Balingen

Nach hitzigen Debatten: Vor 50 Jahren unterzeichnete Engstlatt den Eingemeindungsvertrag

31.10.2023

von Nicole Scheletz

Nach hitzigen Debatten: Vor 50 Jahren unterzeichnete Engstlatt den Eingemeindungsvertrag

© Paul Bossenmaier

Engstlatt aus der Vogelperspektive: Vor 50 Jahren wurde die ehemals eigenständige Gemeinde Teil der Stadt Balingen (Archivfoto).

„Auch in bin ein Engstlatter“ – dieses Statement von Albert Hagenbuch bei der Eingliederungsfeier am 31. August 1974 schloss endgültig den Frieden zwischen Engstlatt und der Stadt Balingen. Tosender Beifall kam dem damaligen Balinger Bürgermeister entgegen. Doch anfangs sah die Situation ganz anders aus. Von Erpressung und Betrug war sogar die Rede. Wie der Weg der Eingemeindung verlief, hat das Balinger Stadtarchiv resümierend aufgearbeitet.

Engstlatt ist die sechste Gemeinde, die sich freiwillig nach Balingen eingliedern ließ. Doch vorerst nahm Engstlatt eine distanzierte Haltung gegenüber der Eingemeindungsreform ein. Es herrschte beim Bürgermeister Heiner Vogel und den Gemeinderäten zu jenem Zeitpunkt noch Ungewissheit, wie sich die Reform für Engstlatt auswirken würde.

Zudem sollte die Entscheidung für oder gegen eine Eingliederung unter enormen Zeitdruck gefällt werden, da zu dem Zeitpunkt nicht bekannt war, wann die Freiwilligkeitsphase tatsächlich endet. So ist in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung, an der 170 Zuhörer teilnahmen, auch hitzig debattiert worden. Der Gemeinderat empfand die Fusionspläne als Erpressung.

Heiner Vogel hielt zunächst an der Hoffnung fest, dass Engstlatt seine Selbstständigkeit bewahren könnte, indem auf die freiwillige Eingemeindung verzichtet wird. Diese Haltung spiegelte sich somit auch bei der Bürgeranhörung vom 26. März 1972 wider.

83,6 Prozent gegen Eingliederung

Engstlatt ist die erste Gemeinde gewesen, die sich mit beachtlichen 83,6 Prozent gegen eine Eingliederung aussprach. Mit dem Votum wurde somit ein Statement gegen die geplante Gemeindereform gesetzt.

Neben der Eingemeindung stand auch die Option einer Verwaltungsgemeinschaft im Raum. Diesbezüglich fanden im Sommer 1972 Gespräche mit den betroffenen Gemeinden Frommern, Weilstetten, Geislingen, Engstlatt und der Stadt Balingen statt. Doch es stellten sich maßgebliche Zweifel an einem solchen Vorhaben ein.

Die Illusion, dass Engstlatt sich seine Selbstständigkeit bewahren könnte, wurde Bürgermeister Heiner Vogel im Jahre 1973 endgültig genommen. Die Landesregierung verlangte im Rahmen der Eingemeindungsreform die geplanten Gemeindezusammenschlüsse umzusetzen. Ansonsten drohe eine Zwangseingemeindung.

Viele Sorgen und Zweifel vor Vertragsunterzeichnung

„Der Weg bis zur Vertragsunterzeichnung war mit vielen Überlegungen, Sorgen und Zweifeln verbunden, weswegen es am Ende insgesamt 16 Gemeinderatssitzungen bedurfte, bis der Eingemeindungsvertrag auf dem Tisch lag“, stellt Nicole Scheletz bei der Sichtung der Gemeinderatsprotokolle fest. Bei der Vertragsunterzeichnung betonte Heiner Vogel, dass der Gemeinderat von Engstlatt den Weg der Vernunft und der Einsicht gegangen ist und den Vertrag zum Wohle der Bürger verabschiedet habe.

Ursprünglich sollte Engstlatt am 1. Januar 1974 eingemeindet werden. Doch in Rücksichtnahme auf die Stadt Balingen zog Engstlatt die Eingemeindung vor und zwar auf den 1. Oktober 1973, damit sie bereits einen Antrag auf die Erhebung zur Großen Kreisstadt stellen konnte. Damit zeigte Engstlatt ein sehr großes Entgegenkommen.

Heute ein „Wir-Gefühl“

Im Rückblick auf die 50-jährige Zugehörigkeit zur Stadt Balingen resümiert der heutige Engstlatter Ortsvorsteher Klaus Jetter, dass „der Weg bis zur Entscheidung für die Eingemeindung zwar ein steiniger gewesen sein mag. Nichtsdestotrotz ist in den Jahren ein Wir-Gefühl zu der Kernstadt und auch zu den anderen Stadtteilen entstanden, auf welches man nicht mehr verzichten möchte.“

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