Zollernalbkreis

Erdbeben: Unerforschtes Gebiet unter der Zollernalb

03.12.2020

Von Michael Würz

Erdbeben: Unerforschtes Gebiet unter der Zollernalb

© Michael Würz

Das Symbol unserer Heimat: Majestätisch thront die Burg Hohenzollern auf dem Berg. Weniger gut sichtbar ist hingegen, was in der Tiefe passiert.

Häufen sich die Erdbeben in der Region? Wie hängt der berühmte Hohenzollerngraben mit der Albstadt-Scherzone zusammen? Was lernen die Forscher von Erdbeben wie jenem in der Nacht zum Dienstag? Ein Gespräch mit dem Seismologen Dr. Stefan Stange, der seit 2018 den Landeserdbebendienst im Regierungspräsidium Freiburg leitet.

Der kräftige Rums kam nach Mitternacht: Um 0.25 Uhr hat in der Nacht zum Dienstag die Erde im Zollernalbkreis gebebt. Die Stärke: 3,9 auf der Richterskala. Während das Beben viele aus dem Schlaf gerissen und erschreckt hat, kommt es Seismologen, die den Hohenzollerngraben erforschen, gelegen.

Erdbeben: Unerforschtes Gebiet unter der Zollernalb

© privat

Dr. Stefan Stange, Leiter des Landeserdbebendienstes.

Herr Stange, Sie sind Chef des Landeserdbebendienstes – und ein gefragter Mann, wenn in der Region die Erde bebt. Wie sieht Ihr Alltag im Regierungspräsidium Freiburg aus?

Stefan Stange: Wir überwachen das ganze Land nach Erdbeben. Das ist eine konstante Aufgabe, die meisten Erdbeben werden von den Bürgern gar nicht wahrgenommen. Aber auch die kleinen Beben zu registrieren ist wichtig, wenn wir etwas über die Gefährdung lernen wollen, zum Beispiel für Bauvorschriften.

Was können Sie zum aktuellen Erdbeben in der Nacht zum Dienstag sagen?

Die Stärke betrug 3,9 auf der Richterskala, es gab bislang nur wenige schwache Nachbeben. Das ist ein großer Unterschied etwa zu dem Erdbebenschwarm im vergangenen Sommer mit rund 800 gemessenen Erdbeben.

Viele unserer Leser haben den Eindruck, dass die Zahl der Erdbeben auf der Alb in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Deckt sich das mit Ihren Zahlen?

Nein, das deckt sich nicht mit unseren Zahlen. Es gibt seit vergangenem Jahr zwar eine Häufung spürbarer Beben, die wir davor so nicht hatten, aber das ist eher eine natürliche Schwankung.

Ab welcher Stärke wären denn auf der Zollernalb ernstzunehmende Schäden zu erwarten?

Das ist nicht so einfach zu sagen. Denn die Richterskala sagt ja zunächst nichts über die Auswirkung an der Oberfläche aus. Ein Beben in großer Tiefe wird schwächere Schäden verursachen als ein vergleichbares, das sich weiter oben abspielt. Allerdings sind die Unterschiede auf der Alb nicht riesig. Etwa ab einer Stärke von 4,5 würden wir hier mit ersten Schäden rechnen.

Auf der Internetseite des Landeserdbebendienstes rufen Sie Bürger dazu auf, aktuelle Beobachtungen zu melden. Wie wichtig sind diese Erdbeben-Schilderungen für Ihre Arbeit?

Nach dem aktuellen Erdbeben haben wir knapp 6000 Zuschriften über dieses Formular erhalten. Wir nutzen sie, um die Auswirkungen des Bebens zu quantifizieren. Denn mit unseren Instrumenten können wir nur die Stärke am Erdbebenherd messen. Die Auswirkungen an der Oberfläche fallen bei jedem Erdbeben anders aus. Diese müssen wir deshalb auf diesem Wege erfassen.

Auch beim ZOLLERN-ALB-KURIER haben sich viele Bürger gemeldet und ihre Beobachtungen geschildert. Dabei fällt auf: Es gibt ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Manche berichten von einem explosionsartigen Knall, andere nur von einem starken Rütteln. Wie kommt das?

Die Auswirkungen an der Oberfläche hängen stark vom Beben ab. Nach einer ruckartigen Entladung in sieben Kilometern Tiefe hängt es stark vom Untergrund ab, was genau oben ankommt. Manche Bereiche übertragen die Erdbebenwellen besser, manche Geräusche.

Nach Erdbeben wie dem in der Nacht zum Dienstag rufen viele bei der Polizei an – die meist etwas ratlos ist, sie kann schließlich nichts am Erdbeben ändern. Sind das typische menschliche Verhaltensmuster bei einem Erdbeben?

In unseren Merkblättern warnen wir davor, die Polizei anzurufen, um den Notruf freizuhalten. Beim Waldkirch-Erdbeben 2004 war der Polizei-Notruf in Freiburg über eineinhalb Stunden blockiert. Es ist aber psychologisch einfach zu erklären: Ein Erdbeben ist natürlich ein aufregendes Ereignis, manche müssen das loswerden und mit jemanden darüber sprechen. Die Polizei strahlt da als Ansprechpartner natürlich auch eine gewisse Autorität aus. Übrigens sieht man diesen Effekt auch bei unseren Zuschriften: Etwa die Hälfte der 6000 Bürger und Bürgerinnen, die unser Online-Formular ausgefüllt haben, haben detailliert berichtet, wie sie das Beben erlebt haben. Daran kann man sehen: Es gibt schon auch ein Mitteilungsbedürfnis.

Eine ZAK-Leserin aus Onstmettingen fragt: Früher hat es bei spürbaren Erdbeben Dachplatten der Häuser abgedeckt. Das passiert heute nicht mehr. Woran liegt das?

Ich würde sagen, weil die Erdbeben nicht mehr so stark sind. Früher hat man übrigens heruntergefallene Dachziegel dazu verwendet, um die Intensität eines Bebens zu bestimmen. Das ist aber natürlich nicht aussagekräftig, es hängt ganz von der Bauweise ab und ist schwer zu beurteilen, in welchen Fällen Dachziegel abstürzen.

ZAK-Leser erinnern sich außerdem: Schon mehr als einmal gab es gerade im November und Dezember spürbare Nachtbeben und anderntags den ersten Wintereinbruch. Sie fragen: Gibt es da einen Zusammenhang?

Nein, ich sehe da keinen Zusammenhang. Das ist vielleicht ein wenig wie mit dem Vollmond, bei dem immer schönes Wetter ist. Das liegt natürlich daran, dass man ihn einfach meist nur sieht, wenn das Wetter schön ist.

„Wieso sind die spürbaren Erdbeben in der Region eigentlich immer nachts?“, fragen Leser auf der Facebookseite unserer Zeitung. Was sagen Sie ihnen?

Dass das so nicht stimmt. Es gibt einfach gewisse Zeiten, in denen man empfindlicher ist, wenn man abends zur Ruhe gekommen ist oder vielleicht gerade beim Abendessen sitzt. Da ist die Wahrnehmung natürlich eine völlig andere als tagsüber. Auf der anderen Seite muss man sagen: Schwächere Erdbeben, die nachts stattfinden, werden von vielen auch nicht bemerkt, wenn man nicht daran aufwacht.

Die Angst, dass ein schwaches Erdbeben ein starkes auslösen könnte, ist auf der Zollernalb immer da. Wie wahrscheinlich ist das aus Ihrer Sicht? Ist diese Sorge berechtigt?

Wir können Erdbeben nicht vorhersagen, auch dann nicht, wenn gerade eines gewesen ist. Geht es so weiter? Ist es abgeklungen? Oder kommt noch ein stärkeres? Man sieht nicht, ob ein aktuelles Erdbeben ein Vorbeben ist. Das ist insofern immer problematisch.

Eines Ihrer Teams war im vergangenen Sommer in Albstadt unterwegs, um Messungen vorzunehmen. Was konnten Sie dabei in Erfahrung bringen?

Im Bereich Albstadt wissen wir noch immer nicht genau über die tektonischen Gegebenheiten Bescheid. Man spricht zwar von der Albstadt-Scherzone, die wir aber nur deshalb kennen, weil dort immer Erdbeben sind. Das Einzige, was wir hingegen sehen, ist der Hohenzollerngraben. Der aber läuft quer zur Richtung der Scherzone. Wir möchten gerne herausfinden, ob es doch einen Zusammenhang gibt. Wenn es mal einen Erdbebenschwarm gibt wie im vergangenen Sommer und man genauer hinschaut, wollen wir herausfinden, in welche Richtungen sich die Erdbeben aufreihen. Wir haben gesehen, dass sich die Ausbreitung tatsächlich auch in Richtung des Hohenzollerngrabens abbildet. Zuvor waren wir davon ausgegangen, dass sich die Beben nur in Richtung der Scherzone abbilden. Wir hatten zwar vermutet, dass es auch eine Ausbreitung in Richtung des Hohenzollerngrabens gibt, bei diesem Erdbebenschwarm konnten wir nun jedoch den Nachweis erbringen. Aber dennoch: Der Graben ist nur etwa ein bis zwei Kilometer tief, er reicht nicht so weit wie die Erdbeben, die sich in der Scherzone abspielen. Möglich ist aber, dass es einen tektonischen Zusammenhang gibt, den wir schlicht noch nicht kennen.

Ist ein Erdbeben wie das am Dienstag von besonderem Interesse, blickt man durch die Forscherbrille?

Das kann man auf jeden Fall so sagen, dass das sehr interessant ist für uns. Wir sind noch nicht durch mit der Untersuchung, aber man kann sich die Orientierung des Erdbebens ansehen. Das Epizentrum lag ja etwas nördlich von dem Punkt, an dem die Albstadt-Scherzone den Zollerngraben quert. Das zu untersuchen, ist auf jeden Fall sehr spannend. Es geht dabei um die Erdbebengefährdung, die beispielsweise in Bauvorschriften eingeht. Klar ist: Man muss in Albstadt stabiler bauen als in anderen Orten Deutschlands. Dennoch gibt es bei der Bewertung noch immer gewisse Schwierigkeiten. Vor allem, weil das erste große Erdbeben erst 1911 aufgetreten ist und nicht wie woanders schon vor 1000 Jahren. Man kann nicht genau sagen, ob das nun eine Episode des 20. Jahrhunderts war oder so weitergeht. Das sind natürlich Fragen, die die Menschen vor Ort ganz konkret betreffen. Da wünschen wir uns, dem näher zu kommen.

Gibt es denn weitere Forschungsprojekte, die Sie im Raum Albstadt vorhaben?

Wir sind dabei, auf dem Irrenberg eine neue Station einzurichten und wollen unser Messnetz weiter verdichten. Entscheidend ist dabei an erster Stelle die strategische Lage, aber dann auch die Frage, wo unsere Messtechnik gut eingesetzt werden kann. So kamen wir auf den Irrenberg.

Apropos Messtechnik: Nach einem Erdbeben kursieren meist leicht unterschiedliche Angaben zur Stärke, die sich später noch ändern. Viele unserer Leser fragen: Wieso ist das so?

Wir verfügen über ein Computersystem, in dem sämtliche Messdaten aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ankommen. Diese Daten laufen bei uns in Freiburg zusammen, wo sie ständig ausgewertet werden. Das System sucht permanent nach Signalen: Wo gibt es gerade ein Erdbeben? Wie stark ist es? Es erstellt eine automatische Meldung, die bereits nach wenigen Minuten an das Lagezentrum im Innenministerium übertragen wird. Dessen Mitarbeiter sind angehalten, diese automatisch erstellte Meldung auf Plausibilität zu überprüfen. Das war diesmal einfach, weil es ja schon viele Meldungen von Bürgern gab. Die Mitarbeiter rufen dann auch noch bei uns an, dann geht auch eine Meldung an die Presse. Später werden die Daten händisch überprüft. Dabei werden die Zeiten der Erdbebenwellen gelesen. Daraus können wir Ort, Zeit und Stärke berechnen. Hierbei kommt es zu einer ganz normalen Streuung, wie sie bei physikalischen Messungen – je nach Methodik – ganz normal ist. So kommt es auch zu leichten Abweichungen zwischen verschiedenen Erdbebendiensten. Die maßgeblichen Werte für Baden-Württemberg kommen aber von uns.

Das Thema Vorhersage treibt viele um. Aus manchen Ländern kommen Berichte, wonach bestimmte Tiere angeblich spüren, wenn ein Erdbeben droht.

Alle Untersuchungen, die genau das erforscht haben, kommen zu dem Ergebnis, dass es sich dabei nicht um echte Vorhersagen handelt. Es ist jedoch möglich, dass Tiere mit empfindlichen Füßen wie Elefanten oder Skorpione eventuell erste Vorläuferwellen wahrnehmen. Man muss wissen: Es gibt schwächere Wellen, die sind schneller. Die stärkeren Wellen breiten sich langsamer aus. Wir Menschen registrieren erst die langsamen Wellen. Man kann auch nicht sagen, dass Tiere Vorbeben registrieren. Denn, wie gesagt: Niemand weiß, ob nach einem Erdbeben überhaupt ein weiteres kommt. Ob es ein Vorbeben war, weiß man erst hinterher.

Gleichwohl gibt es auch seriöse Forschungen zumindest an Frühwarnsystemen. Was halten Sie davon?

Nehmen wir Japan, wo starke Erdbeben an der Küste passieren. Da sind die Abstände schon mal 300 Kilometer. Dann brauchen die Wellen einige Sekunden oder sogar bis zu einer Minute. Wenn ich nun Geräte im Epizentrum habe und deren Messung etwa mit Lichtgeschwindigkeit übermittle, dann gibt es eine kurze Vorwarnzeit von ein paar Sekunden, bis das Erdbeben andernorts ankommt. Das kann reichen, um Züge anzuhalten oder Kraftwerke herunterzufahren. Für die Alb ist das aber keine Lösung: Wir sitzen direkt auf dem Epizentrum. Wenn die Geräte etwas messen, spüren wir bereits selbst, dass das Erdbeben da ist.

In asiatischen Ländern wird das richtige Verhalten im Erdbebenfall häufig trainiert, etwa in Schulen. Wäre dies auch auf der Alb sinnvoll?

In Gebieten wie Albstadt wäre das nicht ganz verkehrt. Wichtig ist bei stärkeren Beben: Wenn man im Haus ist, nicht schnell auf die Straße laufen, wegen möglicherweise herunterfallender Dachziegel. Die Bausubstanz ist inzwischen so sicher, dass Häuser nicht einfach so einstürzen. Man kann aber Gegenstände an den Kopf bekommen. Deshalb: am besten schnell unter den Tisch.

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