Balingen

Bücken, auflesen, wundern: Rund 100 Helfer räumen in Balingen den Müll anderer weg

27.04.2023

Von Barbara Szymanski

Bücken, auflesen, wundern: Rund 100 Helfer räumen in Balingen den Müll anderer weg

© Barbara Szymanski

Kurze Lagebesprechung der Helfer beim Umweltputztag in Balingen. Die Route ist gut 5 Kilometer lang.

Es ist ein Ärgernis, das Stadt und Landkreis auch so einiges kostet: Unrat, der wild in der Natur entsorgt wird. 2,5 Tonnen Müll sammelten die Helfer beim Umweltputztag kürzlich in der Balinger Kernstadt zusammen. Wir haben die Ehrenamtlichen dabei begleitet.

Lieber wegschauen. Schlechtes Gewissen? Schon mal was entsorgt mitten in der Stadt? Vielleicht eine leere Tüte Chips, Mineralwasserflasche, Kippe weggeschnippt oder gar einen Christbaum am Etzelbachufer in der Nähe der Stingstraße verklappt? Die freiwilligen Helfer des Umweltputztages Balingen, mit Zangen und Eimern ausstaffiert, werden von niemandem bei ihrer Arbeit angesprochen. Doch ohne zu murren machen sie ihre Tour. Sich bücken, seufzen, Kopf schütteln, weitermachen.

Den Umweltputztag gibt es seit 20 Jahren

Jeweils gut fünf Kilometer legen die Gruppen im Stadtgebiet zurück. Und das sind Abordnungen von Vereinen und Organisationen wie dem THW, den Baum-Fachwarten, den Binsenhexen, dem Schäferhunde- und dem Schachverein, der Schützengilde. Aber auch Familien und einzelne Müllsammler haben sich bei der Bizerba-Arena eingefunden, um auszuschwärmen.

Bücken, auflesen, wundern: Rund 100 Helfer räumen in Balingen den Müll anderer weg

© Barbara Szymanski

Diese Freiwilligen machten die Stadt sauber, rechts: Thomas Bertschinger vom Bauhof.

Oberbürgermeister Helmut Reitemann zeigt sich am Sammeltag gut gelaunt und erfreut, dass wie seit 20 Jahren so viele Helfer – jährlich sind das zwischen 70 und 100 – gekommen sind. „Schade, dass es Menschen gibt, die wenig Sinn für eine saubere Stadt haben. Gerade jetzt zur Gartenschau wollen wir unser schönes Balingen doch picobello sauber zeigen.“

Abeysingha Gamage, der vor 44 Jahren aus Sri Lanka nach Balingen gekommen ist und als Feinmechaniker bei Bizerba bis zur Rente arbeitete, nickt heftig: „Ja, nicht nur schimpfen über die Gartenschau und alles mögliche – einfach was tun.“ Die Jugendlichen vom Schachclub, Jonas und Marlen aus Frommern, bestätigen das und schwenken ihre Zangen, die Sabine Dächinger vom Bauhof verteilt: „Wir sind Sammel-Profis“, sagen sie und ziehen mit großen Schritten von dannen.

2,5 Tonnen kommen zusammen

Kippen, Kippen und nochmals Kippen. Es mögen Tausende sein. Die meisten immer und überall direkt neben den öffentlichen Aschenbechern. Über 15 Jahre braucht so ein Stummel, bis er verrottet ist, steht so zumindest bei Google. Am Ende des Tages in diesem Jahr sind es sage und schreibe 2,5 Tonnen Abfall, und zwar nur im Balinger Stadtgebiet. Bliebe alles liegen, wären es in zehn Jahren 25 Tonnen, in 40 Jahren …

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© Barbara Szymanski

Statt bücken lieber mit Zange.

Darauf angesprochen, schüttelt es Siegfried Geiger, pensionierter Revierförster und jetziger Naturschutzwart beim Albverein Weilstetten. Seit 30 Jahren stapft er mit Helfern vom SAV, Jugendrotkreuz, TVW, mit Jägern und Bürgern zum Ortsrand von Weilstetten zu den Parkplätzen und der L440, wo sich vor allem bei den Einfahrten der Waldwege der Müll häuft. Was so alles gefunden wird im Wald und auf der Flur, spottet jeder Beschreibung: „Ich hätte Lust, schon vor dem Vesper einen Schnaps zu trinken“, sagt Geiger und kräuselt seine Lippen: gebrauchte Windeln, die schleimig geworden sind auf feuchter Erde, Grasschnitt der stinkend vor sich hingärt, grässliche Lebensmittelabfälle – das treffen er und die Helfer an. Und noch viel mehr: alte Möbel, Autoreifen, Bauschutt, Flaschen, Dosen, Gartenabfälle jeder Art und auch Weihnachtsbäume.

170 Reifen in einem Jahr

Nicht nur Naturschutzwart Siegfried Geiger, ganz sicher auch die vielen Teilnehmer der Frühjahrs-Putzeten in anderen Gemeinden auf der Zollernalb (wir berichteten) haben kein Verständnis: „Fürs Grüngut gibt es Sammelplätze aller Orten, den Gelben Sack, Sperrmüllabfuhr – Bequemlichkeit oder Unwissenheit?“, denkt Geiger laut nach. Von der Pressestelle des Landratsamts ist zu erfahren, dass im vorigen Jahr im Zollernalbkreis 15,5 Tonnen Abfall sowie 170 Reifen im Abfallwirtschaftszentrum abgeliefert wurden.

Bücken, auflesen, wundern: Rund 100 Helfer räumen in Balingen den Müll anderer weg

© Barbara Szymanski

Veronika Zipfel (links) und Joan Maier bergen einen Christbaum.

Die Gesamtkosten für die Entsorgung belaufen sich auf durchschnittlich 50.000 bis 70.000 Euro – Steuergelder. Die Abfälle werden laut Landratsamt mit dem Restmüll über die Heißmüllverbrennung entsorgt.

Schränke, Sofas und Einkaufswagen

Von Oberbürgermeister Reitemann ist zu erfahren, dass nicht nur Tüten, Flaschen und Kippen, sondern auch größere Dinge das Stadtgebiet vermüllen wie Autositze, Radkappen von Lastwagen, Fertigputz, Schränke, Sofas, Altreifen. Ein Mitarbeiter vom Bauhof findet in Balingen heuer gar einen Einkaufswagen. „Mehr Abfallkörbe aufzustellen, bringt keine Besserung. Die Leute können doch ihre nicht mehr gebrauchten Gegenstände kostenlos zum Wertstoffzentrum bringen“, betont Reitemann. Die Personalkosten nicht mitgerechnet gebe die Stadt Jahr für Jahr für die Entsorgung der Sammelaktion im Stadtgebiet über 2500 Euro aus. In flagranti sei übrigens noch kein Umweltsünder erwischt worden, was nicht nur er, sondern auch Naturschutzwart Geiger bedauert.

Eine Umweltstreife könnte helfen

Auch die Polizei tut sich schwer, Umweltverschmutzer dingfest zu machen. Laut Andreas Fauler von der Polizeiinspektion Balingen werden häufig Abfallfunde wie Grüngut oder Schnittgut, aber auch Öl, Farbenreste oder Chemie gemeldet und angezeigt. Dabei ermitteln die Ordnungshüter dann, wenn gefährliche Stoffe widerrechtlich entsorgt worden sind. „Wir suchen auf Zetteln nach Adressen oder Telefonnummern.“ Die Bußgeldspanne liegt laut -katalog für Leute, die Farben, Batterien oder andere Umweltgifte wild entsorgen, zwischen 50 und 500 Euro Bußgeld im Ländle. Das ist vergleichsweise wenig. Denn andere Länder wie Hamburg verlangen für zwei Liter oder zwei Kilogramm wild entsorgten Sondermüll bis zu 5000 Euro.

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© Barbara Szymanski

Ein verdientes Vesper als Abschluss.

Der ehrenamtliche Naturschutzwart Geiger wünscht sich deswegen insgeheim eine Umweltstreife wie die „waste-watchers“ in Pforzheim. Doch noch bleibt beim Balinger Umweltputztag nur eines übrig: bücken und sammeln. „Ich will aktiv etwas für die Umwelt und somit für das Klima tun“, sagt die 13-jährige Joan Maier, Jugendvorsitzende bei der TSG-Abteilung Fechten. Ohne zu murren bückt sie sich einmal mehr, und eine Plastiktüte ploppt in den fast vollen Eimer.

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