Balingen

„Tatortspuren“ in Balingen: Auch nach 40 Jahren kommt Axel Petermann nicht von Morden los

23.05.2023

Von Benno Haile

„Tatortspuren“ in Balingen: Auch nach 40 Jahren kommt Axel Petermann nicht von Morden los

© Thomas Dashuber

Axel Petermann.

Im Alter hält sich mancher mit Kreuzworträtseln geistig fit. Axel Petermann (70) löst ebenfalls Rätsel – rätselhafte Mordfälle. Der ehemalige Leiter der Bremer Mordkommission ermittelt selbst im Ruhestand einfach weiter. Am 17. November spricht er bei „Tatortspuren“ in der Balinger Stadthalle über seine Arbeit.

Zur Polizei ging Axel Petermann eigentlich nur, um dem Wehrdienst zu entgehen. Der Plan war eigentlich, nach den 18 Monaten bei der Bereitschaftspolizei Jura zu studieren.

Dass er dennoch geblieben ist, lag an den spannenden Schilderungen seines Kriminalistik-Dozenten und einem tragischen Zufall: Der Mordfall Carmen Kampa wurde 1971 Petermanns erster Tatort.

Ungelöster Fall lässt ihn nicht los

Nachdem der Fall nicht aufgeklärt werden konnte, wurden die Akten geschlossen: „Niemand kümmerte sich mehr – Das war für mich der Punkt zu sagen ‚Du könntest doch auch bleiben, zur Mordkommission gehen und klärst das auf.‘“ Und tatsächlich konnte der Fall im Jahr 2011 als „Cold Case“ aufgeklärt werden.

2014 ging Petermann offiziell in Pension, als Privatermittler ist er jedoch weiterhin tätig und will noch gar nicht ans Aufhören denken: „Ich hatte meiner Frau versprochen, wenn ich ein bestimmtes Alter erreicht habe, höre ich auf“, sagt der 70-Jährige und schiebt nach, dass noch etwas Verhandlungsspielraum offen ist.

Verbrechensaufklärung als Form von Gehirnjogging

„Aufzuhören würde mich alt werden lassen“, sagt Petermann: „Die Auseinandersetzung mit einem Thema, der Kontakt zu Menschen, die Herausforderung neuer Fälle und das Lösen von Rätseln ist etwas, was mir Kraft gibt und das möchte ich wirklich nicht missen.“

Trotz all der Schrecken, die er in seinem Beruf zu sehen bekommt, habe er die Entscheidung, zur Mordkommission zu gehen, nie Frage gestellt. Um das Erlebte zu verarbeiten, und sein Wissen und die Erfahrungen weiterzugeben, hat er seine Fälle aufgeschrieben und so für sich aufgearbeitet.

„Ich habe in meinem Leben 1200 bis 1500 Todesnachrichten überbracht“, sagt Petermann. „Man ist da gefordert, dass die Angehörigen in ihrem Schmerz und ihrer Trauer stabil bleiben.“

Ein Wodka mit dem Vater eines toten Kindes

Ein tragischer Fall, der Petermann besonders in Erinnerung geblieben ist, war ein Unfall, bei dem sich eine Dreijährige beim Verstecke-Spielen hinter dem Sofa selbst stranguliert hat.

Bei Ankunft der Polizei sei der Vater regelrecht gereizt gewesen: „Ich habe mir Sorgen gemacht, wie ich für die weiteren Untersuchungen das Kind da wegbekomme.“ Er habe sich mit dem Vater – ein Russlanddeutscher – hingesetzt, Wodka getrunken und geraucht („Ich rauche gar nicht“). „Irgendwann hatte ich ihn so weit, dass er sein Kind zum Leichenwagen trug.“

Je näher man den Angehörigen jedoch komme, desto schwerer werde es, das Ganze zu verarbeiten. Für ihn persönlich wäre es im Rückblick wohl leichter gewesen, sachlicher und kühler zu agieren.

Gewalt und Verbrechen nehmen nicht zu, sondern ab

Seit über 40 Jahren hat Axel Petermann, der einer der ersten Profiler in Deutschland war, mit den menschlichen Abgründen zu tun. Den häufig in Kommentaren geäußerten Eindruck, dass es immer mehr und schwerere Verbrechen gibt, kann er widerlegen.

„Als ich in den Achtzigern zur Mordkommission kam, waren es in Bremen pro Monat ein bis zwei vollendete Tötungsdelikte – mit den Versuchen etwa 50“, erinnert sich Petermann. „Deutschlandweit gab es im Jahr etwa 2000, als die ehemalige DDR dazukam, hatten wir einen Anstieg auf etwa 2800.“ Heute seien es etwa 500.

Grund dafür seien gesellschaftliche Veränderungen, durch die bestimmte Opfergruppen nicht mehr so häufig Opfer werden. „Pro Familia und die Pille haben dafür gesorgt, dass Frauen ihre Kinder nach der Geburt nicht mehr töten“, nennt Petermann ein Beispiel.

Auch die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität spiele da eine Rolle: „Es gab häufig Morde an Homosexuellen, die sich am Bahnhof oder in irgendwelchen dunklen Ecken ihre Strichjungen besorgen mussten und dann getötet wurden.“

Andere Wahrnehmung der Verbrechen

Auch die Qualität der Verbrechen sei nicht schlimmer geworden: „Wir hatten im letzten Jahrhundert Serienmörder, die sehr sadistisch vorgegangen sind und ihre Opfer gequält haben – ohne das Internet, ohne dass Fernseh- oder Filmbeiträge ihre Fantasie befeuert hätten.“

Jedoch habe sich die Wahrnehmung geändert: „Es dauert keine drei Minuten, dass nach einem Tötungsdelikt eine Eilmeldung im Netz zu finden ist und das erweckt natürlich den Eindruck, als würde es mit der Gewalt Überhand nehmen.“

Info

Die „Tatortspuren“ finden am 17. November um 19 Uhr in der Balinger Stadthalle statt. Tickets gibt es in den ZAK-Geschäftsstellen – für Abonnenten zum Vorteilspreis.

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