Rangendingen

Wenn Kunden schimpfen, pöbeln, beleidigen: Rangendinger Supermarkt-Chefin bersorgt um Personal

04.03.2023

Von Michael Würz

Wenn Kunden schimpfen, pöbeln, beleidigen: Rangendinger Supermarkt-Chefin bersorgt um Personal

© Michael Würz

„Wir sind immer freundlich und halten auch gern ein Schwätzle mit unseren Kunden“: Supermarkt-Inhaberin Melanie Sinz, hier in ihrem Edeka-Markt im Haigerlocher Madertal, sagt, sie liebt ihren Job. Doch heute vor einer Woche lernt sie Kunden von einer anderen Seite kennen. Sie glaubt: „Es mangelt an Respekt.“

Melanie Sinz stößt nach einem Vorfall im Rangendinger Edeka-Markt eine öffentliche Debatte an. Denn Corona und Inflation lasten auf den Nerven vieler Menschen – Beschäftigte im Handel leiden immer öfter unter den Auswirkungen.

Samstag, das ist Großkampftag im Supermarkt. Doch was sich heute vor einer Woche im Rangendinger Edeka-Markt abgespielt hat, war anders. Weit mehr Kunden als sonst strömten in den Laden von Melanie Sinz. Und weil umliegende Metzgereien Betriebsferien haben, hatten sie alle ein Ziel: die Wurst- und Fleischtheke.

Eigentlich hätte sich die Geschäftsfrau über den Ansturm freuen können. Wären da nicht diejenigen Kunden, die sich mit der Warteschlange partout nicht abfinden wollten. „Ich habe ein Schild auf die Theke gestellt“, berichtet Inhaberin Sinz. „Bitte behandeln Sie unser Personal mit Respekt“, schrieb sie darauf. „Es kommt zu erhöhten Wartezeiten, da umliegende Metzgereien Urlaub machen.“ Und die Chefin bat ihre Kundschaft, nur eine Warteschlange zu bilden, nicht mehrere. „Es wird der Reihe nach bedient. Vielen Dank für Ihr Verständnis!“

„Da gab es richtig Terz“

Der Appell kommt nicht bei allen Kunden an. Nicht bei denjenigen, die ihre Ungeduld direkt an den Mitarbeitern auslassen. „Da gab es richtig Terz“, schildert Sinz die Situation, berichtet auch von heftigen Beleidigungen. Schlicht „ganz und gar respektlos“ hätten einige ihre Beschäftigten angegangen.

Die Supermarktchefin, der ohnehin wichtig ist, sich für ihr Team einzusetzen, erträgt die Szenen an diesem Tag nur schwer. Als regelrecht apathisch beschreibt sie eine ihrer Mitarbeiterinnen, nachdem die den Frust der Kundschaft abbekommen hatte. „Ich bin an ihr vorbeigelaufen, habe sie angesprochen, sie hat gar nichts mehr wahrgenommen, war wie weggetreten.“

„Auch unsere Mitarbeiter haben ein Herz. Behaltet bitte die Nerven.“

All das lässt ihr keine Ruhe. Melanie Sinz fühlt sich enttäuscht ist tags darauf als Statusmeldung auf ihrem Facebookprofil zu lesen. „Auch unsere Mitarbeiter haben ein Herz und haben es ganz und gar nicht verdient, schlecht behandelt zu werden“, postet sie. Und appelliert an alle: „Behaltet bitte die Nerven!“

Sinz weiß, wovon sie spricht. Schon länger nimmt die Geschäftsfrau, die die beiden Edeka-Märkte in Rangendingen und im Haigerlocher Madertal betreibt, das wahr, was gemeinhin als Gereiztheit der Gesellschaft beschrieben wird. Und ja, sagt Sinz, ein Stück weit könne sie das auch verstehen. Erst die Corona-Krise, jetzt die Inflation: Dass da die Nerven blank liegen, sei ja „nur verständlich“, findet sie.

Doch die Supermarkt-Chefin hat eben auch das erlebt: „Es war kurz vor Weihnachten, wir hatten alle vier Kassen besetzt.“ Mehr, sagt Sinz, gehe einfach nicht, und noch schneller abkassieren doch auch nicht. Schon da sei es zu wüsten Beleidigungen gekommen. Zu viel für eine junge Kassiererin – ihre Kündigung landete noch vor den Feiertagen auf dem Schreibtisch von Melanie Sinz.

Das Thema kommt auch in Bewerbungsgesprächen auf den Tisch

Genau an diesem Punkt beginne dann schon auch eine Art Teufelskreis, findet die Supermarktchefin: Wenn die Personalprobleme immer größer werden, geht es schließlich erst recht nicht schneller voran, nicht an der Wursttheke, nicht an der Kasse. Und immer öfter laute der Kündigungsgrund im Handel eben: unverschämte Kundschaft.

Sinz sagt, das Thema komme längst auch in Bewerbungsgesprächen auf den Tisch. „Wir hören einfach, dass inzwischen viele aus diesem Grund davor zurückschrecken, etwa samstags zu arbeiten.“ Melanie Sinz geht das hörbar nahe. „Wir lieben unseren Job“, sagt sie. „Und wir sind immer freundlich, halten auch gern ein Schwätzle mit unseren Kunden.“ Nein, es sei natürlich nicht alles schlecht, der überwiegende Großteil ihrer Kundschaft sowieso nicht. Das zu betonen, ist ihr wichtig.

„Es wäre nur schön“, sagt sie, „wenn den Beschäftigten im Verkauf wieder von allen mehr Respekt entgegengebracht würde.“ Die schließlich weder für Corona verantwortlich seien noch für Lieferschwierigkeiten, Inflation und Preiskämpfe.

Fahrradhändler Marcello Stanco: „Manche Kunden haben einfach null Verständnis“

Genau das betont auch Marcello Stanco, Inhaber des Fahrradgeschäfts Veloce in Hechingen. „Manche Kunden haben einfach null Verständnis dafür, dass ich als kleiner Laden nicht alle Ersatzteile vorrätig haben kann“, sagt er. „Das war vielleicht vor 30 oder 40 Jahren möglich.“ Nachdem sich die Liefersituation in der Fahrradbranche jüngst entspannt habe, gelte der Unmut der Kunden aktuell häufig dem Servicebereich.

Wer nicht alles stehen und liegen lässt, kassiert schlechte Bewertungen im Internet

„Die Erwartungshaltung ist manchmal, dass ich alles stehen und liegen lasse, um ein Fahrrad zu reparieren.“ Das aber könne er schlicht nicht leisten – und dann hagele es schnell schlechte Bewertungen im Internet. Der Fahrradhändler findet: „Es ist inzwischen normal, dass einfach auf alles geschimpft wird.“

Auffällig sei, sagt Stanco, dass es sich dabei nie um seine Stammkunden handele.

Mit dem Unmut mancher Kunden hat auch Marija Antolovic von der Avia-Tankstelle in Bisingen zu kämpfen. „Ich führe tagtäglich die gleichen Gespräche“, sagt sie. Dabei gehe es immer um die aus Sicht ihrer Kunden zu hohen Benzinpreise „Für die allerdings können wir hier nichts“, sagt Antolovic. Dramatischer aber sei die Situation ohnehin gewesen, als sie in der Tankstelle noch Corona-Regeln durchsetzen mussten (Stichwort Maskenpflicht). „Viele sind inzwischen wieder freundlicher.“

In der Apotheke waren die Preise schon immer Thema

Diese Erfahrung macht auch Adrien Nangoum, Inhaber der Löwen- und Stadtapotheke in Hechingen. „Als die Maskenpflicht noch gegolten hat, haben sich einige immer wieder quergestellt, das ist jetzt kein Problem mehr“, sagt er. Doch natürlich würden sie, auch mal unfreundlich, damit konfrontiert, „dass die Sachen teurer werden“.

Diese Diskussion aber sei für sie, in der Apotheke, ja ohnehin nicht ganz neu, stellt Nangoum nüchtern fest. Dass es einen Zusammenhang zwischen der Stimmung der Kundschaft und der Branche geben könnte – darauf deuten auch die Erfahrungen hin, die Floristmeisterin Vanessa Henne in ihrem Owinger „Blumenwerk“ macht. Zu 99 Prozent seien ihre Kunden nett, gar herzlich, sagt Henne. Selbst dann, wenn am Valentinstag mal die Rosen vorzeitig ausgehen. Woran das liegen könnte? Henne erklärt sich das so: „Blumen sind etwas für die Seele, manche wollen auch einfach mal durch den Laden laufen.“

Bäckerei Schweizer in Bisingen: „Unsere Kunden sind froh, dass wir noch da sind“

Froh über den Zuspruch ihrer Kunden ist auch Familie Schweizer, Betreiber der gleichnamigen Bäckerei in Bisingen. „Die Kostenexplosion bei den Lebensmittelpreisen macht vielen zu schaffen“, weiß Jutta Schweizer. Umso glücklicher sei man im Bisinger Familienunternehmen, dass die Kundschaft gar keinen Missmut zeige – ganz im Gegenteil: „Viele unserer Kunden sind dankbar, dass es uns heute noch gibt“, sagt Schweizer. „Und das bringen sie zum Ausdruck, auch gegenüber den Beschäftigten, die ,an der Front schaffen‘“.

Aggressive Kunden: Was Arbeitgeberverband und Gewerkschaft sagen

Vorfälle wie die im Rangendinger Edeka-Markt „sind uns auch von anderen Händlerinnen und Händlern bekannt“, sagt Michael Heinle, Sprecher des Handelverbands Baden-Württemberg. „Deshalb weisen wir stets auch in der Öffentlichkeit darauf hin, dass der Einzelhandel selbst enorm auf verschiedenen Ebenen von Preissteigerungen betroffen ist. Einkaufspreise von Produkten, Lieferketten sowie eigene Kosten durch Personal und Energie haben sich für den Handel um ein Vielfaches erhöht.“

Dass Kunden mit Beleidigungen auf Wartezeiten im Geschäft reagieren – „auch dieses Phänomen ist uns bekannt“, sagt Heinle. „Unsere Welt dreht sich insgesamt immer schneller, die Menschen haben weniger Zeit. Dies schlägt sich auch beim Einkauf im Einzelhandel nieder. Einzelne Kunden wollen nur schnell ihren Einkauf erledigen und so schnell wie möglich weiter.“

Auf kurze Wartezeiten, beispielsweise an der Kasse, werde aber nur in seltenen Fällen negativ reagiert. „Während der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Maskenpflicht, die von unseren Mitarbeitern kontrolliert werden musste, kam es hingegen immer wieder zu Konflikten und einer gereizten Grundstimmung.“

Bisher handelt es sich aus Sicht des Handelverbands um eher seltene Fälle, in denen Kunden gegenüber Beschäftigten im Handel ausfallend werden. „Der Großteil unserer Kunden verhält sich freundlich gegenüber Mitarbeitern und hat auch Verständnis, sollte es bei hohem Kundenaufkommen einmal wenige Minuten länger dauern als sonst“, sagt Heinle. Ganz generell betreffe das Problem nicht nur den Handel, sondern die gesamte Gesellschaft. Heinle findet: „Daher muss zur Lösung dieses Problems auch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken stattfinden.“

Dass es sich bei Vorfällen wie dem in Rangendingen nur um Einzelfälle handele, sieht man bei Verdi anders. „Dies sind keine Einzelfälle. Jeder Mitarbeiter kann hier persönliche Erfahrungen schildern“, glauben der Verdi-Gewerkschaftssekretär Friedrich Andreas und Salvatore Bertolino von Verdi Zollernalb. Aus Sicht der Gewerkschafter würden Mitarbeiter häufig „als Ventil für Kritik am Unternehmen wahrgenommen“. Die Verdi-Leute appellieren an die Unternehmer, Mitarbeiter gewissermaßen aus der Schusslinie zu nehmen. „Der Mitarbeiter darf nicht für unternehmerische Entscheidungen verantwortlich gemacht werden.“

Bereits seit Jahren beobachte man, dass die Kundschaft gegenüber Verkäuferinnen und Verkäufern verstärkt aggressiv auftritt. Dieses Verhalten ist den Gewerkschaftern zufolge im gesamten Dienstleistungsbereich zu spüren, betroffen seien unter anderem auch die Pflege, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Zusteller. Auch bedingt durch Personalmangel hätten physische und psychische Belastungen bei den Mitarbeitern zugenommen.

Wenn es Ärger zwischen Beschäftigten und Kunden gibt, müssten Unternehmensleitungen „ihre Fürsorgepflicht verstärkt wahrnehmen“, fordern Friedrich Andreas und Salvatore Bertolino in ihrer Stellungnahme für den ZOLLERN-ALB-KURIER Hohenzollern.

Was das bedeutet? Unternehmen müssten bessere Schutzmaßnahmen zur Verfügung stellen, dies könnten auch Schulungen der Mitarbeiter für Konfliktfälle sein – und betroffenen Mitarbeitern im Ernstfall zur Seite stehen. So wie es Melanie Sinz tut. In Extremfällen helfe nur noch Sicherheitspersonal.

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