Balingen

Mit Hochdruck voran: Balinger Kompressorenfirma spricht über Energiewende und Fachkräftemangel

18.02.2024

Von Nicole Leukhardt

Mit Hochdruck voran: Balinger Kompressorenfirma spricht über Energiewende und Fachkräftemangel

© Julia Schöller / Firma Mehrer

Mit einer eigenen Ausbildungswerkstatt gegen den Fachkräftemangel: Die Balinger Firma Mehrer um Firmenchef Jörg-Peter Mehrer (hinten rechts) sieht sich für die Zukunft gewappnet.

Es herrscht geschäftiges Treiben an diesem Dienstagmorgen in den Produktionshallen der Balinger Traditionsfirma Mehrer. Deren Geschäftsführer, Jörg-Peter Mehrer, grüßt beim Rundgang Mitarbeiter, Kollegen, Azubis. „Wir sind eine Familie“ sagt er. Wie diese Familie den derzeitigen Krisen auf der Welt trotzt und sich weiterentwickeln will – wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Die beide übergroßen Stehlampen links und rechts des Haupteingangs sind wohl das auffälligste Merkmal der Firma Mehrer in der Rosenfelder Straße. „Wir sind ein echter hidden champion“, wie es Jörg-Peter Mehrer formuliert. Ein versteckter Champion, also. Denn seit über 130 Jahren produziert sein familiengeführtes Unternehmen bereits Kompressoren, in einigen Bereichen ist der Betrieb Weltmarktführer. „Kaum jemand weiß, dass viele Biere, die in Supermärkten verkauft werden, mit Hilfe von Mehrer-Produkten produziert werden“, nennt er ein Beispiel.

Eine Holding mit vier Unternehmen

Dabei hat sich das Unternehmen, das in dritter Generation mit der Herstellung von mit Druckluft-Kompressoren begonnen hat, längst zu einer Holding mit vier angegliederten Unternehmen gemausert. Neben der „Mehrer Compression“ gibt es die Firma CryonCo, die Trockeneispressen herstellt und vertreibt. Die Firma Maintanio zeichnet sich für alle digitalen Services der Unternehmungen verantwortlich. Und es gibt noch eine Firma, die man so gar nicht hinter dem „Mehrerschen“ Unternehmenskomplex suchen würde: Die „Fasteninfos“, bei der Interessierte online oder in Präsenz beim Fasten begleitet werden. „Mein persönliches Steckenpferd“, wie Jörg-Peter Mehrer verrät. Er hofft, seine Erfahrungen auf diesem Gebiet ins betriebliche Gesundheitsmanagement einbringen zu können.

150 Mitarbeiter beschäftigt Mehrer mittlerweile in Balingen, Tendenz steigend. Dass sich die wohlfühlen in ihrem Betrieb, ist Jörg-Peter Mehrer ein Anliegen. „Wir wollen Werte nicht nur in einem Papier formulieren, sondern sie leben“, sagt er. Werte wie Verlässlichkeit, Zusammenarbeit, Kundenorientierung, Offenheit und Begeisterungsfähigkeit. „Eine Oben-Unten-Kultur gibt es bei uns nicht, wir legen großen Wert auf das Feedback unserer Mitarbeiter, dafür gibt es eigens Trainings“, schildert er. Zum Team gehören auch 24 Auszubildende und Studenten, Mehrer unterhält in Balingen eine eigene Ausbildungswerkstatt.

Bürokratie bremst die Fachkräftegewinnung aus

Ist der Fachkräftemangel also überhaupt ein Thema? „Wir schaffen Ausbildungsangebote für junge Talente“, erklärt der Geschäftsführer, „und dass die gerne Werbung für ihren Betrieb machen, macht mich schon stolz“, fügt er an. Eine Prämie für Mitarbeiterwerbung gibt es ebenso. Allein die Bürokratie sei nach wie vor ein großes Problem in Sachen Mitarbeitergewinnung. „Dass man einem Mitarbeiter aus dem Ausland nach sechs Monaten in Deutschland die Fähigkeit, Auto zu fahren, von einem Tag auf den anderen aberkennt und er keinen gültigen Führerschein mehr hat, mit dem er hier ein halbes Jahr fahren durfte, ist ein solches Beispiel“, sagt Jörg-Peter Mehrer.

Die Integration ausländischer Mitarbeiter in die Mehrer-Familie funktioniere reibungslos, „eine ganze Abteilung spricht zum Beispiel aus eigenen Stücken Englisch miteinander, dass alle verstehen, worum es geht“, erzählt er. Aber in Sachen Behördenwesen oder Wohnungssuche bestünden nach wie vor unnötige Hürden, die es abzubauen gelte.

Umsatz auf gutem Kurs

Denn die Mehrer-Familie wächst beständig, die Auftragslage ist gut. Von Kurzarbeit sei man „ganz weit weg“, sagt Jörg-Peter Mehrer, die Auftragsbücher seien übervoll. Allein im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei 28 Millionen Euro, im laufenden Jahr erfülle man die Erwartungen bereits jetzt über das Soll hinaus.

„Viele schöpfen aufgrund unserer Produkte und Entwicklungen Zukunftshoffnung“, beschreibt er. Denn während beispielsweise die gesamte Automotive-Branche am Tropf des Weltmarkts hänge, „entwickeln wir eigene Produkte, haben den Markt in der Hand und können vieles selbst steuern“. Auch die Energiekrise sieht Jörg-Peter Mehrer mehr als Chance, denn als Problem. „Wir wollen Teil der Energiewende sein, sie mitgestalten“, beschreibt er.

Wasserstoff-Tankstelle als Pionierprojekt

Mit der Trockeneispresse, die ölfrei und somit lebensmittelecht arbeite, habe man beispielsweise eine sinnvolle Zweitverwendung für CO2 entwickelt. Das Corebusiness, sein Kerngeschäft also, sei indes nach wie vor Kohlenstoffdioxid- und Wasserstoffverdichtung. In Sachen Gas sei man mittlerweile bei 1000 bar(a) angelangt, auch Speicher für Wasserstoff werden mit Produkten von Mehrer betrieben. Mehr noch: „Bei vielen deutschen Wasserstoffprojekten sind unsere Verdichter im Einsatz“, betont Mehrer. Eine betriebseigene Wasserstoff-Tankstelle rundet die Firmenphilosophie ab. „Man kann auch im Zollernalbkreis mit Wasserstoff fahren“, sagt der Firmenchef.

Seine Firmenstrategie ist auf Wachstum ausgerichtet: Das Balinger Unternehmen will sich vom Komponenten- zum Systemanbieter weiterentwickeln, internationale Märkte noch besser erschließen, seinen Kundenservice flächendeckend ausbauen und weiter in die Produkte und die Mitarbeiter investieren. Das Umsatzziel fürs Jahr 2030 liegt bei 50 Millionen Euro. Und dafür braucht es Platz: „Wir sind räumlich am Limit“, sagt der Geschäftsführer. Lediglich ein Grundstück steht am Firmenstandort noch zur Verfügung, „womöglich brauchen wir einen Backup-Plan“, sagt Jörg-Peter Mehrer.

Verpflichtung, Verantwortung und Ehre zugleich

Dass sein Familienbetrieb eine Chance für die folgende, sechste Generation sein kann, dafür arbeitet er täglich. „Mission ist es, der nächsten Generation die Chance auf ein selbständiges Unternehmertum zu bewahren“, betont er. Er wolle „für den notwendigen Druck sorgen, um die Welt unserer Kinder besser zu machen“, fasst er die Firmenphilosophie in einem schlagkräftigen Satz zusammen. Denn: „Für mich ist es eine Verpflichtung, eine Verantwortung, diese Firma zu führen. Aber es ist mir eine Ehre zugleich.“

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