Balingen

Der Rausch des Lebens am Frühlingsabend – Balinger „Arcademia“ wartet mit Ungewohntem auf

18.04.2024

von Jochen Stübenrath

Der Rausch des Lebens am Frühlingsabend – Balinger „Arcademia“ wartet mit Ungewohntem auf

© Jochen Stübenrath

Die Arcademia Sinfonica und Dirigent Dietrich Schöller-Manno brillierten als eine musikalische Einheit.

Am Sonntag lud die Arcademia Sinfonica zum 3. Abonnementskonzert der Saison ein und lockte am sonnigen Nachmittag mit dem Titel „Liebe zum Leben“ in die Stadthalle Balingen. Mit einem nicht gewöhnlichen Programm hatte sich Dietrich Schöller-Manno mit seinen Musikern eine nicht gängige, dafür aber umso interessantere Aufgabe gestellt.

Mit dem für einen Konzertbeginn untypischsten Werk des Abends holt die „Arcademia“ den noch zwiegespaltenen Zuhörer ab und steigert mit dem aus dem Nichts kommenden Anfang des „La Valse“ von Maurice Ravel die Spannung.

„La Valse“ ist ein beeindruckendes Werk, komponiert zwischen 1919 und 1920.

Ravel schuf ein wirbelndes, dynamisches Stück Musik, das die Essenz eines Walzers in großartig-chaotischer Weise einfängt. Der Komponist beschrieb den Walzer als „choreographisches Gedicht für Orchester“. Das Stück zeichnet sich durch seine üppigen Harmonien, komplexen Rhythmen und dramatischen Wechsel in Tempo und Dynamik aus, die alle zu seiner berauschenden und eindringlichen Atmosphäre beitragen.

„La Valse“ spiegelt Zeit nach Erstem Weltkrieg wider

Die Entstehungszeit und auch Ravels Komposition war stark von den politischen und kulturellen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg beeinflusst. „La Valse“ spiegelt diese Zeit wider und offenbart die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Zerfall der alten Welt und der aufkommenden Moderne. So beginnt das Konzert mit einer Apotheose auf eine vergangene Zeit in der Walzerklänge durch die k.-u.-k.-Monarchie hallten.

Die Arcademia Sinfonica, von Schöller-Manno immer wieder angetrieben, vermag die Apotheose wirksam darzustellen. Der Walzer kommt als das daher, was er wirklich sein soll: eine Auseinandersetzung mit einer vergangenen Zeit, mit dem Sehnen nach einem früheren Leben, eine Auseinandersetzung mit der Moderne. So bleibt das Werk in der Interpretation von Schöller-Mano modern und gegenwärtig, zeitlos trotz seinem konservativen Kerngedanken.

Ungarische Einflüsse

Nach dem einsätzigen Eröffnungswerk erlebt der Zuhörer ein weiteres Werk, das er nicht allzu oft hören darf. Das Violinkonzert Nr. 1 von Bela Bartok ist ein überaus bedeutendes Werk der Violinliteratur des 20. Jahrhunderts. Zunächst nicht weiter beachtet wurde es erst 1958, also 50 Jahre nach seiner Fertigstellung, uraufgeführt. Zur Zeit der Komposition des Konzertes war Bartok stark von den Einflüssen der ungarischen Volksmusik geprägt. Er war einer der Pioniere der Ethnomusikologie und bereiste Ungarn auf der Suche nach traditioneller Musik um diese aufzuzeichnen.

Erst spät wurde Bartoks erstes Violinkonzert als das Meisterwerk erkannt, das es ist. Mit unkonventionellen harmonischen Fortschreitungen, ungarische Volksmelodien entsteht eine einzigartige Klangwelt, die traditionell und modern zugleich wirkt.

Der Rausch des Lebens am Frühlingsabend – Balinger „Arcademia“ wartet mit Ungewohntem auf

© Jochen Stübenrath

Solistin Fiona Milla Jäntti fesselt das Publikum mit ihrem begeisternden Spiel.

Die Solistin Fiona Milla Jäntti fesselt das Publikum mit ihrem begeisternden Spiel. Sie schafft zu Herzen gehende Klänge, schwingt sich in atemberaubende Höhen und bleibt zu jeder Zeit technisch perfekt, ohne dass je die Musik verloren geht. Man freut sich ihr zuzuhören, obwohl das Werk nicht zu den dankbaren der Violinliteratur gehört. Wenn es auch nicht im virtuosen Kleid eines gängigen barocken Violinkonzertes daherkommt, hat es höhere Ansprüche an Solistin, Orchester und Zuhörer.

Die Arcademia Sinfonica hängt am Arm des Dirigenten, die Chemie stimmt in jeder Hinsicht und man macht zusammen Musik. Hier und da wünschte man sich ein wenig mehr Genauigkeit beim Einsatz, was aber nun mal passiert, wenn man mit Verve und Überzeugung musiziert. Am Ende des Werkes rauscht mitgerissener Applaus, man wünscht sich das Stück noch einmal zu hören, leider bleibt dem Publikum die Gunst einer Zugabe verwehrt.

Brahms’ Zufriedenheit zeigt sich in Sinfonie

Nach der Pause erklingt die Sinfonie Nr. 2 in D-Dur von Johannes Brahms. Obwohl die 2. Sinfonie keine explizite programmatische Bedeutung hat und nicht direkt mit einem bestimmten Lebensereignis verbunden ist, spiegelt sie dennoch auf subtile Weise Aspekte von Brahms‘ Persönlichkeit, seiner Umgebung und seiner künstlerischen Reife wider. Brahms war zur Zeit der Komposition des Werkes finanziell abgesichert, hatte einen festen Platz in der Musikwelt gefunden und genoss einen gewissen persönlichen Erfolg. Diese innere Gelassenheit und Zufriedenheit spiegelt sich in der heiteren und optimistischen Stimmung der Sinfonie wider.

In dieser zweiten Hälfte des Konzerts beweisen sowohl Schöller-Manno als auch die Arcademia Sinfonica, dass sie auch Romantik hervorragend meistern. Ein kompakter, runder Klang, gestützt von einem starken und homogenen tiefen Blech und Streichern, die in der ganzen positiven Grundstimmung der Sinfonie nie emotionale Tiefe und dramatische Wirkung vermissen lassen, erfüllt alle vier Sätze des Werks. Schöne Bögen und farbige Melodieführungen bei den Holzbläsern und hohen Streichen nehmen den Zuhörer mit in eine friedliche, glückliche Welt.

So erfüllt entlässt das 3. Abonnementskonzert das Publikum zurück in einen lebendigen und farbenfroh bereicherten Abend und lässt ihm auch noch Raum zum Denken. Man bereut es nicht und freut sich, den Konzertsaal der heimischen Terrasse vorgezogen zu haben …

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