Balingen

Ist der Synodale Weg gescheitert? – Balinger Katholiken zwischen Resignation und vager Hoffnung

07.03.2024

Von Rosalinde Conzelmann

Ist der Synodale Weg gescheitert? – Balinger Katholiken zwischen Resignation und vager Hoffnung

© Rosalinde Conzelmann

Heilig-Geist-Pfarrer Wolfgang Braun sieht noch Hoffnung für den Synodalen Weg.

Es geht um Machtaufteilung, die Rolle der Frau, den Zölibat und die Sexualmoral in der Kirche – Themen des Synodalen Wegs, den der Vatikan im Februar erneut ausgebremst hat. Der Aufschrei war groß, gar von Kirchenspaltung die Rede. Sieht man das an der Basis auch so? Wir haben bei Heilig-Geist-Pfarrer Wolfgang Braun und Pastoralreferentin Ulrike Erath nachgefragt. Brauns Antworten zeichnen ein wenig düsteres Bild, während sich bei Erath Ernüchterung und Resignation breitmacht.

Anlass für die erneute Debatte war und ist noch ein Brief aus Rom an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Georg Bätzing. Drei Kurien-Kardinäle hatten darin die Bischofskonferenz aufgefordert, bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz auf die vorgesehene Verabschiedung der Satzung eines Synodalen Ausschusses zu verzichten – mit ausdrücklicher Billigung des Briefes von Papst Franziskus. Die Bischöfe sind, wie ja bekannt ist, dieser Bitte nachgekommen. Sie haben bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Augsburg Ende Februar keine Satzung beschlossen, aber über den Brief und darüber, wie es mit dem Synodalen Weg weitergehen soll, intensiv diskutiert.

Mehr als ein Dutzend Reformvorschläge

Zwischenzeitlich ist das Thema nicht mehr auf der Seite eins der Printmedien, für die katholischen Kirchengemeinden ist es aber dennoch präsent. Laut Pfarrer Braun hat der Kirchengemeinderat den Reformprozess, der 2019 als Reaktion auf die Missbrauchskrise gestartet wurde, eher zur Kenntnis genommen und über den einen oder anderen Punkt auch mal diskutiert. In der ersten Phase des Prozesses, der im Frühjahr 2023 abgeschlossen wurde, sind mehr als ein Dutzend Reformvorschläge – unter anderem für mehr Gewaltenteilung sowie mehr Rechte für Frauen und queere Menschen in der Kirche – erarbeitet worden.

Chef ist Jesus Christus, nicht der Pfarrer

Man habe die Themen des Synodalen Wegs eher still umgesetzt, sagt der Seelsorger. Beispielsweise auch er in seinen Predigten. „Wir leben schon viel“, betont Braun. Entscheidender Punkt sei die Rollenverteilung von Priestern und Laien, bei der es um Teilnahme und Mitbestimmung bei den Entscheidungen gehe. Für den leitenden Pfarrer der Seelsorgeeinheit Balingen mit den Kirchengemeinden Heilig Geist Balingen, St.-Paulus Frommern und St.-Johannes-Baptist Roßwangen sowie der katholischen kroatischen Gemeinde steht der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund. Er hat dabei seine eigene Sichtweise: „Der Chef ist Jesus Christus und nicht der Pfarrer der Gemeinde.“

Es gibt ein Alleinstellungsmerkmal

Dass in der Seelsorgeeinheit Balingen vieles aus dem Synodalen Weg schon praktiziert wird, hat einen Grund. Braun spricht von einem Alleinstellungsmerkmal und meint das so genannte Rottenburger Modell. Dieses ist im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1968 aus der damals herrschenden Reformstimmung heraus geboren worden. Es steht für die kooperative Leitung der Pfarreien von Priestern und Laien. Die gemeinsame Sendung des einen Gottesvolks, das Priester und Laien bilden, sollte sich auch in den kirchlichen Strukturen wiederfinden.

Priester und Laien leiten gemeinsam

Das Besondere und Einzigartige an diesem Modell ist die kooperative Leitung der Kirchengemeinde. Das heißt, dass der Pfarrer die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Kirchengemeinderat leitet, während in anderen Diözesen der Kirchengemeinderat lediglich eine beratende und unterstützende Funktion hat. Pfarrer Braun beschreibt es so: „Der Kirchengemeinderat kann den Pfarrer auch in pastoralen Fragen überstimmen.“ Dies könne bei strittigen oder schwierigen Entscheidungen zuweilen einem „Eiertanz“ gleichen. Wird keine Einigung erzielt, können die Katholiken den Dekan als Vermittler zurate ziehen.

Kirche nennt ihre Probleme

Pfarrer Braun betrachtet es kritisch, dass beim Synodalen Weg zuweilen Erwartungen geweckt worden sind, die nicht erfüllt wurden oder werden. Dies vor allem bezüglich der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, die den Ausschlag für den Reformprozess gegeben haben. Positiv bewertet er, dass sich die Kirche nach jahrelanger Vertuschung offen zu ihren Problemen bekennt und ihre Aufarbeitung zumindest angekündigt und auch angegangen ist. Dass man nun offen über Homosexualität und das Priestertum in der Kirche diskutiert, bezeichnet Braun als Fortschritt. Sein Standpunkt: „Ich würde homosexuelle Paare segnen“. Bislang sei allerdings kein gleichgeschlechtliches Paar mit dieser Bitte an ihn herangetreten.

Allerdings höre er bei vielen Katholiken Enttäuschung heraus, dass alles nur schleppend vorangeht und kaum Konsequenzen folgen würden.

Kirchenrecht kontra Synodaler Weg

Warum aber ist die Umsetzung von Reformen so schwierig? Weil Rom Angst davor hat, dass die Bischöfe den verbindlichen Rat von Gläubigen einholen? Weil einige Bischöfe Angst haben, Macht zu verlieren? Weil der Vatikan der Meinung ist, dass ein Organ wie ein Synodaler Rat gegen geltendes Kirchenrecht verstößt? Alles ist wohl richtig. Für Braun ist es eine Quadratur des Kreises: „Die Reformen dürfen die Lehre der katholischen Kirche nicht betreffen“. Oder, anders ausgedrückt: „Der Synodale Weg kollidiert mit dem Kirchenrecht.“

Immerhin wird über die Probleme geredet

Das bedauert der Heilig-Geist-Pfarrer. Er ist davon überzeugt, dass viel mehr Spielraum möglich wäre. „Es ist alles in der Hand von Geweihten, das könnte man entzerren“, lautet sein Wunsch. Er ist hoffnungsfroh, dass bei der Weltsynode noch einiges passieren wird und über die Forderungen diskutiert wird. Denn: „Wenn hier etwas nicht möglich ist, heißt es nicht, dass es woanders nicht doch funktionieren kann.“ Die katholische Kirche lebe zwar in Widersprüchen, dass es zur Kirchenspaltung kommt, glaubt Braun aber nicht.

Er hört von Laien immer wieder, dass die Oberen in Rom nicht sehen, was an der Basis gewünscht wird. Und Braun bedauert, dass aus der christlichen Lehre ein starres Dogmatiksystem geworden ist. „Jesus war kein Moralapostel“, betont der 56-Jährige, der seit 9 Jahren in Balingen Seelsorger ist.

Deutsche Kirche muss sich erklären

Wie geht es nun weiter? Es benötige Gespräche mit Rom; es müsse Vertrauen aufgebaut werden. Dann könne vielleicht doch einiges bewegt werden, meint Braun. Die deutsche Kirche müsse klar sagen, was ihr wichtig ist.

Brauns Rat an die enttäuschten Laien: „Denkt an das, was Euch an der Kirche hält; das Weitere wird erkämpft werden.“ Die letzte Konsequenz, der Kirchenaustritt müsse wohl überlegt sein. Denn: „Wir brauchen jeden.“

Ulrike Erath ist enttäuscht

Ulrike Erath, Religionslehrerin, Krankenhausseelsorgerin, Pastoralreferentin und engagierte Mitstreiterin der Maria 2.0-Bewegung, die für die Ämteröffnung für Frauen in der katholischen Kirche eintreten, misst der Rom-Blockade weitaus höhere Bedeutung zu, als Pfarrer Braun. Sie sieht den Synodalen Weg am Scheidepunkt.

Ist der Synodale Weg gescheitert? – Balinger Katholiken zwischen Resignation und vager Hoffnung

© Privat

Pastoralreferentin Ulrike Erath sieht den Synodalen Weg gescheitert.

Warum? Auf ZAK-Nachfrage antwortet sie: „Ich bin im Herbst 1980 mit großer Begeisterung und Interesse in mein Theologiestudium in Tübingen gestartet. Es herrschte Aufbruchsstimmung, die Theologieprofessoren – damals noch ausschließlich Männer – waren sich sicher, dass bis in 20 Jahren, also um das Jahr 2000, Frauen zu Priesterinnen geweiht werden. Diese Zeitspanne ist um das Doppelte überschritten und wir sind bis heute keinen wesentlichen Schritt weitergekommen.“

Berufung spielt keine Rolle

Kleine Schrittchen in diese Richtung, wie etwa die Tauferlaubnis für Gemeinde- und Pastoralreferentinnen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart seien sehr schnell wieder relativiert worden. Über 100 Personen hätten sich dazu berufen gefühlt, diese Aufgabe der Taufe zu übernehmen. 25 davon wurde es gestattet, „wo die Not am größten ist“, sagt sie enttäuscht. Das Traurige daran: „Es wurde davon abhängig gemacht, wo am wenigsten Pfarrer und Diakone vorhanden sind, nicht von der Berufung der Menschen.“


Gibt es keine Entwicklung mehr?

Beim Synodalen Weg hätten Bischöfe und Laien aus unterschiedlichen Bereichen viel Zeit investiert und gerungen in der Sache, aus Sorge um die Kirche und weil ihnen die Kirche wichtig ist und am Herzen liegt. Sie alle hätten über die Zukunft der katholischen Kirche nachgedacht. „Aber wenn ein Machtwort aus Rom genügt, um alles zu stoppen, wird es keine Entwicklung geben können“, bedauert sie. Solange die katholische Kirche an ihrem Grundsatz von „katholisch“ als weltumspannend und allumfassend festhalte , werde sich nichts verändern.

Man muss differenzieren

Ulrike Erath weist darauf hin, dass in Afrika oder Indien die Uhren einfach anders ticken als in Europa, Nord- oder Lateinamerika. Deshalb benötige es regionale Unterscheidungen und auf die jeweilige pastorale Situation bezogene Entscheidungen in den Ortskirchen, ohne den Kern der christlichen Botschaft infrage zu stellen, fordert die Katholikin. Diese Differenzierung werde es aber mit dem Vatikan nicht geben. Denn auch das jüngste Schreiben sehe in den getroffenen Entscheidungen und der Beteiligung von Laien an Entscheidungsprozessen in Deutschland beim Synodalen Weg eine mögliche „Verletzung der kirchlichen Gemeinschaft und Bedrohung der Einheit der Kirche“.

Alte Männer, die Angst vor Veränderungen haben

Das Fazit der Pastoralreferentin fällt ernüchtert und wenig hoffnungsvoll aus: „Solange die Entscheidungen im Vatikan von Männern getroffen werden, die Angst vor Veränderungen und Machtverlust haben und in ihrem Leben keine Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen kennen – weder privat noch beruflich - wird sich in dieser Hinsicht nichts verändern.“


Junge Menschen verstehen es nicht

Als Religionslehrerin hat sie mit ihren Neuntklässlern am Balinger Gymnasium über deren Vorstellungen ihrer „Traumkirche“ diskutiert. Das Ergebnis spiegelt genau die Themen des Synodalen Wegs wider. Bei den Schülerinnen und Schülern stehe der Wunsch nach Gleichberechtigung, nach Frauen im Priesteramt, der Aufhebung des Zölibats und Akzeptanz aller Lebensformen an vorderster Stelle. Für die jungen Menschen sei es unbegreiflich, warum sich die katholische Kirche bis heute gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung positioniert.

Auf die christliche Botschaft besinnen

Ebenso wie Pfarrer Braun verweist die Katholikin auf den Kern der christlichen Botschaft, die Liebe zu Gott, und das Gebot der Nächstenliebe. Für Jesus sei es unerheblich gewesen, wer dieser Nächste war, egal ob Frau oder Mann. Darauf müsse man sich besinnen und weniger auf das menschengemachte Kirchenrecht starren, lautet ihre Forderung.

An ihrem Traum hält die Krankenhausseelsorgerin trotz allem fest: „Kirche als Volk Gottes, das gemeinsam unterwegs ist und sich mit der Zeit verändern darf und muss, als Gemeinschaft der Gläubigen in der Tradition des 2. Vatikanischen Konzils ist mein Bild von Kirche, das für mich im Synodalen Weg seine logische Fortsetzung gefunden hätte.“

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