Albstadt

Schwerhörige sind häufiger einsam

05.10.2018

von John Warren

Am 13. und 14. Oktober finden in Albstadt die Gesundheitstage statt. Im Vorfeld gab Eröffnungsexperte Patrick Zorowka dem ZOLLERN-ALB-KURIER ein Exklusivinterview.

Als Nachfolger der „Gesina“ setzen die Gesundheitstage Albstadt neue Impulse in Sachen Gesundheit. Die neue Veranstaltung, die am 13. und 14. Oktober in der Zollern-Alb-Halle in Albstadt stattfindet, wurde vom neuen Organisator Allgäu Eventzentrum frisch konzipiert und überarbeitet.

Einer der bekanntesten Gesundheitsexperten vor Ort ist Professor Patrick Zorowka, Direktor der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen der Medizinischen Universität Innsbruck. Vor seiner Reise nach Albstadt und seinem Einstiegsvortrag zu den Albstädter Gesundheitstagen gab er dem ZOLLERN-ALB-KURIER ein Exklusivinterview.

Schwerhörige sind häufiger einsam

© Privat

Professor Patrick Zorowka von der medizinischen Universität Innsbruck wirbt für ein positives Bild im Umgang mit Hörgeräten.

Herr Zorowka, wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen Hörstörungen entwickeln? Ist das nur mit dem Alter verbunden oder spielen Baustellen- und Verkehrslärm für die dort Betroffenen eine Rolle?

Patrick Zorowka: Es gibt zwei unterschiedliche Formen der altersbedingten Schwerhörigkeit. Die Altershörigkeit und die durch Umweltfaktoren sowie Grunderkrankungen zunehmende und schon möglicherweise früher beginnende Hörstörung. So wie das Sehvermögen mit dem Alter abnimmt, sind Menschen oberhalb des 60. Lebensjahrs deutlich häufiger von einer relevanten Hörstörung betroffen. Ab dem 70. Lebensjahr hat sogar mehr als die Hälfte der Menschen eine Einschränkung des Hörvermögens. Verstärkt wird das Risiko durch Faktoren wie Lärmbelastung im Beruf und Freizeitlärm, etwa durch das Musikhören über Kopfhörer oder in der Diskothek.

Kompensieren Menschen, die eine zunehmende Hörstörung haben, zunächst dadurch, dass sie ihr Fernseh- und Radiogerät lauter stellen?

Zorowka: Genau das ist ein typisches Szenario, und dabei ein schleichender Prozess. Ähnlich wie beim Telefonieren, bei dem verschiedene Frequenzen nicht übermittelt werden, ergänzt das Gehirn fehlende Informationen zunächst automatisch. Tieffrequenter Schall wie unsere menschliche Stimme, werden noch gut gehört, hochfrequente Geräusche zunehmend weniger. Eine weitere typische Situation bei zunehmender Hörstörung ist, dass zumeist der Partner und Angehörige merken, dass der Betroffene beispielsweise die Klingel überhört oder das Fernsehgerät bei Dialogszenen lauter stellt. Durch Überlagerung tieffrequenten Störschalls beklagen dann die Betroffenen vor allem Probleme im Sprachverstehen im Alltag in lauter Umgebung – im Restaurant, auf dem Bahnhof, in Gesellschaft mit vielen Unterhaltungen.

Muss man bei vielen Betroffenen Überzeugungsarbeit leisten, bis sie dazu bereit sind, ein Hörgerät zu akzeptieren?

Zorowka: Wir Fachleute kämpfen immer wieder mit dem Stigma „Hörgerät“: Viele denken, ein Hörgerät benötigt nur ein wirklich alter Mensch. Das stimmt natürlich nicht, denn ein Hörgerät kann einen entscheidenden Anteil zum Erhalt sozialer Kontakten im Alter beisteuern. Wichtig ist, Überzeugungsarbeit zu leisten und die Erwartungshaltung realistisch zu vermitteln. Vielfach haben die Betroffenen falsche Vorstellungen von den Möglichkeiten eines Hörgerätes und vergleichen es fälschlicherweise mit einer Brille. Hierbei gibt es jedoch erhebliche Unterschiede. Eine Brille gleicht eine einfache Leitungsstörung aus. Eine Hörstörung ist dagegen eine Verarbeitungsstörung der Sinneszellen und damit viel komplexer, um es auszugleichen. Damit bleibt ein Hörgerät immer eine Prothese. Auch wenn wir von den enormen Fortschritten in der IT-Technologie profitieren und Hörgeräte inzwischen Minicomputer mit zahllosen Möglichkeiten sowie technischen Raffinessen sind, ersetzen sie nicht das Hörvermögen eines gesunden, jungen Menschen. Das muss einem immer bewusst sein. Aber sie ermöglichen ein Miteinander im täglichen Leben und in Gesellschaft ohne Höranstrengung, ohne Miss-„Verstehen“ und sozialen Rückzug

Was für negative Effekte hat das verringerte Hörvermögen noch, wenn man keine Hörhilfe trägt?

Zorowka: Zunächst gibt es medizinische Folgen. Wenn dem Gehirn keine oder nur ungenügende akustische Reize vom Innenohr geliefert werden, bilden sich wichtige Strukturen für das Sprachverstehen zurück und beschleunigen altersbedingte Abbauvorgänge – wir sprechen von Hörentwöhnung. Später werden dann Hörgeräte als viel zu laut und als ungenügende Hilfe beim Verstehen von Sprache empfunden. Das führt auch zu sozialen Folgen – die Betroffenen ziehen sich zunehmend aus der Gesellschaft und gewohnten Umgebung zurück, Einsamkeit ist die Folge. Schwerhörigkeit wird nach Verlust des Partners als häufigster Grund für Einsamkeit beschrieben, wie große Studien gezeigt haben. Hinzu kommt, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine nicht versorgte Hörstörung der Entwicklung einer Demenz Vorschub leisten kann.

Sind diese Folgen reversibel?

Zorowka: Unser Gehirn besitzt eine enorme Plastizität mit Reserven des Ausgleichs, auch noch im Alter, wie man inzwischen weiß. Aber dem sind ganz klare Grenzen gesetzt. Damit wird bei zu langem Warten bei weitem nicht mehr das erreicht werden können, was vielleicht zuvor bei rechtzeitigem Tragen eines Hörgerätes und einem Hörtraining möglich gewesen wäre. Auch hier greift ein wichtiger Grundsatz der Medizin – nämlich Vorsorge ist besser als heilen und in der Weltgesundheitsorganisation ist Prävention eines der Hauptziele.

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