen Zollernalb, Reutlingen und Tübingen ist wesentlich geringer, als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen Experten, die ihre Untersuchungsergebnisse nun in Tübingen vorgestellt haben. So ganz einig sind die Naturschutzverbände BUND und Nabu damit aber nicht.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg soll in Windeseile umgesetzt werden: Bis 2025 will der Regionalverband Neckar-Alb rechtsverbindliche Flächen gefunden haben, auf denen Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen gebaut werden können. Laut Gesetz sind dafür zwei Prozent der Landesfläche vorgesehen, wobei Windräder mit 1,8 Prozent einen deutlichen Vorrang vor Solarpanelen einnehmen. So weit, so bekannt.

Detaillierte Untersuchung

Dass diese Veränderung im Landschaftsbild nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten relevant ist, erläuterte ein Expertengremium für Artenschutz dieser Tage in Tübingen. Die Sorgenkinder der Naturschützer: der Rotmilan und die Fledermaus. „Insgesamt sind 32 Brutvogelarten und 14 Fledermausarten durch den Ausbau der Windkraftanlagen gefährdet“, erklärt Sebastian Olschewski vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Um die Flächen zu identifizieren, auf denen Windräder die einzelnen Arten unmittelbar bedrohen, wurden viele Daten erhoben und in einem Fachbeitrag „Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie“ veröffentlicht. Diese wurden dann in einer Karte verarbeitet und können so mit den Planflächen verglichen werden.

Keine Blockade durch einzelne Horste

Das Ergebnis: „Über 75 Prozent der potenziellen Bauflächen für Windkraftanlagen liegen außerhalb der Schwerpunktvorkommen der gefährdeten Tiere“, sagt Olschewski. Noch eine gute Nachricht: die Standortplanung sei durch eine Novelle im Bundesnaturschutzgesetz leichter geworden – es gehe jetzt mehr um den Erhalt ganzer Populationen als um den Schutz der einzelnen Horste, die so nun keine Bauvorhaben mehr blockieren können. Allerdings hat der Fachbericht selbst keine rechtliche Verpflichtung: „Es müssen gute Gründe vorliegen, um in einem Schwerpunktgebiet bauen zu können. Das ist dann aber kein Tabu, sondern nur eine Hilfestellung.“

Ausweichrate von 98 Prozent

Windkraftanlagen in oder nahe Schwerpunktgebieten können aber auch funktionieren, weiß Dagmar Adolph, Managerin für Natur- und Artenschutz bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW): „Wir haben bei bereits bestehenden Windkraftanlagen Sichtungen mit einer Kamera aufgenommen und ausgewertet.“ Dabei seien lediglich sieben Flugbewegungen aufgezeichnet worden, die eine Chance zur Kollision mit einem Windrad gehabt hätten. „Das entspricht einer Ausweichrate von über 98 Prozent“, erklärt Adolph.

Ablenkflächen eingerichtet

Als zusätzliche Schutzmaßnahmen seien Ablenkflächen für die Vögel eingerichtet worden, und spezielle Algorithmen schalten die Windräder zu bestimmten Zeitpunkten ab. So sei das Konfliktpotenzial zwischen Rotmilan und Windrad dann besonders hoch, wenn die landwirtschaftlichen Flächen geerntet würden und der Nachwuchs versorgt werden müsse. „Dann kommen die Mäuse aus den abgeernteten Feldern raus und der Rotmilan geht in diesen Gebieten auf die Jagd.“

Windräder in der Region Neckar-Alb: Hürden sinken, Naturschützer mahnen

© Klaus Irion

Bei Freiland-Fotovoltaikanlagen, wie hier in Balingen-Heselwangen, ist der Widerstand in der Öffentlichkeit häufig geringer als bei Windkraftanlagen.

Die Vorbehalte gegenüber den geplanten Solaranlagen scheinen dagegen geringer zu sein. „Die Fotovoltaik wird immer als Möglichkeit zu Verbesserung gesehen, Windräder dagegen als Konflikt“, schätzt Timur Hauck, ebenfalls Manager für Natur- und Artenschutz bei EnBW, die Stimmung in der Bevölkerung ein. „Klimaschutz global betrachtet, bedeutet aber auch immer Artenschutz. Solarparks haben hier das Potenzial einer eierlegenden Wollmilchsau.“ Durch Steinhaufen oder Insektenhotels könne das Gebiet weiterhin von vielen Tierarten genutzt werden. Außerdem wachse die natürliche Flora unter den Parks, wo eine gesunde Mischung aus Licht und Schatten herrsche. „Selbst Moore könnten durch eine Bebauung mit Solarpanelen wiedervernässt werden“, schlägt Hauck vor.

Zugvögel vergessen

Die Naturschutzbünde Bund und Nabu sehen die Entwicklung kritischer. Besonders am Fachbeitrag Artenschutz hat Yassin Cherid vom Dialogforum Energiewende und Naturschutz seine Zweifel: „Wir haben die Sorge, dass Flächen ausgewiesen werden, die aufgrund des Beitrags unkritisch erscheinen, es aber eigentlich gar nicht sind“, sagt Cherid. So seien keine Zugvögel-Gruppen mit in Betracht gezogen worden und es gebe keine rechtliche Verbindlichkeit. „Spezifische Standorteigenschaften müssen auf jeden Fall beachtet werden.“

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