Handball

„Eine unglaublich prägende Epoche“: Wolfgang Strobel im großen Abschieds-Interview

03.06.2023

Von Marcus Arndt

„Eine unglaublich prägende Epoche“: Wolfgang Strobel im großen Abschieds-Interview

© imago images/wolf-sportfoto

Wolfgang Strobel nimmt Abschied beim HBW.

Wolfgang Strobel hat den designierten Handball-Bundesligisten HBW Balingen-Weilstetten entscheidend geprägt: als Spieler und Geschäftsführer. Er verlässt die „Gallier“ auf eigenen Wunsch.

Seit über zwei Jahrzehnten wirkt Strobel auf und neben der Platte bei den Schwaben. Am Saisonende tritt der Geschäftsführer, langjährige Kapitän und Abwehrchef ab. Der 39-Jährige präferiert einen Job in der freien Wirtschaft.

„Eine bewusste Entscheidung“, hebt der langjährige Bundesliga-Spieler hervor, welcher auf „eine wunderschöne Zeit“ zurückblickt. Mit 17 Jahren wechselte er 2001 zum TV Weilstetten in die Regionalliga Süd. Er habe sich „damals gar keine großen Gedanken gemacht“, verrät Strobel. 2002 folgte die Fusion der „Füchse“ mit der TSG Balingen Handball 2000.

Unter der Regie von Eckard Nothdurft schaffte er in der Premierensaison des HBW den Sprung in die 2. Liga, drei Jahre später ging es für den abwehraffinen Kreisläufer hoch in die Bundesliga, „und damit ein Kindheitstraum in Erfüllung“.

Herr Strobel, blicken Sie mit uns kurz auf 14 Jahre im Trikot des TVW und HBW zurück . . .

Wolfgang Strobel: Unsere beiden Aufstiege bleiben natürlich unvergessen – mit dem ersten großen Erlebnis in Langenau. Nur drei Jahre später haben wir den Sprung in die Bundesliga. Dass wir als kleiner Klub aus dem Süden dann in den großen Arenen spielen durften, war natürlich schon etwas ganz Besonderes. Was abseits der Platte lange bleibt, sind die Beziehungen und Freundschaften, welche in dieser Zeit entstanden sind. Es war eine unglaublich prägende Epoche für den Verein, in der viele Mythen entstanden sind.

War es für Sie überraschend, welche (Eigen-)Dynamik die HBW-Entwicklung genommen hat?

Ich muss ehrlich zugeben, dass wir uns als Spieler damals ganz wenige Gedanken gemacht haben. Für uns kam der Zusammenschluss brutal überraschend – wir haben uns dann aber sehr schnell gefunden, da wir einfach Spaß am Handball hatten. Dass es gleich mit dem Aufstieg geklappt hat, war absolut nicht planbar. Mit der Verpflichtung von Dr. Rolf Brack – gepaart mit dem Antrieb von Arne Stumpp, Günther Kirschbaum und Dieter Jenter – hat der Verein seine Entwicklung dann konsequent vorangetrieben. Jeder hat in seinem Bereich mit einer gewissen „Besessenheit“ für den Traum von der 1. Liga, welcher zunächst mehr Traum als Realität war, gearbeitet – und es am Ende möglich gemacht, dass wir 2006 Meister in der 2. Liga wurden. In der Folge haben wir uns absolut keine Gedanken über einen möglichen Abstieg gemacht. Das wollten wir nicht – und haben alles reingehauen.

„Eine unglaublich prägende Epoche“: Wolfgang Strobel im großen Abschieds-Interview

© AF/arc

Elf Jahre spielte Wolfgang Strobel für den HBW in der Bundesliga.

Trotzdem sind die „Gallier“ in der Saison 2013/14 erstmals sportlich abgestiegen, blieben nur aufgrund der Lizenz-Wirrungen um Hamburg erstklassig. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Es gab viele harte Niederlagen in meiner Laufbahn, auch nach meiner schweren Knieverletzung (Knorpelschaden, Anm. d. Red.) war es nicht einfach. Aber nichts ist vergleichbar mit dieser Zeit. Diese brutale Ungewissheit mit täglich neuen Spekulationen. Niemand wusste so wirklich, wie es nun weitergeht. Das war viel, viel schlimmer als direkt abzusteigen.

Mit 31 Jahren haben Sie 2015 Ihre Karriere beendet. Weshalb?

Ich habe meine erste schwere Verletzung super überstanden, war in der Saison 2014/15 wieder topfit. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass ich neben dem Feld mehr helfen kann als darauf. Für mich persönlich war es wichtig, dass ich selbst den Zeitpunkt wähle, wann ich abtrete – nicht eine Verletzung oder der Trainer. Es musste auch damals niemand sagen: „Zum Glück hört er endlich auf.“

Es folgte der direkte Wechsel ins Management des Vereins. Worin bestanden Ihre größten Herausforderungen?

Ich habe in Balingen eine sehr gute Basis vorgefunden, was die wirtschaftliche Situation anbelangt. Auch gewisse Strukturen waren vorhanden, aber vieles lief eben nebenher. Wir waren kein Amateurverein mehr, doch in manchen Bereichen bestand schon Handlungsbedarf. Das professionelle Denken musste mehr und mehr im Klub angenommen werden, einige unbequeme Entscheidungen getroffen werden. Aber diese waren wichtig, um die Weiterentwicklung des Vereins voranzutreiben. Dabei musste die Balance aus Professionalität, Ehrenamt und Verein stimmen. Das wird auch in der Zukunft eine ganz entscheidende Aufgabe sein.

Zurück zu dieser Spielzeit. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Wir haben eine herausragende Runde gespielt – mit nur vier Pflichtspielniederlagen. Das war eine absolute Topleistung. Auf diese können wir stolz sein. Ich habe bereits im Vorfeld gesagt, dass es die Hauptaufgabe sein wird, wie wir diese Liga annehmen: als Strafe oder Herausforderung. Aber die Mannschaft hat das super gemacht, Vollgas gegeben und auch in schwierigen Situationen stets die Ruhe behalten. Deshalb haben wir es auch in dieser Souveränität hingekriegt.

Was kein Selbstläufer war . . .

Das ist richtig. Von 26 Absteigern der vergangenen zehn Jahre haben nur sechs den sofortigen Wiederaufstieg geschafft. Wir sind jetzt der Siebte.

Nach über zwei Jahrzehnten treten Sie ab. Welche markanten Veränderungen gab es auf und neben der Platte in diesem langen Zeitraum?

Der Handball-Sport hat sich sehr verändert, ist viel schneller, viel dynamischer geworden. Auch neben dem Feld hat sich vieles gewandelt, es ist unglaublich professionell geworden. Ich habe trotzdem immer sehr großen Wert darauf gelegt, dass wir die Menschlichkeit beim HBW hochhalten. Das wird auch so bleiben, auch wenn der Sport immer schnelllebiger wird. Ich habe vor Kurzem einmal nachgeschaut: Bei meinem ersten Regionalliga-Heimspiel kamen 400 Zuschauer in die Längenfeldhalle. Das lässt sich mit der heutigen Situation nicht mehr vergleichen. In der kommenden Runde spielt unsere Mannschaft wieder in den größten Hallen bundesweit: teilweise vor über 14000 Zuschauern. Das sind ganz andere Dimensionen. Es ist schon brutal, wie sich der Sport und sein Umfeld verändert hat.

„Eine unglaublich prägende Epoche“: Wolfgang Strobel im großen Abschieds-Interview

© imago images / arc

Der verlängerte Arm von Trainer Dr. Rolf Brack auf der Platte: Kapitän Strobel.

Gegen Eintracht Hagen fällt für Sie der Vorhang in der „Hölle Süd“. Geben Sie uns einen Einblick in Ihr Gefühlsleben.

Ich hatte bislang noch gar nicht richtig Zeit, mich damit zu beschäftigen – wir sind immer noch voll im Tagesgeschäft, was die Arbeit betrifft. Erst am Pfingstwochenende konnte ich mit meiner Frau ein wenig über diese neue Situation zu sprechen. Es ist nach so vielen Jahren etwas komplett Neues. Aber ich habe mich bewusst dazu entschieden, diesen Schritt zu gehen, und freue mich auf eine neue, interessante Aufgabe. Aber das letzte Heimspiel wird sicherlich etwas Besonderes, auf das ich mich freue. Ich habe mehr als mein halbes Leben in Balingen und in diesem Verein verbracht. Ich hätte niemals gedacht, dass Balingen meine Heimat wird. Aber das ist diese Stadt zu 100 Prozent geworden. Meine Familie und ich fühlen uns hier sehr wohl und werden auch hierbleiben. Und natürlich habe ich auch eine Dauerkarte für den HBW.

Mit Felix König steht Ihr Nachfolger fest. Wie verlief die Zusammenarbeit in den vergangenen Wochen und Monaten?

Wir haben viele Dinge besprochen und geklärt – die Übergabe professionell abgehandelt, damit es nahtlos weitergeht. Mir war wichtig, dass das HBW-Gebilde bestehen bleibt – und darauf weiter aufgebaut wird. Felix arbeitet seit 2021 in der Geschäftsstelle, hat viele Erfahrungen als Spieler in den HBW-Teams und der JSG gesammelt. Er kennt die Stellschrauben und weiß, wo in Balingen die Emotionen liegen. Wichtig ist, dass ihn alle unterstützen. Für mich geht eine wunderschöne Zeit zu Ende: als Spieler und Geschäftsführer.

Diesen Artikel teilen: