Schömberg

Schömberger Gemeinderäte befürworten Infotafel am ehemaligen Massengrab nahe des KZ-Friedhofs

16.04.2024

Von Daniel Seeburger

Schömberger Gemeinderäte befürworten Infotafel am ehemaligen Massengrab nahe des KZ-Friedhofs

© Daniel Seeburger

Die Stützmauer, die von KZ-Häftlingen errichtet worden ist, ist mit Moos und Gras überwuchert.

Will man etwas vergessen, lässt man umgangssprachlich Gras über die Sache wachsen. Dass über die Konzentrationslager im Oberen Schlichemtal kein Gras wächst, dafür sorgt die Initiative Gedenkstätte Eckerwald. Und der Gemeinderat Schömberg, der grünes Licht gab für die Anbringung einer Informationstafel zu den Massengräbern im Schönhager Loch – gegen den Willen der Stadtverwaltung.

Es ist ein Abstieg in die Hölle. Aber die Hölle ist grün. Es duftet nach Bärlauch, der in Massen den Hang überwuchert. Haselnussbüsche, Schwarzerlen, Weißdorn und Schlehenhecken machen ein Durchkommen zum Schönhager Bach fast unmöglich. Der Vogelgesang ist spärlich, Spuren von Wildschweinen sind auf dem feuchten, zum Teil morastigen Boden zu sehen. Nur wenige Sonnenstrahlen finden den Weg durchs Dickicht.

Unzugängliches Gebiet

Das Schönhager Loch ist wohl eines der unzugänglichsten Gebiete des Oberen Schlichemtals. Dorthin verirren sich nur selten Wanderer – kein Wunder, denn einen Weg ins steil abfallende Tal gibt es nicht. Diese Stelle ist abweisend, es ist die Hölle – immer noch. Und da kann die Natur nichts dafür. Es ist der Mensch, der diese Hölle geschaffen hat.

Eine Hölle, über die Gras wächst. Immer noch, auch nach 80 Jahren. Im Schönhager Loch, nur wenige hundert Meter entfernt vom KZ Dautmergen, ließen die Nazis ein Massengrab anlegen. Rund 1400 tote KZ-Häftlinge wurden dort verscharrt, nachdem man ab Oktober 1944 darauf verzichtete, die Toten zu kremieren – man brauche dazu zu viel Kohle und Holz, so die zynische Begründung der Nazis. Da sich der Hang wegen Wassereinbruchs in Bewegung setzte, drohten die Gräber in den Bach zu rutschen. Deshalb mussten die KZ-Häftlinge oberhalb des Bachs eine rund 15 Meter breite, U-förmige Stützmauer aus Beton anlegen.

Stützmauer gibt es noch

Die Stützmauer aus Beton gibt es noch. Sie steht unter Denkmalschutz, ist mit Moos und Gras überwuchert. Sie blieb auch stehen, als die französische Militärregierung 1946 die Exhumierung der Toten anordnete. Die Opfer wurden auf dem Ehrenfriedhof an der Straße nach Dautmergen beigesetzt. Der ursprüngliche Plan, den Ehrenfriedhof direkt an der Stelle der Massengräber anzulegen, wurde von der französischen Militärregierung letztlich aufgegeben, obwohl schon einige Terrassen gebaut worden waren. Diese sind auch heute noch schemenhaft zu erkennen.

Schömberger Gemeinderäte befürworten Infotafel am ehemaligen Massengrab nahe des KZ-Friedhofs

© Daniel Seeburger

Die Terrassen, die nach dem Krieg angelegt wurden, sind noch zu sehen.

Danach deckten Gras, Büsche und Bäume das Schönhager Loch zu – und die Betonmauer als letztes Relikt aus der Zeit, als wenige hundert Meter vom heutigen KZ-Friedhof entfernt das Konzentrationslager Dautmergen lag. 1777 Häftlinge aus ganz Europa starben dort und im KZ Schömberg. Und das Schönhager Loch mit seinen 75 Grabstellen, in denen ein bis 53 Opfer verscharrt waren, wurde lange vergessen. Vor über 20 Jahren dann startete Immo Opfermann aus Schömberg eine Initiative, auf das Schönhager Loch mittels Infotafel aufmerksam zu machen. 2019 schrieb der damalige Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn in seinem Buch „Todesfabrik KZ Dautmergen“ ausführlich zu den Exhumierungen im Schönhager Loch.

Stellungnahme des Denkmalamts

„An der Stelle des ehemaligen Massengrabes, das nur wenige Monate Bestand hatte, ist lediglich eine U-förmige Betonmauer als Relikt erhalten geblieben. Der geringe Überlieferungsgrad dieses ersten Bestattungsortes lässt keine Ausweisung der obertägigen Reste als Kulturdenkmal der Bau- und Kunstdenkmalpflege zu“, heißt es in einer Mitteilung aus dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart an das Landratsamt nach Balingen. Soll heißen, das Schönhager Loch ist nicht als Kulturdenkmal geeignet – zumal der KZ-Friedhof diese Aufgabe erfüllt. Dieser sei „Erinnerungsort an die Opfer der Gewaltherrschaft, darunter viele Juden“. Es sei „ein zentrales Dokument der jüngeren deutschen Geschichte in der Region“ und „ein Zeugnis für den Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Erinnerungskultur in der unmittelbaren Nachkriegszeit und Kulturdenkmal aus wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen.“

Schömberger Gemeinderäte befürworten Infotafel am ehemaligen Massengrab nahe des KZ-Friedhofs

© Daniel Seeburger

Auf dem KZ-Friedhof in Schömberg weist eine Infotafel auf das Massengrab hin.

Die Initiative Eckerwald hat bereits im Februar 2023 den Antrag bei der Stadtverwaltung gestellt, am Schönhager Loch eine Infotafel anbringen zu dürfen. Ein Gestaltungsvorschlag lag bei. Über ein Jahr zog es sich hin, bis die Anfrage den Weg in den Gemeinderat fand. Die Schömberger Verwaltung unterstützte in der jüngsten Gemeinderatssitzung zwar eine Infotafel am etwa 400 Meter entfernt liegenden KZ-Friedhof – dort ist sie zwischenzeitlich auch schon angebracht – sprach sich aber gegen eine Mahntafel direkt am Schönhager Loch aus und begründet es mit einem „geringen zusätzlichen Informationsgehalt“ und haftungsrechtlichen Fragen. „Da es sich um reine Graswege handelt, sind sie zu großen Teilen des Jahres nur schlecht oder gar nicht begehbar, auch zu möglichen Unterhaltungslasten und deren Kostentragung sagt der Antrag der Initiative nichts aus“, heißt es in der Stellungnahme der Verwaltung für die Gemeinderäte.

Nicht das Schild ist das Problem, sondern der Weg dorthin

Wobei Bürgermeister Karl-Josef Sprenger betonte, dass nicht das Schild das Problem sei, sondern der Weg dorthin. Ihm gehe es um die Haftungsfrage angesichts des steil abfallenden Geländes. „Wir schaffen eine Gefahr, indem Interesse geweckt wird“, so Sprenger. Dabei ging die Verwaltung anfangs davon aus, dass der bereits bestehende Feldweg von der Landesstraße her genutzt werden soll. Dort gibt es aber keine Parkplätze.

„Wir wollen keinen Weg“, bekräftigte Brigitta Marquart-Schad von der Initiative Eckerwald. Sollten Besucher zum Schönhager Loch geführt werden, solle das vom KZ-Friedhof aus geschehen. Und zwar entlang der Wiesen. Dabei würde man allerdings über das Gelände von Privateigentümern gehen, gab Bürgermeister Sprenger zu bedenken.

Diskussion in der Gemeinderatssitzung

„Das ist eine Problematik, bei der sich das Land und die Bevölkerung in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert haben“, führte Gemeinderat Heiko Gerstenberger aus. Er sehe es wie sein Kollege Gerstenberger, erklärte Gemeinderat Frank Polich.

Die Gemeinderäte beschlossen schließlich mit großer Mehrheit, dem Antrag der Initiative Eckerwald zuzustimmen. Der ursprüngliche Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung, eine Informationstafel am Schönhager Loch abzulehnen, wurde noch in der Sitzung entsprechend umformuliert und mit zwei Enthaltungen und der Gegenstimme von Bürgermeister Sprenger angenommen.

Dass es durchaus Interesse gibt, das ehemalige Massengrab zu besuchen, beteuert Brigitta Marquart-Schad im Gespräch mit unserer Zeitung. Schon am Samstag gehe sie mit der Enkeltochter eines Häftlings aus Polen, der dort verscharrt worden ist, ans Schönhager Loch. Dass man in diesem Fall nicht zum „business as usual“ übergehen kann, ist derweil klar. Denn es ist keineswegs gesichert, dass bei der Exhumierung nach dem Krieg, alle Überreste der Verscharrten umgebettet wurden. Das Schönhager Loch bleibt also weiterhin ein Friedhof – über den kein Gras wachsen darf.

Info

Die Konzentrationslager Dautmergen, Schömberg und Schörzingen wurden vor 80 Jahren errichtet. Am Samstag, 20. April, findet ein ökumenischer Gottesdienst in der Kapelle auf dem KZ-Friedhof in Schörzingen statt. Beginn ist um 16.30 Uhr.

Am Sonntag, 21. April, lädt die Initiative Eckerwald um 10 Uhr zum Gedenken auf den KZ-Friedhof in Schömberg ein. Zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland sind mit dabei. Kinder und Enkelkinder von Zeitzeugen werden sprechen. Die musikalische Gestaltung obliegt dem Musikverein Zepfenhan. Bei schlechtem Wetter weicht man in die Kapelle auf dem KZ-Friedhof Schörzingen aus.

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