Zollernalbkreis

Rund 600 Kliniken mittelfristig schließen? Welche Zukunft kleinere Krankenhäuser haben

30.04.2021

von Matthias Reichert

Rund 600 Kliniken mittelfristig schließen? Welche Zukunft kleinere Krankenhäuser haben

© Pascal Tonnemacher

Wohin führt der Weg des Zollernalb Klinikums? Eine Frage, die sich bundesweit auch viele andere Klinikbetreiber für ihre jeweiligen Häuser stellen?

Im Zollernalbkreis nimmt die Planung für ein Zentralklinikum zwischen Balingen-Weilstetten und Albstadt-Laufen, Kostenpunkt ein dreistelliger Millionenbetrag, immer konkretere Formen an. Derweil diskutiert man andernorts ob man bundesweit nicht 600 Kliniken zu viel unterhält. So geschehen beim von Studentinnen und Studenten organisierten 25. Wirtschaftsforum der Reutlinger ESB-Business-School. Auch das Zollernalb-Klinikum wurde dabei thematisiert.

Eines vorweg: Nimmt man die Aussagen der sechs Gesundheitsexperten zum Maßstab und als Grundlage, dann hat das Zollernalb-Klinikum Zukunft. Mit seinen 450 Betten und acht Hauptabteilungen kann es im (Streich-)Konzert der bundesweiten Klinikstruktur wohl auf dem rein medizinisch-fachlichen Sektor noch mithalten.

Finanzen als Problem

Ein anderer Punkt sind die Finanzen, die Defizite, die durch die Coronapandemie nicht kleiner geworden sein dürften. Da wäre es aus Sicht von Oliver Rong, Gesundheitsberater der großen Unternehmensberatung Roland Berger, gut gewesen, „wenn das Bundeskartellamt vor einigen Jahren die Fusion zwischen dem Tübinger Universitätsklinikum und dem Zollernalb-Klinikum nicht versagt hätte“.

600 Kliniken zu viel?

Rongs Einschätzung: „Wir haben zu viele Krankenhäuser und müssen die Zahl reduzieren.“ Widerspruch hat sich in der Online-Debatte der Reutlinger Hochschule kaum geregt. Wenn es nach Rong und der Bertelsmann-Stiftung geht, müssten rund 600 der 1900 Kliniken in Deutschland schließen. Der Berater warb für Kostensenkungen, mehr Prävention und Digitalisierung, auch mit Diagnosen durch Künstliche Intelligenz.

„Kein Platz für kleine Spittel“

Wie sehr solche Vorschläge Not tun, erläuterte auch Prof. Michael Bamberg, Chef des Tübinger Universitätsklinikums: Die Länder kämen ihren Verpflichtungen oft nicht hinterher. „Wir müssen Gelder aus uns herauspressen, um Investitionen finanzieren zu können.“ Das bringe viele Krankenhäuser in eine Schieflage. Bamberg warb für eine abgestimmte Versorgung und eine landkreisübergreifende Strukturreform: „Nicht mehr jeder Landrat oder Bürgermeister kann noch sein kleines Spittel betreiben.“

Keine Luft zum Atmen

FDP-Gesundheitspolitiker und Mediziner Prof. Andrew Ullmann sprach von einer „kollektiven Hypoxie der Krankenhäuser seit Jahrzehnten“, also Sauerstoffmangel. Es sei antiquiert, dass ambulante und stationäre Versorgung getrennt abgerechnet und durchgeführt sowie als Konkurrenz betrachtet würden. Ullmann warb für kleinere, spezialisierte Kliniken und große Häuser mit Maximalversorgung.

Kliniken besser vernetzen

Ambulante und stationäre Versorgung besser abstimmen will auch Gesundheitsberater, Ex-AOK-Vorständler und ESB-Alumnus Siegmar Nesch. Er forderte bessere Vernetzung und eine übergreifende Perspektive, statt immer nur auf einzelne Häuser zu schauen.

Belegungszahlen rückläufig

Matthias Mohrmann vom AOK Vorstand Rheinland/Hamburg berichtete von einem deutlichen Belegungsrückgang an den Kliniken. Es gebe weniger stationäre Patientinnen und Patienten, und dieser Trend werde sich in den kommenden Jahren wohl fortsetzen.

Strukturumbau wird kommen

Doch die Kliniken bräuchten auch diese Belegungen. Derzeit würden die Häuser noch mit Steuermitteln gestützt. „Aber irgendwann wird das zu Ende sein, und dann wird dieser Strukturumbau einen Anschub bekommen.“ Mohrmanns Trostpflaster: Die Klinikgebäude würden künftig möglicherweise für ambulante oder kurzstationäre Leistungen gebraucht.

Bambergs Pläne

Bamberg führte aus, dass kleine Häuser die komplizierte Sauerstoffbehandlung Corona-Erkrankter oft nicht leisten können. Nach Ansicht des Klinikchefs sei Grundversorgung wie bisher mit 60, 80, 100 Betten künftig nicht mehr möglich.

Der Tübinger Uniklinik-Direktor forderte, kleine Kliniken durch Notarzt-Standorte zu ersetzen: „Wir werden eine Menge an Krankenhäusern schließen müssen, um in den Zentren die Qualität entsprechend hochzuhalten und zu steigern.“ Und auch, so Bamberg weiter, um das knappe Personal dort zu konzentrieren, wo es dringend gebraucht werde.

Das Sterben kleiner Häuser

„Die Pandemie hat aufgezeigt, dass wir vor einem System- und Strukturwechsel stehen“, so Bamberg. Die Frage sei, wie schnell die Politik daraus ihre Konsequenzen ziehe. Seiner Ansicht nach könnten viele stationäre Patienten auch ambulant gut versorgt werden. Eine Ambulantisierung freilich werde das Sterben mancher kleiner Häuser beschleunigen. Er verlangte klare Vorgaben, etwa so wie in Dänemark.

Berater Rong gab schon mal Argumentationshilfen für Landräte, die ihre Kliniken als Standortfaktor sähen und politisch im Wort stünden: „Möglicherweise hilft die Finanzsituation. Wir haben Ressourcenknappheit, wir können nicht alles machen.“

Diesen Artikel teilen: