Balingen

Trümmer, Blech, gesperrtes Land: Fotograf Heinrich Völkel dokumentiert das Grauen nach dem Grauen

04.08.2022

Von Klaus Irion

Trümmer, Blech, gesperrtes Land: Fotograf Heinrich Völkel dokumentiert das Grauen nach dem Grauen

© Michael Würz

Heinrich Völkel (rechts) im Gespräch mit Thomas B. Jones.

Menschliche Schicksale, Wiederaufbau-Ästhetik in Nachkriegs-Trümmerhaufen, skurrile Grenzschließungen in Deutschland: Heinrich Völkel dokumentiert sie mit seiner Kamera. Wie der Agentur-Ostkreuz-Fotograf dabei seine ursprünglichen Berufswunsch Architekt in seine Arbeiten einfließen lässt, erfuhr das Publikum in der Balinger Stadthalle im Rahmen des vom ZOLLERN-ALB-KURIER veranstalteten Rahmenprogramms zur World-Press-Photo-Ausstellung.

Heinrich Völkel ist ein Nachkriegsfotograf. Er hält mit seiner Kamera das fest, was übriggeblieben ist, wenn sich die Menschheit wieder einmal religiös, politisch oder weltanschaulich motiviert die Köpfe brachial eingeschlagen hat. Sei es im Gazastreifen, in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny oder auf Zypern.

Ost-West-Biografie

Zum Konflikt auf der geteilten Mittelmeerinsel, deren Südteil zur EU gehört, deren Norden aber von der Türkei gestützt wird, hat der in Wiesbaden lebende Fotograf der Berliner Agentur Ostkreuz ein ganz persönliches Verhältnis. Denn: „Der Konflikt auf Zypern existiert seit 1974 und ist damit genau so alt wie ich.“ Das Land sei damit heute schon länger geteilt, als es die BRD und die DDR je waren.

Das Verhältnis von Osten und Westen, die entsprechenden Konflikte früherer Jahrzehnte und die aktuellen. Auch das treibt Völkel um. Und auch hier gibt es ganz persönliche, biografische Hintergründe.

Geboren in Moskau als Sohn einer zur Hälfte russischstämmigen Mutter, ist Völkel in der DDR aufgewachsen. Doch der Arbeiter- und Bauernstaat war nicht das, was der an Architektur interessierte Teenager seinerzeit als erstrebenswert erachtete. „Als Jugendlicher war ich dabei, als die Menschen 1989 in Leipzig auf die Straße gingen, um Reformen einzufordern“, erzählt er bei seinem Besuch in Balingen.

Freiheit als Wert an sich

Es sei ihm damals nicht darum gegangen, „nach Hawaii fliegen zu können“. Es ging Völkel um den Wert der Freiheit an sich. Dass er nach dem Mauerfall diese Freiheit dann gleichwohl in ausgedehnte Fotoreisen in vieler Herren Länder umsetzen durfte, könnte man fast schon als Ironie deutsch-deutscher Geschichte begreifen.

Trümmer, Blech, gesperrtes Land: Fotograf Heinrich Völkel dokumentiert das Grauen nach dem Grauen

© Michael Würz

Das Publikum erlebte fotografische Kurzweil.

Seinen Wunsch Architektur zu studieren, legte er in jenen Wendejahren ad acta. Überhaupt das Studieren, das war dann doch nichts seins. „Ich wollte richtig fotografieren lernen – und das schnellstmöglich.“ Deshalb zog er eine Ausbildung an einer renommierten Berliner Fotografieschule dem Fotografiestudium vor.

Mit Erfolg. Er wurde in die Berliner Fotografie-Agentur Ostkreuz aufgenommen. „Eine Agentur, die sechs Fotografen aus dem Osten nach dem Mauerfall gegründet hatten, um mal zu schauen, wie man sich im Kapitalismus so über Wasser hält“, frotzelt Völkel. Auch das ein erfolgreiches Unterfangen, wie man über drei Jahrzehnte später weiß.

„Chaotischer Haufen, der funktioniert“

Heute gehören zu Ostkreuz über 20 Fotografen. Hierarchien gibt es dabei keine. „Wir sind zwar ein etwas chaotischer Haufen, bei dem jeder mal für eine bestimmte Zeit als Geschäftsführer fungiert, aber es funktioniert.“ Was ihn besonders freut: „Wir sind paritätisch mit Fotografinnen und Fotografen besetzt.“

Völkel berichtet von teils kontroversen Debatten in der Agentur, „die auch mal bis an den Rand dessen gehen, was man sich so alles verbal an den Kopf werfen kann“. Es gehe dabei häufig um die Frage, was den Bildbetrachtern noch zumutbar ist und was nicht. Als Beispiel nennt er Aufnahmen des russischen Massakers im ukrainischen Butscha.

Und dennoch: „Ostkreuz ist für uns Fotografen immer auch eine große Familie.“ Eine Weihnachtsfeier und eine alljährliche, gemeinsame Kanuausfahrt („so eine Art Betriebsausflug“) inklusive.

Kaum mehr Langzeitaufträge

Was Ostkreuz im Gegensatz zu den Gründerjahren und den Jahren danach aber heute kaum mehr ist: eine Agentur, die auch Aufträge über einen längeren Zeitraum erhält und vom Auftraggeber dafür mit einem entsprechend hohen Budget ausgestattet wird. „Früher waren das gern auch mal 10 Tage und 30.000 Euro für eine Geschichte, heute sind es vielleicht 3 Tage, bei denen dann aber bitte acht Geschichten rumkommen sollen.“

Das oft jahrelange zermürbende Warten von Schwarzafrikanern in Marokko auf die gefährliche Überfahrt hinüber nach Spanien. Das war eine dieser Langzeitreportagen. Über zwei Jahre hinweg porträtierte Völkel Fluchtwillige und deren Leben in Tanger, führte aber auch Gespräche mit spanischen Grenzpolizisten.

Trümmer, Blech, gesperrtes Land: Fotograf Heinrich Völkel dokumentiert das Grauen nach dem Grauen

© Michael Würz

Was machen Kriege mit dem Alltagsleben in Städten?

„Ich bin natürlich auch ein politisch denkender Mensch, der über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sinniert.“ Beruflich aber würde er sich niemals auf eine Seite schlagen, wenn er Konflikte, Kriegsfolgen in seinen Bildern einfängt. Dann ist Heinrich Völkel ganz der neutrale Beobachter.

(Über-)Leben in Trümmern

„Mich interessiert nicht nur, was das Ende eines Krieges mit den betroffenen Menschen macht, sondern auch, welche Auswirkungen Kriege städtebaulich zeitigen, wie die Betroffenen den Wiederaufbau der Stadt umsetzen.“ Da kommt in ihm dann doch der Architekt durch, der er einst werden wollte. Und heraus kommen Aufnahmen aus dem Gazastreifen, die das (Über-)Leben in Trümmern dokumentieren, an deren stehengebliebenen Betonpfeilern bereits wieder für kulturelle Veranstaltungen oder für anstehende Wahlen parteipolitisch geworben wird.

Es gibt aber auch „die russische Wiederaufbau-Variante“ wie in Grosny, bei der teilzerstörte Häuserfassaden schlicht mit buntem Blech überdeckt werden. Völkel zeigt das Grauen nach dem Kriegsgrauen. Wie eingangs bereits erwähnt kommt er dann, wenn die Soldaten verschwunden sind, die Einschläge gerade einmal wieder nicht drohen. „Für Kriegsfotografie bin ich wahrscheinlich einfach zu feige“, sagt er und lacht ein nachdenkliches Lachen.

Befreiendes Lachen

Apropos lachen: Im Publikum brach nach all dem in Bildern festgehaltenen Schrecken zaghaftes, fast schon befreiendes Lachen aus, als Völkel einige Aufnahmen einer ganz besonderen Deutschlandreise präsentierte. Es waren Bilder aus der Zeit des Corona-Lockdowns, als sich Deutschland und seine Nachbarländer gegenseitig auf die skurrilste Art und Weise abschotteten.

Fotografien, aufgenommen direkt an sonst häufig unsichtbaren Grenzpunkten, die plötzlich auf baulich teilweise primitivste Art und Weise sichtbar gemacht wurden. Der skurrile Höhepunkt: ein mit Plastikbändern gesperrter Weg, den man rechts und links hätte problemlos umgehen können. „Meine Freundin meinte beim Anblick dieser Bilder: Das ist doch typisch deutsch!“ Der ironisch passende Titel zu dieser Arbeit: „No easy way out“ (kein einfacher Weg heraus).

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