Balingen

Coronaverordung contra Grundgesetz? Flächendeckende Schließungen werden im Bürgerdialog kritisiert

03.12.2020

Von Daniel Drach

Coronaverordung contra Grundgesetz? Flächendeckende Schließungen werden im Bürgerdialog kritisiert

© Landratsamt Zollernalbkreis

Landrat Günther-Martin Pauli (rechts) und der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof beantworteten Fragen der Bürger.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März bietet das Landratsamt Zollernalbkreis Online-Bürgerdialoge an. Auch bei der 19. Auflage am 1. Dezember beantworteten Landrat Günther-Martin Pauli und diesmal der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof Fragen der Bürger. Dabei wurde über die aktuellen Maßnahmen und deren Auswirkungen debattiert.

Gleich die erste Frage beinhaltete ein ernstes Thema - ob die aktuelle Situation die Demokratie gefährde, wollte ein Bürger wissen. „Das würde ich nicht sagen - im Gegenteil“, antwortete Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof. „Ich glaube, dass sich die Demokratie in den letzten acht, neun Monaten bewährt hat.“ In der Bevölkerung bestehe eine große Akzeptanz für die Maßnahmen, so Kirchhof weiter.

Grundrechtskonflikt als große Herausforderung

Ferner stand aber auch die neueste Corona-Verordnung im Blickpunkt. „Das Parlament muss das Heft in die Hand nehmen“, betont Kirchhof. „Es geht fast immer um Eingriffe in berufliche, gewerbliche und private Bereiche. Und da sind Grundrechte betroffen.“

Dieser Konflikt stelle aktuell eine große Herausforderung dar, meint der Jurist. Einerseits wolle man die Gefahr eingrenzen, andererseits wolle man den Familien und Betrieben aber nicht schaden. „Da muss eine Abwägung stattfinden“, so Kirchhof, „das ist die urtümliche Aufgabe des Parlaments. Da würde ich mir einen energischeren Zugriff wünschen.“

Flächendeckende Schließungen in der Kritik

Pauli ergänzte in Bezug auf den „Lockdown light“, dass es ärgerlich gewesen sei, dass sich viele Branchen in den Sommermonaten vorbildlich verhalten hätten - und nun doch schließen mussten und quasi ein Berufsverbot erteilt bekommen hätten. Er stellte die Frage in den Raum, ob die Maßnahmen nicht bedarfsorientierter gesteuert werden sollten.

„Das Beispiel Gastronomie zeigt, dass flächendeckende Betriebsschließungen vielleicht ein bisschen über das Ziel hinausschießen“, antwortete Kirchhof. Er plädierte für mehr Föderalismus und Selbstverwaltungshoheit der Kreise und Gemeinden. Flächendeckend alles über einen Kamm zu scheren helfe zwar der Eindämmung der Pandemie, lasse aber die Auswirkungen für viele aber außer Acht, findet der Jurist. „An dem Thema sollte das Parlament jetzt arbeiten.“

Maßnahmen „im Großen und Ganzen ganz vernünftig“

Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bewertete Kirchhof die Coronaverordnung. „Persönliche Verhaltensmaßnahmen wie Abstand und Maskenpflicht sind sicher ganz vernünftige Maßnahmen.“ Diese seien zwar lästig, aber nicht besonders tief eingreifend, sagte der Jurist.

Wo es an andere Grundrecht gehe, wie Reisebeschränkungen und Gewerbeschließungen, „da wird es vielleicht ein bisschen anders sein. Aber letzten Endes ist das, was der Staat zurzeit tut, im Großen und Ganzen ganz vernünftig und wohl auch zielgerichtet.“ Problematisch sei aber, dass nicht klar geregelt ist, wie weit die Maßnahmen gehen dürfen und wo die Grenze liegt, so Kirchhof.

Was wurde aus der Schuldenbremse?

Auch die Rettungspakete standen zur Debatte. Pauli gab zu bedenken, dass diese Verschuldungen für nachkommende Generationen bedeuten würden. „Dass man für diese Maßnahmen Geld in die Hand nimmt, ist selbstverständlich“, entgegnete Kirchhof. „Was mir da ein bisschen Sorgen bereitet, ist, dass man die Notsituation zum Anlass genommen hat, sich exorbitant zu verschulden.“

Die neu aufgenommen Kredite würden auch nicht nur zur unmittelbaren Bekämpfung coronabedingter Probleme genutzt, sondern auch für bereits lange geplante Projekte wie IT- oder Straßenausbau, so Kirchhof weiter.

Polizei greift nur bei konkreten Anhaltspunkten ein

Bezüglich Bedenken der Bürger, was die Kontrollen der Polizei zur Einhaltung der Coronaverordnung angeht, gab der Jurist aber Entwarnung. Gerade im privaten Bereich gebe es hohe Hürden, so Kirchhof.

„Da müssten schon konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass irgendwo eine rauschende Party mit 50 Leuten gefeiert wird, dass die Polizei reindarf. Auf keinen Fall darf die Polizei jetzt durch die Straßen gehen und überall die Haustüren aufmachen - das geht sicher nicht.“

„Der Frühling kommt“

Pauli fügte an, dass das Grundgesetz die Privatsphäre diesbezüglich schütze. Aber auch, dass man etwa in der Gastronomie schon ein Auge darauf hatte, ob die Anforderungen eingehalten wurden.

„Da kann ich aber für den Zollernalbkreis konstatieren, dass unsere Bürgerinnen und Bürger mit gesundem Menschenverstand an die Dinge herangehen“, lobte der Landrat und verbreitete auch etwas Hoffnung. „Der Frühling kommt. Und dann hoffen wir, dass wir gemeinsam den Winter überstehen, hoffentlich bald ein Impfstoff zur Verfügung steht und wir diese Pandemie dann irgendwann auch hinter uns lassen werden.“

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