Hechingen

Schwere Schizophrenie oder satanisches Schauspiel? In Hechingen Inhaftierter verletzt Beamten

12.03.2024

Von Julia Siedler

Schwere Schizophrenie oder satanisches Schauspiel? In Hechingen Inhaftierter verletzt Beamten

© dpa

Die JVA in Hechingen. Hier kam es im vergangenen Sommer zu einem Zwischenfall, bei dem ein Justizvollzugsbeamter verletzt wurde.

Vor dem Amtsgericht in Hechingen musste sich am Montag ein 37-jähriger inhaftierter und mehrfach vorbestrafter Mann aus Polen verantworten, der am 3. Juli vergangenen Jahres in der Untersuchungshaft eine Psychose vorgetäuscht hatte. Dabei war ein Justizbeamter verletzt worden. Der Angeklagte hatte sich offenbar einen Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie erhofft, den er sich angenehmer vorgestellt hatte als die Haft in der JVA. Speziell der besonders gesicherte Haftraum (BGH), in dem er sich zuerst in der Justizvollzugsanstalt Rottweil und danach in Hechingen befunden hatte, schien ihm seiner Verteidigerin Angela Maeß zufolge zu schaffen zu machen.

Wegen eines anderen Verfahrens, das jedoch nicht in Hechingen geführt worden war, hatte sich der Angeklagte im vergangenen Jahr zuerst in der Justizvollzugsanstalt Rottweil befunden, bevor er in die Zollernstadt kam. Vor seinem vorgetäuschten psychischen Ausnahmezustand im Juli vergangenen Jahres hatte sich der Angeklagte selbst mit einer Rasierklinge an den Unterarmen, den Beinen und am Bauch verletzt. Der Angeklagte wurde ärztlich versorgt, seine Wunden wurden genäht.

Inhaftierter reißt und beißt genähte Wunden wieder auf

Im besonders gesicherten Haftraum in Hechingen, wo er sich nach dem Vorfall zu seinem eigenen Schutz befand, rannte der 37-Jährige den Aussagen von 6 Justizbeamten zufolge dann mit seinem Kopf gegen die Wand und begann, seine genähten Wunden an Unterarm, Unterschenkel und Unterbauch mit seinen Händen und seinem Mund gewaltsam zu öffnen. Den Zeugenaussagen der Justizvollzugsbeamten zufolge habe er seine blutigen Unterarme auch noch an die Wände des Raumes geschmiert. Dass er mit seinem eigenen Blut außerdem das Wort „Satan“ an eine der Wände geschrieben habe, konnte wegen eines kranken Zeugen und Fotos, die zwar gemacht, sich aber nicht in der Akte befanden, nicht eindeutig bestätigt werden. Der Begriff „Satan“ sei der Aussage mehrerer Beamter nach jedoch gefallen.

Der Angeklagte hätte des Weiteren behauptet, dass Satan zu ihm spreche, ihm die Selbsttötung befehle und ihn über die Kameras im Raum beobachte. Möglicherweise habe er diese auch deshalb mit Butter und Kaffeesatz beschmiert. Der Angeklagte bestritt, jemals etwas davon gesagt zu haben und stellte auch die beiden aufeinanderfolgenden Einsätze in der Räumlichkeit anders dar als die Beamten. Sein Wunsch: Man möge doch die Aufzeichnungen der Kameras zu Rate ziehen. Die Beamten im Zeugenstand erklärten jedoch, dass diese nur der Live-Überwachung des toten Winkels dienen würden; eine Aufnahme müsste aktiv beantragt werden – was jedoch niemand getan habe. Den 6 Beamten zufolge ging alles sehr schnell, da der Angeklagte bereits bei ihrem ersten Einsatz im BGH geblutet habe, nachdem er damit begonnen habe, seine Wunden zu öffnen.

Justizbeamter wird bei Einsatz verletzt

Nachdem die Beamten dem Angeklagten bereits während des ersten Einsatzes Handschellen an Hand- und Fußgelenken angelegt hatten und ihm zum Schutz vor weiteren Eigenverletzungen einen Helm aufzogen, vermuteten sie zuerst, er würde sich nun beruhigen. Nach wenigen Minuten jedoch sei klar geworden, dass dies nicht der Fall sein wird. Einer der Beamten, der dabei half, dem Angeklagten auf dem Boden Handschellen anzulegen, wurde dabei von dessen Ellenbogen vermutlich an der Schläfe getroffen, woraufhin er den Raum den Aussagen seiner Kollegen zufolge benommen verlassen musste und sich der eigenen Aussage nach kurz darauf auf der Toilette übergeben habe. Der Beamte zog sich durch den Treffer erwiesenermaßen eine Gehirnerschütterung zu und habe bis heute durch Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und nahezu anhaltenden Kopfschmerzen mit den Folgen zu kämpfen. Ein Arzt attestierte ihm zudem akute Rückenschmerzen. Der Beamte selbst habe kaum mehr eine Erinnerung an den Einsatz.

Während der Beweisaufnahme stellte sich heraus, dass die Gewalt vom Angeklagten aus mutmaßlich nicht gezielt gegen die Vollstreckungsbeamten gerichtet war, sondern er sich gegen das Anlegen der Handschellen am Boden zu wehren versuchte. Ihm sei es zwei der Beamten zufolge darum gegangen, sich aus der Fixierung zu befreien. Es sei kein „feindlicher Wille“ festzustellen, sagte auch die Verteidigerin. Es sei ihm vor allem um die Selbst- und nicht um Fremdverletzung gegangen, was man auch daran sehen könne, dass er den Helm, der ihm zu seinem Schutz aufgezogen wurde, zerstört habe.

„Ich habe mich wie ein Schauspieler verhalten“

Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter bestätigte, was der Angeklagte selbst einräumte: Er habe die Psychose simuliert. Er habe, wenn überhaupt, eine leicht dissoziale Tendenz, die sich aber nicht darauf auswirke, die Tat als solche einordnen zu können. Die Tendenz wirke sich zudem nicht strafmildernd aus, der Angeklagte habe im Gegenteil ganz genau gewusst, was er tat. Das Erscheinen der Justizbeamten gehörte zu seinem Plan, er habe „auf sie gewartet“, wie er selbst sagte. „Ich habe mich wie ein Schauspieler verhalten“, ließ er die Dolmetscherin übersetzen. Doch die Geister, die er rief, wollte er schneller wieder loswerden, als gedacht. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass der Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt im Gegensatz zu Polen unbegrenzt sein kann. Der Angeklagte sei jetzt doch „froh, nicht dort zu sein“, übersetzte Dolmetscherin Barbara Fritsch für ihn.

Dass der Angeklagte zumindest in Kauf genommen habe, die Beamten zu verletzen, war in der gestrigen Verhandlung Konsens. Beim tätlichen Angriff auf einen der Beamten, der heute noch die Folgen des tätlichen Angriffs spüre, habe er sich schlicht und einfach schuldig gemacht, hielt auch Verteidigerin Angela Maeß fest. „Ich habe alles getan, damit man mir glaubt“, sagte der Angeklagte zuvor. Die Vorsitzende Richterin verurteilte ihn zu einem Jahr und 7 Monaten Haft ohne Bewährung.

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