Reutlingen

Razzia bei „Reichsbürger“ in Reutlingen: Schuss trifft Polizisten – Schütze festgenommen

22.03.2023

von GEA

Razzia bei „Reichsbürger“ in Reutlingen: Schuss trifft Polizisten – Schütze festgenommen

© Steffen Schanz

In Reutlingen läuft seit dem frühen Mittwochmorgen ein größerer Polizei-Einsatz unter Federführung des Bundeskriminalamts.

Bei einer Razzia in der Reichsbürgerszene in Reutlingen wird ein Polizist angeschossen. Beamte nehmen den Schützen fest und sperren das Gebiet weiträumig ab. Die Behörden geizen mit Informationen, im Internet entstehen wilde Gerüchte.

In der Reutlinger Ringelbachstraße hat es am frühen Mittwochmorgen einen großen Polizei-Einsatz gegeben. Auch vermummte Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) waren vor Ort. Zwischenzeitlich war das Gebiet rund um die Kreuzung Ringelbachstraße/Peter-Rosegger-Straße weiträumig abgesperrt.

Durchsuchungen bei 19 Personen

Grund für den Einsatz war eine Razzia in der Reichsbürgerszene. Nach übereinstimmenden Berichten verschiedener überregionaler Medien gab es Durchsuchungen in mehreren Bundesländern und dem Ausland. 19 Personen waren betroffen.

Bei fünf Personen besteht der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Diese leben in München, der Region Hannover, Chemnitz und der Schweiz. Die anderen 14 würden bislang nicht als Beschuldigte gelten, berichten mehrere Medien, sondern als Zeugen. Sie seien offenbar in Chats aufgetaucht.

Nachbar hört lauten Knall

In Reutlingen begann der Einsatz in den frühen Morgenstunden. Ein Anwohner in einer Nebenstraße, der an diesem warmen Märzmorgen etwas ratlos im Garten seines Hauses steht, berichtet dem Reutlinger Generalanzeiger, dass er gegen 6 oder 6.15 Uhr einen Knall gehört habe.

Die zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bestätigt am Vormittag, dass bei der Razzia ein Schuss gefallen ist. Ein Mann habe auf einen SEK-Beamten geschossen und diesen dabei verletzt. Der Schütze wurde festgenommen, der Polizist wird medizinisch versorgt.

Er sei wohl nicht lebensgefährlich verletzt, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, der aufgrund eines Besuchs bei der Industrie- und Handelskammer in der Achalmstadt war.

Ermittler hüllen sich in Schweigen

Das ist dann aber zunächst auch alles, was Polizei und Bundesanwaltschaft preisgeben. Reporter werden an allen Straßen, die zum Tatort führen, teilweise rüde abgewiesen. Auch ein Pressesprecher der Reutlinger Polizei, der vor Ort ist, darf den Journalisten absolut nichts sagen. Er verweist an die zuständige Bundesanwaltschaft – doch dort ist telefonisch stundenlang kein Durchkommen.

Später schreibt die Deutsche Presse-Agentur, dass der Schütze in Reutlingen einen Waffenschein besessen habe. Unter den insgesamt 19 Menschen, bei denen die Polizei am Mittwochmorgen in ganz Deutschland und der Schweiz Räumlichkeiten durchsucht hat, seien ein Polizist und ein Angehöriger der Bundeswehr.

Wilde Gerüchte: Sprengung, Schusswechsel, Messerstecherei

Das Mauern der Polizei und das schlechte Durchkommen in Karlsruhe führt im Verlauf des Tages dazu, dass schnell wilde Gerüchte entstehen. Schülerinnen erzählen dem GEA beispielsweise, sie hätten gehört, dass es eine Messerstecherei gegeben habe.

Von einem ganzen Schusswechsel ist auf Social Media stellenweise die Rede, andere Menschen berichten von einer Sprengung. Und dann gibt es noch die zahlreichen Nachbarn, die absolut nichts gehört haben und ratlos in ihren Gärten stehen. Auch sie wünschen sich Informationen darüber, was da in ihrer Nachbarschaft passiert ist.

Einsatz sorgt für Verkehrschaos

Gegen 9 Uhr meldet die Pressestelle der Reutlinger Polizei, dass die Lage geklärt sei. Einige Minuten später fährt ein schwarzer Wagen mit getönten Scheiben vor und wird zum Tatort durchgelassen: die Bundesanwaltschaft ist da. Nochmal einige Minuten später brausen mit hoher Geschwindigkeit und Blaulicht ein Kastenwagen und ein weiteres schwarzes Auto zum Tatort. Etwas später wird ein Roboter eingesetzt, der normalerweise bei Gefahrenlagen mit Sprengstoff oder Bomben eingesetzt wird.

Die weitläufige Absperrung des Gebietes führt am frühen Morgen stellenweise zu Verkehrschaos. Die TSG Reutlingen muss einige Kurse absagen, da die Polizei ihren Parkplatz benutzt.

Ebenfalls vor Ort im Ringelbach: Oberbürgermeister Thomas Keck. Er berichtet, dass er morgens durch eine Nachricht von Ordnungsamtschef Albert Keppler von der Razzia erfahren habe. Von ihm ist ebenfalls zu erfahren, dass der Schütze mit „einer großkalibrigen Waffe“ auf den Beamten geschossen habe. Der Stadtverwaltung seien zwar „ein paar Personen“ mit Reichsbürger-Bezug in Reutlingen bekannt, allerdings „bislang nicht militant“.

Schütze sollte als Zeuge durchsucht werden

Am Nachmittag veröffentlicht die Bundesanwaltschaft schließlich weitere Informationen. „Markus L. lehnt die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ab“, heißt es in einer Pressemeldung. Der in Reutlingen lebende Mann sollte demnach als Zeuge durchsucht werden. Ein Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichthofs liege vor.

Ermittlung wegen versuchten Mordes

Beim Eintritt in die Wohnung des Beschuldigten hätten sich die Einsatzkräfte durch mehrfaches lautes Rufen als Polizisten zu erkennen gegeben. „Sie trafen Markus L. im Wohnzimmer an, wo er bereits eine großkalibrige Schusswaffe auf die Beamten gerichtet hatte.“

Der wiederholten Aufforderung, die Waffe wegzulegen, sei er nicht gefolgt. „Es kam zu einem Schusswechsel zwischen den Einsatzkräften und dem Beschuldigten.“ Dabei sei ein Polizeibeamter von einem Schuss des Beschuldigten in den Arm getroffen worden.

Weiter heißt es: „Nachdem er sich ergeben hatte, wurde Markus L. vorläufig festgenommen.“ Die Bundesanwaltschaft habe beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl beantragt.

Der Beschuldigte werde noch am Mittwoch dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der über den Erlass des Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden werde. Gegen den Reutlinger „besteht der dringende Verdacht des mehrfachen versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung.“

Weitere Einsätze in der Region

Auch an weiteren Orten in der Regiont gibt es an diesem Morgen Einsätze, die offenbar mit der Reichsbürger-Razzia in Verbindung stehen. In Pliezhausen landet gegen 9 Uhr ein Polizeihubschrauber. Später hebt er wieder ab. Aus der Reutlinger Polizeipressestelle gibt es dazu keine Auskunft, der GEA wird ebenfalls nach Karlsruhe verwiesen. Die dortige Pressesprecherin gibt keine Auskunft zu Details.

Im Industriegebiet Mahden bei Altenburg, in der Steigäckerstraße, gibt es zur Mittagszeit dann einen Polizeieinsatz, offenbar ebenfalls eine Durchsuchung. Selbe Aussage bei der Pressestelle der Reutlinger Polizei: Auskunft dürfe nur die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe geben. Von dort ist lediglich zu erfahren: Es gab weitere Durchsuchungen in Baden-Württemberg im Raum Tübingen, in Rottweil und in Stuttgart.

Zusammenhang zu Razzien im Dezember

Die Razzien an diesem Mittwoch stehen im Zusammenhang mit großen Reichsbürger-Razzien im Dezember. Damals waren auch im Kreis Tübingen drei Reichsbürger festgenommen worden. „Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.

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