Balingen

Schwaben-Comedy im Auto erleben: So war es beim ersten Abend im Balinger Kultur-Drive-in

29.05.2020

Von Pascal Tonnemacher

Schwaben-Comedy im Auto erleben: So war es beim ersten Abend im Balinger Kultur-Drive-in

© Pascal Tonnemacher

Publikum im Auto, Künstler auf der Bühne: So sehen Kulturveranstaltungen in Coronazeiten aus.

Kultur im Auto erleben? Hat neben Ungewohntem auch seine Vorzüge und könnte sich zur echten Alternative in Krisenzeiten entwickeln. Das hat der erste Abend bei der Drive-in-Kulturbühne vor der Eishalle in Balingen gezeigt. Ein Erfahrungsbericht.

Über das Autoradio läuft erst eine kurze Ansage, dann kommt das schwäbische Comedy-Duo auf die Bühne. Und schon scheint aller Corona-Blues am Donnerstagabend auf dem Parkplatz vor der Eishalle verflogen zu sein.

Für 90 Minuten kehrt mit den Kächeles ein Stückchen Normalität nach Balingen zurück. In über 30 Autos haben sich meine „Sitznachbarn“ schick gemacht und in die Sofadecke eingemümmelt, mit Pizza und einem Gläschen Wein auf dem Armaturenbrett.

Drinnen und doch draußen

Gemütlich wie daheim, aber doch mit dem Gefühl gerade auszugehen. Wohltuend. Das Autokino-Flair muss man auch als Mittzwanziger wie ich fast schon lieben. Nach einer drei Monate lang dauernden Durststrecke für Künstler und Kulturbegeisterte ohnehin.

„In der Zeit, die wir gerade haben, ist das eine gute Alternative“, resümiert Ute Landenberger alias Käthe Kächele nach dem Auftritt, der eine ganz neue Erfahrung gewesen sei, aber Spaß gemacht habe.

Reaktionen kommen vor allem per Lichthupe

Statt durch die Besucherreihen und direkt auf die Menschen zuzugehen, mussten sich Landenberger und ihr Bühnenehemann Michael Willkommen mit direkten Ansprachen von der Bühne und Reaktionen per Lichthupe zufrieden geben. Ungewohnt, aber macht auch mir als Zuschauer Spaß.

Schwaben-Comedy im Auto erleben: So war es beim ersten Abend im Balinger Kultur-Drive-in

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Die Kächeles am Tag vor ihrem Auftritt vor der Drive-in-Bühne.

„Man hat sich ein bisschen schwer getan, aber es hat doch gut geklappt“, sagen die beiden, die aber auch herzhafte Lacher hören konnten.

Bei allem Lob für die Veranstalter sagt Landenberger aber auch: „Das ist nichts, was du immer haben willst, weil wir lieber mit den Leuten kommunizieren und sie sehen wollen.“

Schön, aber nicht als Dauerzustand

Allemal besser als daheim zu sitzen, für die Zuschauer und die Künstler, sagt sie. Die Veranstalter zeigen sich angesichts der Umstände (kurzer Vorlauf, wenig Zeit für Werbung) zufrieden.

Die Kächeles sind dennoch einig: „Es soll bitte, bitte kein Dauerzustand werden. Lichthupe ist toll, aber Klatschen und das Lachen der Leute in den Gesichtern zu sehen, ist doch ein bisschen schöner.“

Fotostrecke
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Die Kächeles vor ihrem Autopublikum.

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Die Autos sind versetzt angeordnet auf dem abschüssigen Parkplatz. So kann jeder sehen.

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Die Kächeles in ihrem Element

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Käthe Kächele.

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Danke Balingen: Die Kächeles freuen sich über den gelungenen, besonderen Auftritt und bedanken sich beim Publikum.

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Über 30 Autos, zum Teil vollgepackt, finden den Weg vor die Eishalle.

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Es gibt nur wenig Verbesserungspotenzial bei diesem sehr gut organisierten ersten Abend der Kulturbühne mit den Kächeles. Das wäre bei einer Veranstaltungsreihe, die in Rekordzeit aus dem Boden gestampft wurde und in ihrer Art Neuland für alle ist, ohnehin verziehen.

Wartezeit zieht sich lange

20.37 Uhr: Das Spannendste, das in der Stunde zwischen Einlass (oder Einfahrt?) und Beginn passiert, ist ein kleiner Auffahrunfall bei einem Umparkmanöver in der dritten Autoreihe. Nichts Schlimmes passiert. Und auch sonst halten sich alle an die Regeln, bleiben – bis auf Toilettengänge mit Maske – in ihren Autos sitzen. Im Vorteil ist, wer Freunde oder Familie zum Quatschen mitgebracht hat.

Meine Vorfreude vermischt sich mit Spannung und Neugier darauf, wie denn Kultur im Auto ankommen wird und wie sich das dauerstreitende Comedy-Ehepaar schlagen wird. Die Musik vom Band spar‘ ich mir, schone lieber meine Autobatterie. Man weiß ja – trotz Starterkabel – nie.

Das Luxusproblem mit dem Essen

Und meine Erdnüsse will ich auch noch nicht wegknabbern. Der Luxus, sich wie im Kino vor Ort noch mit Snacks und Getränken eindecken zu können, weicht dem Luxus, sich selbst seine Lieblingssachen mitzubringen.

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In der Zeit, die wir gerade haben, ist das eine gute Alternative. Ute Landenberger alias Käthe Kächele

Das ist nichts, was du immer haben willst, weil wir lieber mit den Leuten kommunizieren und sie sehen wollen. Ute Landenberger

Es soll bitte, bitte kein Dauerzustand werden. Lichthupe ist toll, aber Klatschen und das Lachen der Leute in den Gesichtern zu sehen, ist doch ein bisschen schöner. Die Kächeles

Das ist bestimmt etwas, wovon ich meinen Enkeln noch erzählen werde. Andreas Walter, Schlagzeuger bei Meister Chang

Wir müssen die Blinker synchronisieren und mit Lichthupe, Spritzanlage und Scheibenwischer arbeiten. Elektrokowski

Doch auch eine Zwangsbeglückung mit nerviger Werbung vermisse ich nicht. Vereinzelt unterhalten sich die Gäste, die teilweise aus der weiteren Region angereist sind, durch die Autofenster.

Sicht ist immer in Ordnung

Auch so kann man die Wartezeit überbrücken. Später, erst kurz vor Beginn um 21 Uhr anreisen? Auch keine Option.

Selbst wenn der Abend nicht ausverkauft ist und man auf dem leicht abschüssigen Gelände aus jedem der versetzt angeordneten Autos eine ordentliche Sicht hat. Einstellungssache wahrscheinlich. Dann einfach abwarten.

Anders, aber gut

Also, los geht‘s. Spätestens jetzt: Sitz zurückfahren, zurücklehnen und den hervorragenden Ton in der Lieblingslautstärke hören. Gar nicht viel anders als in der Stadthalle. Aber ganz ohne Störgeräusche des fremden Sitznachbarns. Und doch kuschliger. Klare Empfehlung für Pärchen.

Zudem bestes Wetter, um auch noch ein paar Minuten die Scheiben unten zu lassen und den Lachern zu lauschen. Noch ein Stückchen verloren geglaubte menschliche Nähe und Normalität.

Kächeles bringen Normalität

Apropos: Zu den Kächeles und ihrem Auftritt muss man wohl nicht viel sagen. Ein streitendes, sich aber doch liebendes Ehepaar in Situationen und mit Problemen rund um Mann und Frau. Situationskomik, in der sich wohl jeder wiedererkennen kann. Mehr Normalität, gerade auch zum Start der Veranstaltungsreihe, wäre für das bunt durchmischte Publikum nicht drin gewesen.

Zwischendurch drängt sich mir aber die Frage auf: Wie der Ton und das Erlebnis wohl bei Starkregen ist? Es sei den Veranstaltern und Besuchern natürlich gutes Wetter gegönnt. Klarer Vorteil: Nass würde man zumindest nicht werden. Anders als bei klassischen Open-Air-Veranstaltungen.

Erste Konzerte am Freitag

Musik gibt es dann erstmals am Freitagabend. Die ersten Auto-Konzerte spielen ab 21 Uhr Elektrokowski aus Reutlingen, anschließend treten die Elektro-Pop-Rocker Meister Chang aus Balingen auf. Endlich zurück auf die Bühne, sagen die beiden Bands, die die Coronazeit vor allem im Studio und für Videodrehs genutzt haben.

Die Reutlinger – die sich als halb Band, halb DJ beschreiben – sagen, dass sie ihre Musik zudem für den perfekten Klang aus Autoradios neu gemischt hätten.

Aus der Auszeit haben sie auch Motivation gezogen und regionale Livestream-Konzerte mitorganisiert und gespielt. Auch da seien sie aufgeregt gewesen.

Live bleibt live

Und für die Zuschauer seien diese Livestream- aber auch Auto-Konzerte ein besonderes Erlebnis, sie hätten das Gefühl, live dabei zu sein. Musik von der CD oder von Streamingportalen könnten das nicht ersetzen. Live bleibt eben live. Auch durch die Windschutzscheibe durch.

Von Meister Chang heißt es: „Geprobt wird wie immer.“ Auch wenn die Balinger nicht wissen, was auf sie zukommt.

Denn auch sie sind als klassische Live-Band das Feedback des Publikums gewohnt. „Das Publikum gibt Emotionen und Energie zurück,“ sagt Meister-Chang-Schlagzeuger Andreas Walter.

Ein besonderes Erlebnis für alle

Elektrokowski haben eine kreative Idee und meinen augenzwinkernd: „Wir müssen die Blinker synchronisieren und mit Lichthupe, Spritzanlage und Scheibenwischer arbeiten.“ Da scheint das Erlebnis gesichert zu sein.

Mit Vorfreude darauf, endlich wieder auftreten zu können, versuchen die Balinger die Ungewissheit zu kompensieren. „Wir sind gespannt und haben Bock darauf“, sagt Walter. „Das ist bestimmt etwas, wovon ich meinen Enkeln noch erzählen werde.“

Weitere Informationen und Tickets gibt‘s auf drive-in-live.de.

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