Balingen

Ricarda Lang im Balinger Weltladen: Grünen-Bundesvorsitzende spricht über fairen Handel

10.05.2024

Von Nicole Leukhardt

Ricarda Lang im Balinger Weltladen: Grünen-Bundesvorsitzende spricht über fairen Handel

© Jasmin Alber

Ricarda Lang spricht und gestikuliert

Es sei eine Art Familienbesuch, wie Bernhard Schädle-Horn den besonderen Gast begrüßte, der dem Balinger Weltladen am Freitag über die Mittagszeit einen Besuch abstattete: Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang hatte in Balingen unter anderem dort Station gemacht, um mit ihren Gästen ins Gespräch zu kommen.

„Wir sind ein Fachgeschäft des Fairen Handels“, eröffnete Bernhard Schädle-Horn die ungezwungene Gesprächsrunde mit dem namhaften Gast. „Der Weltladen ist die Inkarnation des Lieferkettengesetzes“, wie er hinterherschob und somit das Thema, über das die Grünen-Chefin an diesem Freitag in Balingen sprechen wollte, andeutete. Weil die Grünen und die Weltladenbewegung „quasi dieselben Wurzeln haben, unter anderem den fairen Handel“, sei es eine Art Besuch bei Verwandten, so Schädle-Horn, „das passt wie in einer Familie gut zusammen“.

Hemdsärmelige Anfänge einer Erfolgsgeschichte

Die Weltladen-Bewegung setze das Lieferkettengesetz „zu hundert Prozent um, wir können den Weg vom Erzeuger bis ins Ladenregal nachverfolgen“, so Schädle-Horn, der in einem kurzen Abriss die Entwicklung des Balinger Weltladens Revue passieren ließ. Er beschrieb die „abenteuerlichen Anfänge vor 39 Jahren in fast abbruchreifen Gebäuden“, und zeichnete für die Politikerin den Weg des Weltladens „von der furchtbaren Rumpelkammer“ bis ins heutige schmucke, lichtdurchflutete Gebäude der Lebenshilfe in der Neue Straße. Die Zusammenarbeit mit dieser Einrichtung sei ausgesprochen gut und fruchtbar, lobte er.

„Die Anfänge waren ganz schön hemdsärmelig, aber auch schön und spannend“, fasste Schädle-Horn zusammen. Der Weltladen habe eine beachtenswerte Entwicklung hingelegt, „von einem Jahresumsatz von 20.000 D-Mark am Anfang bis zu 160.000 Euro heute“, wie er beschrieb. Ehrenamtliche würden das Geschäft betreiben, „einen Chef gibt es nicht, aber ein rotierendes Leitungsteam“, wie der Mitorganisator erklärte.

„Ungeregelter Kapitalismus geht über Leichen“

Ein Erfolgsmodell, offenbar. Doch: „Am besten wäre es, wenn man gar keine Weltläden bräuchte“, betonte Schädle-Horn. „Denn wir möchten ein Modell sein für eine Wirtschaftsweise, die eine andere Maxime hat, als den Profit von Aktienbesitzern“, erklärte er. Das deutsche Lieferkettengesetz sei dafür ein guter Anfang, „die Europäische Version ist ein Desaster geworden, eine gute Idee, die verstümmelt wurde“, wie er kritisch bemerkte. „Wenn man globalen Handel betreibt, geht das nicht ohne Regeln. Und ungeregelter Kapitalismus geht über Leichen, so stellen wir uns die Welt nicht vor“, so Schädle-Horn.

Eine Sichtweise, mit der er bei der Co-Bundesvorsitzenden offene Türen einrannte. „Wir teilen viele Prinzipien, es gibt sehr große Schnittmengen mit der Weltladenbewegung“, konstatierte auch sie. Beispielhaft nannte sie die Verantwortung für zukünftige Generationen, das Prinzip der Solidarität und auch das Verständnis dafür, dass es für eine global vernetzte Welt Regeln brauche. Alles laufen zu lassen führe nicht zu mehr Gerechtigkeit, betonte sie.

Die Politik müsse es schaffen, diese Aspekte auf große Teile der Wirtschaft auszuweiten, Fairness dürfe kein Alleinstellungsmerkmal der Weltläden bleiben, so Ricarda Lang. Vielmehr müsse es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Wirtschaft ohne Kinderarbeit, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen auskomme. Auch die „entwaldungsfreie Lieferkette“ müsse umgesetzt werden.

Europäisches Lieferkettengesetz „ist ein großer Schritt“

Dass das Lieferkettengesetz nun europaweit Geltung habe, „ist ein großer Schritt“, wie die 30-jährige Politikerin anmerkte. Denn damit seien Regeln geschaffen worden, an die sich nicht nur Deutschland, sondern auch Schweden oder Italien halten müssten, wie sie erklärte. Wichtig sei es nun, keine neuen Schlupflöcher zu schaffen und Verstöße gegen das Gesetz auch zu sanktionieren. Die Umsetzung des Gesetzes allerdings gelte es, zu entbürokratisieren, seine Umsetzung auch für „den kleinen Mittelständler“ möglich zu machen.

„Mir ist klar, dass nicht jeder prüfen kann, wo jede einzelne Schraube herkommt“, erklärte sie. Da seien Einrichtungen wie die IHKs gefragt, die ihre Mitgliedsbetriebe beraten könnten. Auch die Einrichtung von Whitelists sei eine gute Möglichkeit, das Prozedere einfacher zu gestalten. So sei bei Produktionen in Deutschland beispielsweise ohnehin klar, dass keine Kinderarbeit inbegriffen sei, nannte sie ein Beispiel.

Gesetze nicht wieder rückgängig machen

„Einige Rechtsextreme und Konservative wollen nun die Gesetze wieder zurückdrehen, Markus Söder und Friedrich Merz wollen einen U-Turn hinlegen“, ärgerte sie sich. Dabei sei genau diese Frage richtungsentscheidend für die Zukunft der globalen Wirtschaft, für die es Handelsverträge auszuarbeiten gelte, die zum Beispiel den langen Transport von Billigfleisch ausschließen würden.

Auch auf die Anregung aus dem Zuhörerkreis, dass man sich fair gehandelte Produkte auch leisten können müsse, ging die Grünenabgeordnete ein. Leute mit wenig Geld würden gerne vorgeschoben von denen, die selbst dann gegen die Mindestlohnerhöhung, gegen die Kindergrundsicherung und gegen das Tariftreuegesetz wären. Klar sei, dass Fairer Handel „kein nice-to-have“ sein dürfe, denn Ausbeutung und Umweltzerstörung brächten massive Folgekosten mit sich.

Und nicht nur die Landwirte im Ausland sollen von fairem Handel profitieren, auch für die in Deutschland wolle sie sich einsetzen. Dass die Kfz-Besteuerung zurückgenommen worden sei, die überproportional geraten sei, sei richtig gewesen. Wichtig sei es, für Landwirte faire Bedingungen zu schaffen, betonte Ricarda Lang und nannte fixe Verträge für Molkereien als Beispiel. Demokratie lebe letztlich jedoch immer von Mehrheiten, schloss die Grünenchefin. In Koalitionen werde man nie 100 Prozent „grün“ umsetzen können, aber im besten Fall so viel wie möglich.

Die Grünen-Chefin im ZAK-Gespräch

Im Anschluss an ihr Gespräch mit den Grünen aus Kreis- und Stadtverband stellte sich Ricarda Lang noch zwei Fragen des ZOLLERN-ALB-KURIER, die wir hier im Wortlaut veröffentlichen:

Frau Lang, wo liegen die Gemeinsamkeiten der Weltladen-Bewegung und der Grünen?

Ricarda Lang: Da möchte ich drei Punkte nennen: Uns eint zum einen das Prinzip der Nachhaltigkeit, dass wir nicht nur ans uns denken, sondern auch im Sinn unserer Kinder und deren Kinder handeln, für die wir eine Verantwortung tragen.

Zweitens geht es um das Prinzip der Solidarität, also darum, nicht die Ellbogen auszufahren, sondern zusammenzuarbeiten. Eben so, wie man es hier in Balingen sieht mit der Solidarität zwischen Weltladen und Lebenshilfe, die sich unter die Arme greifen.

Und drittens eint uns die Erkenntnis, dass wir in einer globalisierten, vernetzten Welt leben, was gut ist, ein Fortschritt ist. Was aber auch bedeutet, dass wir Regeln brauchen, dass wir nicht unseren Wohlstand auf Kinderarbeit und Umweltzerstörung aufbauen, sondern auf einer funktionierenden und gerechten Weltwirtschaft.

Wie erleben Sie den Wahlkampf angesichts von Angriffen auf Politiker und auch auf Wahlhelfer?

Ricarda Lang: Ich erlebe eine riesige Motivation. Seit Jahresbeginn sind ganz viele Menschen bei uns Mitglied geworden. Viele sagen, sie hätten ein geeintes, friedliches Europa immer für selbstverständlich genommen, das habe sich verändert, zum einen durch den furchtbaren Angriffskrieg Putins, zum anderen durch Rechtsextreme in Deutschland. Sie sagen: Unsere Demokratie, Europa ist etwas unfassbar Wertvolles, wofür es sich zu kämpfen und zu überzeugen lohnt.

Natürlich haben wir in den letzten Tagen in Leipzig, Dresden oder Essen auch erlebt, dass es zu Angriffen auf Wahlkampfhelfer kommt. Was mir große Sorgen macht, ist, dass es zunehmend nicht mehr nur Minister, Parteivorsitzende, Leute in der ersten Reihe trifft, sondern auch Ehrenamtliche, Kommunalpolitiker. Diese Menschen nutzen ihre Freizeit für Demokratie und haben viel, viel weniger Schutzmöglichkeiten, als es ein hauptamtlicher Politiker hat. Sie sind das Rückgrat unserer Demokratie, sie brauchen unseren Schutz und unsere Solidarität.

Für mich sind drei Dinge ganz wichtig: Erstens, dass wir klar machen, dass es kein Problem einer einzelnen Partei, sondern ein Angriff auf die Demokratie, auf die Meinungsfreiheit ist. Auch ein Angriff auf die Art und Weise, wie wir in einer Demokratie Konflikte lösen. Nämlich mit Zuhören, mit Aufeinanderzugehen, niemals mit Gewalt.

Zweitens ist das der Moment, in dem alle demokratischen Parteien zusammenhalten müssen. Wir streiten uns hart in der Sache, inhaltlich, ich verlange von niemandem, uns mit Samthandschuhen anzufassen. Aber es gilt: Getrennt in den Parteifarben, geeint im Schutz der Demokratie.

Und drittens: Wir müssen alle zusammen harte Kante gegen Rechts zeigen und dabei selbst nicht verhärten. Für mich ist es ganz klar, meine Hand bleibt ausgestreckt, mein Ohr bleibt offen. Auch denen gegenüber, die Kritik üben, die Fragen haben, die einen blöd finden, das ist heute vielleicht wichtiger denn je.

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