Hechingen

Fasnetsspiel in Boll: Gehen aufgeklärter Zeitgeist und „Zigeunerhochzeit“ noch zusammen?

10.02.2024

Von Julia Siedler

Fasnetsspiel in Boll: Gehen aufgeklärter Zeitgeist und „Zigeunerhochzeit“ noch zusammen?

© Narhalla Boll (Archiv)

Das Publikum in Boll wartet alle 4 Jahre angespannt auf den Kuss des Paares.

Nach 4 Jahren findet das Fasnetsspiel in Boll an diesem Sonntag wieder statt. Die Veranstalter der Narhalla balancieren dabei zwischen Tradition und Political Correctness.

Darf man heute noch „Zigeunerhochzeit“ sagen – und gar ein Fasnetsspiel mit diesem Titel aufführen, so wie am Sonntag in Boll? Mit dieser Frage, so jedenfalls war nach dem Rathaussturm am „Schmotzigen“ in Hechingen aus närrischen Kreisen zu vernehmen, beschäftige man sich äußerst intensiv in dem Hechinger Stadtteil. Stehen die Narrhalla Boll unter Druck? André Göckel, Vorsitzender und Narrenvogt der Zunft, relativiert dies im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER. „So richtig Druck haben wir eigentlich nicht“, sagt er. „Weder von einem Amt noch Sonstigem.“ Gegenüber unserer Redaktion zeigt Göckel sich am Freitag überrascht über die Gerüchte: „Also ich weiß nicht, was da gesprochen wird.“

Fasnetsspiel in Boll: Gehen aufgeklärter Zeitgeist und „Zigeunerhochzeit“ noch zusammen?

© Narhalla Boll (Archiv)

Das Brautpaar steht im Mittelpunkt der Aufführung.

Dennoch, so ist zu erfahren, balanciert die Narrhalla Boll bei der „Zigeunerhochzeit“ zwischen Tradition und Political Correctness: „Der Prozess ist jetzt gerade am Laufen“, berichtet Christian Steinhilber, Mitglied des Narrhalla-Elferrats. „Wir haben den Text für das Stück schon überarbeitet“, nach der diesjährigen Aufführung wolle man schauen, wie die Rückmeldungen ausfallen. „Sicherlich konnte es sich hierbei noch nicht frei machen von der Wiedergabe überholter Stereotypen“, heißt es allerdings auch in einer Information des Vereins.

„Mit diesem Stück soll niemand diskriminiert werden“

Der Vorsitzende Göckel sagt: „Wir wollen klarstellen, dass mit diesem Stück niemand diskriminiert werden soll.“ Doch wie genau wurde das Stück für die Aufführung in diesem Jahr überarbeitet? „Dass zum Beispiel das Brautpaar den Narrenvogt als Gegenspieler hat, der die Obrigkeit repräsentiert“, führt Göckel aus. Vorher hätte es keinen Gegenspieler gegeben, „die Sippen haben sich gegenseitig geneckt“, erklärt der Vorsitzende. Das wiederum sei „aber auch nach wie vor so“, sagt er.

„Das ist eine Traditionsveranstaltung“

In Richtung potenzieller Kritiker merkt Göckel in diesem Zusammenhang an: „Man muss das Stück kennen und verstehen, um dazu etwas sagen zu können.“ Rassistischer Stereotyp oder verklärte „Zigeuner“-Romantik? „Das ist eine Traditionsveranstaltung“, sagt Göckel, und man wisse sehr wohl, dass sich der Begriff „Zigeuner“ in der heutigen Zeit nicht mehr allzu großer Beliebtheit erfreue. „Der Text ist uralt“, betont er.

Die Narhalla Boll präsentiert das Stück seit den 1980er-Jahren

„Wir stellen die romantisierte Figur des ‚Zigeuners‘ dar, die im 19. Jahrhundert aufgekommen ist“, ergänzt Elferrat-Mitglied Steinhilber im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Figur habe damals in vielen Vereinen Einzug gehalten, doch das „romantisierte Bild von Freiheit stellt nicht die Lebensrealität derer dar, die so genannt wurden. Damals nicht und heute nicht“, betont er. Der „Zigeuner“ sei in Boll „lediglich eine Figur, wie man sie aus den Groschenromanen kennt“.

Die Aufführung findet alle 4 Jahre statt

Ähnlich dem Grosselfinger Narrengericht wird auch in Boll alle 4 Jahre das närrische Fasnetsspiel aufgeführt. Weniger bekannt und – schätzungsweise – deutlich jünger, entstand das Stück möglicherweise aus zwei Narrenstücken. Mündlich überlieferte Hinweise auf deren Aufführung gibt es seit den 1950er-Jahren. Die Narrhalla Boll präsentiert das Stück traditionell seit den 1980er-Jahren in regelmäßigen Abständen.

Der Verein weiß um die „zweifellos rassistische Tradition“

„Dass in der Figur des ‚Zigeuners‘ die im Kern zweifellos rassistische Tradition einerseits und der aufgeklärte, aufgeweckte Zeitgeist andererseits ein markantes Spannungsfeld erzeugen, liegt auf der Hand“, heißt es in einer Erklärung des Vereins. „Ebenso, dass sich diese Konflikte nicht von heute auf morgen auflösen lassen.“

Am Samstagabend geht‘s mit dem Polterabend los

Das Spiel beginnt am heutigen Samstag – wie die meisten Hochzeiten – mit einem gepflegten Polterabend gegen 19 Uhr an der Festhalle. Die konkreten Festivitäten starten dann am Sonntag mit der Narrenmesse in der Pfarrkirche St. Nikolaus. Danach geht es für die Zunftmeister zum Empfang ins Rathaus, während die Gäste zum Mittagstisch in die Festhalle und an den Verpflegungsstand vor dieser eingeladen sind. Ab 12.30 Uhr geht es mit der Bewirtung auf dem Dorfplatz weiter, wo später auch das Narrenspiel stattfindet.

Die Aufführung der „Zigeunerhochzeit“ beginnt am Sonntag um 14 Uhr

Das eigentliche Spektakel beginnt dann mit dem Sternenumzug aller „Sippen“ zum Aufführungsort auf dem Dorfplatz. Die Zeremonie beginnt um 14 Uhr. Im Anschluss führt der gemeinsame Hochzeitsumzug wieder zurück zur Festhalle, wo ein Hochzeitsprogramm mit Musik, Tanz und Barbetrieb geboten ist.

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