Balingen

„Unerträgliche Verhältnisse“: Wie steht es um die Balinger Notunterkünfte für Obdachlose?

06.05.2024

Von Jasmin Alber

„Unerträgliche Verhältnisse“: Wie steht es um die Balinger Notunterkünfte für Obdachlose?

© Jasmin Alber

Die kommunale Unterkunft in der Balinger Straße in Frommern muss grundsaniert oder wohl geschlossen werden, schätzen die Fraktionsvorsitzenden. Doch nicht nur diese Notunterkunft ist in schlechtem Zustand. (Anm. d. Red.: In einer vorherigen Artikelversion war ein falsches Gebäude abgebildet.)

Die Gründe, warum jemand obdachlos wird, sind vielfältig. Wenn es so ist, stehen kommunale Notunterkünfte zur Verfügung. Diese gibt es in Balingen an mehreren Orten. Doch oft sind die Gebäude in schlechtem Zustand, teils herrschten dort menschenunwürdige Zustände. Deshalb haben sich die Gemeinderatsfraktionen für einen gemeinsamen Antrag zusammengetan, um eine Besserung der gesamten Struktur zu erreichen – baulich wie sozial. Vertreter der Fraktionen erläutern die Hintergründe dieser Kooperation.

Ein Brand, eine Wohnungsräumung oder der eigene Wunsch, ohne festen Wohnsitz zu leben: Das sind nur drei Beispiele dafür, wie Menschen in die (temporäre) Obdachlosigkeit geraten können. Die Gründe dafür sind vielfältig, viele weitere als die exemplarisch genannten gibt es zudem.

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Was auch immer ursächlich ist: Eine Kommune ist dazu verpflichtet, Menschen, die in Not geraten sind, eine menschenwürdige Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Und genau darum geht es in einem gemeinsamen Antrag aller fünf Balinger Gemeinderatsfraktionen. Dass CDU, Grüne, FDP, SPD und Freie Wähler gemeinsam einen Antrag stellen, kommt nicht oft vor – vor allem nicht wenige Wochen vor den Kommunalwahlen, erklärte Erwin Feucht (Grüne) eingangs. Denn die Vertreter der fünf Parteien beziehungsweise der FW-Initiative stellten aufgrund dieser Besonderheit die Inhalte und Hintergründe des Antrags bei einem Pressegespräch vor.

Sachstand, Zahlen und mögliche Neubau-Standorte

Der Bedarf an kommunaler Unterbringung wird steigen, da sind sich die Räte sicher. Deshalb fordern sie in ihrem Antrag (der in seiner Gänze unten im Text steht) von der Verwaltung zum einen einen Überblick über den Status quo und zum anderen, geeignete Standorte für den Bau von Notunterkünften vorzulegen. Mit ihrem Vorstoß wollen die Fraktionen das Thema, das immer mal wieder in die Gremien kommt, mit Nachdruck in den Fokus rücken.

Denn nicht immer sei es wie auf dem Dorf oder in den kleineren Stadtteilen, dass die Hilfsbereitschaft untereinander groß ist und sozusagen auf dem „kleinen Dienstweg“ eine Notunterkunft gefunden werden könne, merkt Klaus Hahn (CDU) an.

Eine von weiteren wichtigen Aufgaben

In seinem Berufsleben ist er häufig in Balinger Notunterkünfte gekommen, meint der frühere Polizist Wolfgang Hallabrin (Freie Wähler). Dabei habe er sich immer wieder selbst ein Bild von den teilweise menschenunwürdigen Verhältnissen machen können. „Darüber muss sich die Stadt Gedanken machen“, findet er – und das, obwohl es viele Baustellen im übertragenen Sinne gebe, in die Geld fließen muss – seien es Verkehrsprojekte, Schulen oder Kindergärten. Dennoch: In Sachen Notunterkünfte „kommen wir wohl um einen Neubau nicht herum“, so Feucht. Dieser sollte möglichst modular, erweiterbar und an einem Ort mit guter Erreichbarkeit sein.

Privatsphäre? Gleich null

Ein Negativbeispiel für die vorherrschenden Verhältnisse ist die Unterkunft in der Balinger Straße in Frommern, die grundsaniert oder wohl geschlossen werden muss. Hier leben Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in Not geraten sind und unterschiedliche persönliche Hintergründe haben, unter einem Dach – was für Reibungspunkte im Miteinander sorgt, so Feucht. Aber auch, dass man sich zu zweit, teils mit Fremden, ein Zimmer teilt, es nur eine heruntergekommene Küchenzeile und gemeinsame Sanitärräume in schlechtem hygienischen Zustand gibt, tun ihr Übriges dazu. Privatsphäre? Null. Nicht viel anders sehe es in der Heselwanger Straße aus.

Von „unerträglichen Verhältnissen“ spricht Dr. Dietmar Foth (FDP), der betont, dass Notunterkünfte „für die gesamte deutsche und nicht-deutsche Bevölkerung sind“. Nathalie Hahn (SPD) ergänzt: „Die kommunale Unterbringung ist genauso unsere Aufgabe wie die Unterbringung von Geflüchteten und Asylbewerbern.“

Das alles soll aber nicht heißen, dass die Stadt untätig sei, unterstreichen die fünf Fraktionsvertreter. Einige Unterkünfte wie jene in der Äublestraße wurden bereits saniert, „aber es muss weitergehen“, wie Hallabrin zusammenfasst.

Notunterkünfte ganzheitlich denken

Und zwar nicht nur baulich: Zum Themenkomplex Notunterkünfte gehört auch der soziale Faktor. „Menschen in Not bekommen irgendwo eine Kammer und einen Schlüssel und das war’s dann“, findet Erwin Feucht drastische Worte für das bisherige Prozedere. Oft aber stehen hinter dem Grund für die (drohende) Obdachlosigkeit psychische Probleme. „Die Leute brauchen Ansprechpartner.“

Die menschliche Not bekommt Nathalie Hahn oft durch ihre Tätigkeit im Sozialkaufhaus und bei den „Kümmerern“ persönlich mit. Umso wichtiger sei es, das gesamte Konzept Notunterkünfte neu zu denken: inklusive Sozialbetreuung, die, wie sie erklärt, aufsuchend und engmaschig sein soll. Die Caritas, die Vereine Freundeskreis für Wohnungslose im Zollernalbkreis und die „Kümmerer“ des Fördervereins Balinger Tafel arbeiten heute schon in einem engen Netzwerk zusammen – jedoch hauptsächlich ehrenamtlich. Der gesamte Sozialarbeitaspekt soll deshalb künftig zentral koordiniert werden, so eine weitere Forderung des Antrags.

Verwaltung habe Aufgeschlossenheit signalisiert

Denn die ergänzende Sozialarbeit bringe für die in Not geratenen Menschen auch Chancen, wieder aus der Notlage und einer Abwärtsspirale herauszukommen, ergänzt Foth. Somit rückt mit dem Antrag auch die Gemeinschaft und Menschlichkeit in den Fokus, meint Feucht – wohlwissend, „dass man nicht jedem helfen kann“.

Die Verwaltung habe laut Foth bereits signalisiert, sich aufgeschlossen des Themas anzunehmen, was die Antragssteller freut. Ohne jedoch den Eindruck entstehen zu lassen, dass in den nächsten Monaten gleich etwas gebaut wird, mahnt Klaus Hahn, der abschließend nochmals auf weitere (kostenintensive) kommunale Aufgaben in Zeiten einer schwierigen Haushaltslage hinweist.

Das steht im Antrag

So lautet der Antrag der fünf Gemeinderatsfraktionen im Wortlaut:

Wir fordern die Verwaltung auf, dem Gemeinderat über den Bedarf an Notunterkunftsplätzen, der auf Grund der Erfahrungen zu erwarten ist, zu informieren, insbesondere auch darzulegen:

  • Wie viele Notunterkunftsplätze sind aktuell belegt und wie viele sind erforderlich?
  • Wie häufig mussten im vergangenen Jahr Hotel- oder Pensionszimmer und Ähnliches zur Bedarfsdeckung angemietet werden; welche Kosten sind hierdurch entstanden?
  • Wo stehen wie viele Notunterkunftsplätze zur Verfügung (inklusive aller in sehr schlechten Zustand befindlichen Plätze)?

Die Verwaltung wird beauftragt:

1. Dem Gemeinderat geeignete Standorte für einen modular gefertigten Bau von

Notunterkünften vorzulegen. Der Standort und die Infrastruktur sollten von der Größe her für Erweiterungen geeignet sein.

2. Eine Aufstellung der Kosten ist zeitnah vorzulegen. Im Haushalt 2024 stehen für

Containeranlagen für Geflüchtete 700.000 Euro zur Verfügung, die eingesetzt

werden könnten, da laut Landkreis in Balingen vorerst keine weiteren Unterkünfte

benötigt werden.

3. Die Verwaltung lädt zu einem runden Tisch ein. Hier ist zeitnah eine Konzeption zur aufsuchenden Sozialbetreuung der städtischen Notunterkünfte zu erarbeiten. Die Ergebnisse sind dem Gemeinderat zur Beratung vorzustellen.

4. Die Stadtverwaltung wird beauftragt hier zu prüfen, welche Fördermittel für den Bau und die Sozialberatung beantragt werden können.

Der Antrag steht auf den Tagesordnungen der Sitzungen des Verwaltungs- und Technischen Ausschusses am 7. und 8. Mai sowie der Gemeinderatssitzung am 4. Juni.

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