Zollernalbkreis

Gegen das Kaputtsparen: Warum sich Apotheken im Zollernalbkreis am Protesttag beteiligen

06.06.2023

Von Jasmin Alber

Gegen das Kaputtsparen: Warum sich Apotheken im Zollernalbkreis am Protesttag beteiligen

© Jasmin Alber

Setzen ein Zeichen für die Stärkung der Apotheken (von links): Schömbergs Bürgermeister Karl-Josef Sprenger, Apotheker Caspar Spindler, Apothekerin Nina Müller, Peter Seifert (in seiner Funktion als Gemeinderat und Apothekerinnen-Gatte), Balingens Bürgermeister Ermilio Verrengia und Apotheker Johannes Ertelt.

Die Lieferengpässe vieler Medikamente betreffen derzeit alle Apotheken – und damit auch viele Patienten. Doch der Mangel an Fiebersaft, Antibiotika & Co. ist nur ein Teil des Problems, weshalb die Apotheker im Zollernalbkreis sich am bundesweiten Protesttag am 14. Juni beteiligen. Stellvertretend berichten Nina Müller, Johannes Ertelt und Caspar Spindler, was das System Apothekenwesen kranken lässt.

Am Mittwoch, 14. Juni, bleibt der Großteil der Apotheken im Zollernalbkreis geschlossen. Wie viele sich am Protesttag beteiligen werden, steht noch nicht fest. Egal, wie viele es sein werden, die Grundversorgung an diesem Tag ist sichergestellt, betonen die Initiatoren: Die Obere Apotheke in Ebingen, die Apotheke in Rangendingen sowie die Apotheke Spranger in Hechingen sind an diesem Tag in dringenden Fällen ähnlich des Notdienstes geöffnet.

Viele „Unterprobleme“

Warum aber streiken an diesem Tag die Apotheken? Ganz vereinfacht gesagt: um nicht kaputtgespart zu werden. Dieses übergeordnete Problem hat aber viele „Unterprobleme“. Das wird beim Austausch der drei Apotheker, die stellvertretend für den Berufsstand im Landkreis sprechen, mit zwei Vertretern der Kommunalpolitik, die der Einladung kurzfristig gefolgt waren, schnell klar.

Was die Stellvertreter der Apothekerschaft auch betonen: Sie lieben ihren Beruf und sie kämpfen um den Fortbestand der flächendeckenden Versorgung und damit auch für die Patienten – das letzte Glied in der Gesundheitsversorgungskette.

Apothekendichte ist in Deutschland unterdurchschnittlich

Von den ehemals 51 wird es – Stand kommenden Mittwoch – noch 40 Apotheken im Zollernalbkreis geben. „Die Flächendeckung ist in Gefahr“, stellt Caspar Spindler, Inhaber der Bären-Apotheke Frommern und der Stadt-Apotheke in Schömberg, unumwunden fest. Die Apothekendichte ist in Deutschland im Europavergleich unterdurchschnittlich. Er und Johannes Ertelt, Inhaber der Heidelberg- und der Hohenzollern-Apotheke in Bisingen, betonen: Viele Apotheken im Kreis stehen vor der Schließung, wenn deren Inhaber (aus Altersgründen) aufhören. Sie finden oft keine Nachfolger, weil sich die Wirtschaftlichkeit nicht rechnet.

Erhöhte Personalkosten durch Zusatzschichten nachts oder an Wochenenden sind dabei nur ein Teil der gestiegenen Kosten. Von 2019 bis 2022 seien die Personalkosten um 70 Prozent angestiegen – wegen Tariferhöhungen, aber auch, weil mehr Personal benötigt wird. Die Steigerung der Kosten und Ausgaben kann im Gegensatz zu anderen Branchen nicht kompensiert werden, stellt Caspar Spindler klar.

Ganzheitliche Beratung als „Lotsen“

Die Mitarbeiter der Apotheken sind Ansprechpartner in vielen Fragen. Das gehört für sie zum Selbstverständnis, Informationen zu erhalten wird freilich nicht vergütet. Hinzu kommen Rück-/Absprachen mit Ärzten. „Wir haben die Lotsenfunktion“, formuliert es Johannes Ertelt. Also zum Beispiel: Wann sollten Patienten, die in die Apotheke kommen, besser zum Arzt, und was lässt sich selbst behandeln? Diese ganzheitliche Beratung und die Bewertung der jeweils individuellen Situation sei im sozialen Kontext sehr wichtig. Und gerade dafür sei eine flächendeckende Verfügbarkeit notwendig. Als Lotsen und Kommunikatoren fungieren die Apothekenteams auch dann, wenn der Frust und Ärger über das Gesundheitssystem der Patienten direkt bei ihnen ankommt. Beispielsweise, wenn Medikamente nicht verfügbar sind.

Gegen das Kaputtsparen: Warum sich Apotheken im Zollernalbkreis am Protesttag beteiligen

© Jasmin Alber

Ein Beispiel anhand der „Mangelliste“ einer einzigen Apotheke im Kreis: Über fünf Seiten umfasst die Aufstellung der Medikamente, die dort üblicherweise auf Lager vorrätig, derzeit aufgrund der Lieferengpässe allerdings nicht verfügbar sind.

Die Lieferengpässe gibt es in sämtlichen Bereichen, von Aspirin bis Antibiotika, von Insulin bis Blutdrucksenker. Der Online-Konkurrenz gehe es da im Übrigen gleich. Oft stünden Patienten in der Apotheke, die ihr Rezept online eingereicht hatten – wo zunächst die Verfügbarkeit angezeigt war – dieses aber drei Wochen später retoure kam mit dem Verweis, dass das gebrauchte Medikament auch bei der Internetapotheke in den Niederlanden doch nicht verfügbar ist, berichtet Nina Müller, Inhaberin der Oberen Apotheke in Haigerloch und der Stadt-Apotheke Balingen.

95 bis 99 Prozent der Wirkstoffe oder Medikamente kommen aus dem Ausland. „Wenn China und Indien den Export einstellt, sind wir alle geliefert“, konstatiert Johannes Ertelt. Und dafür brauche es keine Pandemie und keinen Krieg als Auslöser.

2 bis 3 Stunden pro Tag für Lieferengpass-Management

Inmitten der Lieferengpässe, die zu Versorgungsengpässen zu werden drohen, sorgt das nicht nur für Frust, sondern kostet auch Zeit. Aktuell beträgt der Aufwand für das Management von Lieferengpässen – darunter die regelmäßige Überprüfung der Verfügbarkeit von teils lebenswichtigen Arzneimitteln – pro Apotheke rund 2 bis 3 Stunden am Tag. Dabei stellen die drei Pharmazeuten fest: „Der Zeitaufwand und die finanzielle Nicht-Honorierung sind das eine, verzweifelten Eltern oder Patienten nicht helfen zu können das andere.“ Das Positive an der Misere: Die Apotheker in der Region sind trotz des zuvor schon gepflegten sehr guten Miteinanders noch enger zusammengewachsen. Wer hat noch was auf Lager, wer kann aushelfen? Dafür gebe es eigens Whatsapp-Gruppen. „Diesen Aufwand sieht keiner, aber wir machen das gerne“, betont Nina Müller.

Die Bürokratie nimmt Überhand

Hinzu kommt, dass die Bürokratie Überhand nimmt. Das kostet zum einen Zeit, die Zuwendung den Patienten gegenüber leidet. „Wenn wir Zeit einsparen könnten durch den Abbau der Bürokratie, können wir das Gesundheitssystem verbessern“, ist sich Ertelt sicher.

Mehrere Tausend Euro im Jahr können einer Apotheke durch Null-Retaxationen fehlen. Hinter diesem Begriff steht, dass Krankenkassen bei kleinsten Formfehlern – wenn beispielsweise ein Vermerk nicht auf dem Rezept aufgeführt ist, nicht bemerkt wurde, dass es einen Tag nach der 28-Tage-Frist zur Einlösung abgegeben wurde oder aber der ausstellende Arzt die Dosierung nicht angegeben hat – keine Vergütung an die Apotheken ausbezahlen. Und das, obwohl der Versicherte entsprechend der ärztlichen Verordnung versorgt wurde. Ein wirtschaftliches Risiko, vor allem bei hochpreisigen Arzneimitteln, bei denen die Apotheker in Vorkasse gehen (müssen).

Es ist also kein Miteinander, sondern die Kassen suchen bewusst nach Formfehlern?, wollte Balingens Bürgermeister Ermilio Verrengia wissen. Die drei Apotheker bejahen. Es gebe Unternehmen, die für die Krankenkasse genau solche Formfehler suchen.

„Fixum“-Pauschale ruht seit 2004 weitgehend

Auf der anderen Seite steht, dass der gesetzliche Zwangsrabatt an die Krankenkassen, der Apothekenabschlag, im Februar dieses Jahres um rund 18 Prozent auf 2 Euro erhöht, die Arzneimittelvergütung jedoch gesenkt statt erhöht wurde. Das „Fixum“, also das Beratungshonorar je Arzneimittelpackung ist laut Ertelt seit 2004 fast nicht angerührt worden, die letzte geringe Anpassung war 2013. „Es kann wahrlich nicht von Inflationsausgleich geredet werden“, stellt er mit Blick auf den Satz von 8,35 Euro fest. Hinzu kommen viele weitere bürokratische Auflagen und Anforderungen. Rund 60 bis 70 Prozent seiner Arbeitszeit verbringe er im Büro, veranschaulicht Caspar Spindler. Und nicht damit, weswegen er sich für den Beruf entschieden hat.

„Wo am wenigsten zu holen ist, wird weiter eingespart“

Johannes Ertelt konstatiert, dass Umsatz nicht mit Ertrag gleichgesetzt werden soll, und fasst zusammen: „Bildlich gesprochen: Es ist ein Minenfeld, das uns vorgelegt wird.“ Sein Berufskollege Caspar Spindler spricht von einem „absurden System“, wenn er aufzeigt, dass von einem Medikament mit 1000 Euro Verkaufspreis noch rund 36 Euro bei der Apotheke bleiben. Dabei ist der Anteil an Apothekenhonorar bei der Gesamt-GKV-Ausgaben (GKV steht für die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen) mit 5,76 Milliarden Euro und einem Anteil von 2 Prozent vergleichsweise gering. Zum Vergleich: Die GKV-Verwaltungskosten entsprechen einem Anteil von 4,5 Prozent. „Wo am wenigsten zu holen ist, wird weiter eingespart“, bringt es Johannes Ertelt auf den Punkt.

Persönliche Patientenversorgung verteidigen

Dabei sind sich die drei Fachleute sicher: Durch die Stärkung der Apotheken und das Erfüllen der Forderungen können mit dem Apotheken-Know-how sogar Kosten verhindert werden. Ein Beispiel: Wechselwirkungen aufdecken, aus denen gemäß Statistiken 2 Prozent aller Krankenhausaufenthalte resultieren. In all den genannten Problemfeldern fordern sie Verbesserung, haben hieraus ihre konkreten Forderungen formuliert. Nina Müller, Johannes Ertelt und Caspar Spindler: „Deshalb haben wir uns entschieden, beim bundesweiten Apotheken-Protesttag am 14. Juni unsere Forderungen für die Stärkung der Vor-Ort- Apotheke zu unterstreichen und damit die persönliche Patientenversorgung zu verteidigen.“

Was kann die Politik vor Ort tun?

Auf Ermilio Verrengias Frage, wie die Politik vor Ort unterstützen könne, lautete deren Antwort: das Thema immer wieder bei den Vertretern in der höheren Politikebene, den Abgeordneten, aufs Tapet bringen und die Netzwerke zu nutzen. Schömbergs Bürgermeister Karl-Josef Sprenger führte zudem an, dass ergänzend dazu ein Ansatz der Kommunen sein könnte, die ärztliche Versorgung – aufgrund des engen Zusammenspiels von Arzt und Apothekern für die Vor-Ort-Versorgung – noch stringenter anzugehen.

Kurz zusammengefasst: Was die Apotheker fordern

Faire Honorare: Das heißt: Die Vergütung muss deutlich steigen und laufend an die Preisentwicklung angepasst werden, damit wirtschaftlich gearbeitet und die Gehälter bezahlt werden können.

Lieferengpass-Ausgleich: Gefordert wird eine angemessene Honorierung und ein Engpass-Ausgleich für diese Kosten und die tagtägliche Mehrarbeit des Teams.

Weniger Bürokratie: Weg mit überflüssigen regulatorischen Anforderungen, überzogenen Dokumentationsvorschriften und laut Apothekerschaft „sinnlosen Vorgaben“.

Retaxationen reduzieren: Gefordert wird das Ende der Null-Retaxationen, wenn Krankenkassen die Erstattung eines bereits an einen Patienten abgegebenen Arzneimittels verweigern.

Mehr Wertschätzung: In zahllosen Sonntagsreden verspricht die Politik seit Jahren die Stärkung der Vor-Ort-Apotheken – der verlässlichen Anlaufstellen für Patienten, heißt es in der Stellungnahme der Apotheker. Die Realität sehe anders aus. Die Forderung: Machen statt reden.

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