Balingen

Balinger Neubaugebiet Stapfel: Mit Huckepackhäusern den Platz bestmöglich nutzen

16.02.2024

Von Jasmin Alber

Balinger Neubaugebiet Stapfel: Mit Huckepackhäusern den Platz bestmöglich nutzen

© Jelena Marjanov

Am Balinger Stadtrand Richtung Heselwangen entsteht ein neues Wohnbaugebiet.

Das Baugebiet Stapfel ist wohl das letzte Baugebiet, das Balingen mittel- und langfristig „auf der grünen“ Wiese ausweist. Deshalb hatte die Stadt einen städtebaulichen Wettbewerb ausgerufen, als dessen Sieger das Büro Wick + Partner hervorgegangen ist. Die Stadtplaner aus Stuttgart haben in den vergangenen Monaten ihre Hausaufgaben gemacht und ihren Schwammstadt-Entwurf nachgearbeitet. Die Ergebnisse stellten sie nun vor.

Bei dem Gebiet Stapfel handelt es sich um das rund 10 Hektar große Areal am Rand der Kernstadt nahe Heselwangen, entlang der Hirschbergstraße, oberhalb des Baumbestandes und in Richtung Streichener Sträßle. Dass es „auf der grünen Wiese“ – so die gern genutzte Redewendung – entsteht, ist dabei wörtlich zu verstehen. Denn dort, wo künftig ein neues Quartier sein wird, sind aktuell noch Wiesen und Felder. Weil es in absehbarer Zeit das letzte Wohngebiet in Außenentwicklung in Balingen sein wird, legen Stadt und Gemeinderat großen Wert auf ein ausgeklügeltes Bebauungskonzept, um die Fläche optimal zu nutzen.

Im Mai des vergangenen Jahres stand der Entwurf des Büros Wick + Partner, der in Zusammenarbeit mit dem Balinger Büro Siegmund und Winz Landschaftsarchitekten entstanden ist, als Sieger des städtebaulichen Wettbewerbs für das Neubaugebiet Stapfel fest. Zwar war die Jury vom Entwurf sehr angetan, landete er doch auf dem ersten Platz, dennoch musste das Büro in einigen Punkten nacharbeiten – so beispielsweise bei der Siedlungsdichte.

Innovative Wohnkonzepte

Diese Hausaufgaben wurden zwischenzeitlich erledigt. Kristin Kalbhenn, Architektin und Assoziierte des Stuttgarter Büros, stellte zwei Varianten des überarbeiteten Stapfel-Entwurfs in der Sitzung des Technischen Ausschusses vor. Wichtig war den Planern die Entwicklung innovativer Typen und flexibler Wohnkonzepte für Stapfel, und nicht zuletzt dadurch das Schaffen einer unverwechselbaren Identität im Quartier, ging sie auf die Wettbewerbsaufgabe ein. Klimaneutral soll es zudem sein und dennoch geplant unter wirtschaftlichen Aspekten.

„Neighbour Hubs“ mit Huckepack-Häusern

Sie erklärte, wie mehr Wohnraum auf der festgelegten Fläche, also die Nachverdichtung im Vergleich zum ersten Entwurf, entstehen kann: Zum einen sind die Planer „näher an die Wettbewerbsgrenzen herangegangen“, um das Nettobauland voll auszuschöpfen und mehr Baukörper, darunter freistehende und Ketten-Einfamilienhäuer wie ein Mehrfamilienhaus gleichermaßen, unterzubringen. Viele Grünräume sind bei dem als Schwammstadt geplanten Gebiet immer noch vorhanden.

Ebenso wurden für eine Variante 1 innerhalb der Quartiersplanung die Gebäudetypen neu organisiert.

Balinger Neubaugebiet Stapfel: Mit Huckepackhäusern den Platz bestmöglich nutzen

© Wick + Partner

Das Büro Wick + Partner ist mit den Planungen in Variante 1 näher an die Grenzen des Plangebietes herangerückt (rote Flächen), um die geforderte Nachverdichtung zu erzielen.

Statt großen Sammelparkplätzen wurden hier sogenannte „Neighbour Hubs“ kreiert, wie Kalbhenn ausführte. Das bedeutet, dass es pro Wohnhof, der von Ketten-, Reihen- oder Mehrfamilienhäusern gesäumt werden kann, eine Sammelparkmöglichkeit gibt. Dafür sollen Huckepack-Häuser entstehen. Huckepack darf auch hier wieder wörtlich verstanden werden, weil der Wohnteil auf den Parkteil aufsitzt und, wie die Architektin es veranschaulichte, „obendrüber guckt“. Somit können die geforderten 1,5 Stellplätze pro Wohneinheit erreicht werden, ohne eine Tiefgarage unter die Gebäude bauen zu müssen.

Balinger Neubaugebiet Stapfel: Mit Huckepackhäusern den Platz bestmöglich nutzen

© Wick + Partner

In ihrer Präsentation zeigte Kristin Kalbhenn als Beispiel für Huckepack-Häuser unter anderem dieses Regensburger Gebäude nach einem Entwurf von Anselm Schön.

Zudem könne – mit Blick auf ein mögliches geändertes Mobilitätsverhalten in Zukunft – die Parkierungsebene bei geändertem Stellplatzbedarf ganz oder in Teilen als Wohn- oder Gewerbefläche umgenutzt werden. Anhand bereits realisierter Huckepack-Häuser in Kassel oder Regensburg stellte sie mehrere Möglichkeiten vor, wie diese Gebäude mit einer oder zwei Parkebenen aussehen können. Tiefgaragen sind übrigens unter den sogenannten Punkthäusern in der Quartiersmitte vorgesehen.

Bereich in Variante 2 kann komplett autofrei werden

Die Besonderheit an Variante 2: Hier wird der dritte Bauabschnitt, das ist jener, der als letztes und in dem Teilgebiet hin zum Streichener Sträßle entstehen soll, so geplant, dass er über kurz oder lang ein autofreies Teilquartier werden kann. Möglich ist das, wie Kristin Kalbhenn erläuterte, durch den Bau zweier Nachbarschaftsgaragen, die hier die Huckepack-/„Neighbour Hub“-Lösung ersetzen. Dadurch, dass somit die geforderten Parkflächen direkt bei den Gebäuden wegfallen, kann die Anzahl der Wohneinheiten in diesem Teilbereich von Stapfel erhöht werden.

Balinger Neubaugebiet Stapfel: Mit Huckepackhäusern den Platz bestmöglich nutzen

© Wick + Partner

In diesem Lageplan sind die zentralen Parkhäuser von Variante 2 in rot hervorgehoben. Sie bieten jeweils Parkplätze für die Bewohner der rot umkreisten Bereiche des dritten Bauabschnitts, in denen somit mehr Wohneinheiten geschaffen werden können.

Die Unterschiede bei den Änderungen, die das Büro in zwei Varianten aufgearbeitet hat, spiegeln sich auch in der berechneten Bewohnerzahl wieder. Bei Variante 1 würden 348 Wohneinheiten für rund 730 Bewohner entstehen. Mit Variante 2 hingegen lassen sich rund 377 Wohneinheiten für 791 Bewohner schaffen.

Zu den nächsten Schritten informierte Kristin Kalbhenn, dass – wenn mit Zustimmung der kommunalen Gremien weitergeplant wird – ein interdisziplinäres Team für die Bearbeitung der anstehenden Aufgaben vonnöten sein wird. Dabei geht es dann um technische Infrastruktur, aber auch die Gestaltung von Retentionsflächen oder den Umgang mit der Topografie.

Räte melden sich wegen Kosten und Vermarktung zu Wort

Markus Wochner (Freie Wähler) hob Variante 2 als „innovativ und neu für Balingen“ positiv hervor, aber das müsse sie für ein Neubaugebiet in dieser Dimension auch sein. Er habe allerdings „ein leichtes Grummeln im Magen“, was die Vermarktung an Interessenten angeht.

Wie sich die Fachplanungen auf die Kostenentwicklung und letzten Endes auch auf die Grundstückspreise auswirken, wollte Dr. Dietmar Foth (FDP) wissen. Die Grundstückskosten orientierten sich am Bodenrichtwert, antwortete Baudezernent Michael Wagner, der im Übrigen anmerkte, dass die Verwaltung die Umsetzung von Variante 2 vorschlägt. Er geht davon aus, dass letztendlich die Gebäudebaukosten entscheidend sein werden. Die Verwaltung strebt an, die ersten Grundstücke 2027 zu verkaufen.

Die Fachplanungen lägen seiner Einschätzung nach im üblichen Kostenrahmen bei einem Projekt in der Größe des Stapfel-Wohngebietes.

Wer baut Huckepack-Häuser und Sammelparkplätze?

In Sachen Parken erklärte Wagner auf Nachfrage von Dr. Bernhard Rewes (CDU), dass Huckepack-Häuser über Investoren gebaut würden, die Stadt für die Parkhäuser im dritten Bauabschnitt bei Variante 2 in Zwischenfinanzierung gehen würde. Insgesamt sei Flexibilität notwendig, vor allem in späteren Bauabschnitten, gehe man doch davon aus, dass man rund 10 Jahre mit der Umsetzung des Quartiers befasst sei.

Dass das Quartier Potenzial hat, energieautark zu sein, stellte der Baudezernent auf eine Nachfrage Erwin Feuchts (Grüne) nach der Klimaneutralität deutlich heraus. Neben dem Schlagwort Schwammstadt, das Wagner nannte, erwähnte er auch das geplante große Solarfeld auf der ehemaligen Deponie Geißbühl in direkter Nachbarschaft zu Stapfel. Auch die Möglichkeiten von Erdwärme seien Teil der weiteren Planungen.

Letztendlich stimmte das Gremium mehrheitlich bei einer Enthaltung dem Grundsatzbeschluss zu, dass der städtebauliche Entwurf von Wick + Partner weiterentwickelt und die Planungen fortgeführt werden.

Das letzte Wort hat wie immer der Gemeinderat, und zwar in der Sitzung am 27. Februar. Die Verwaltung wird zudem per Votum des Technischen Ausschusses beauftragt, ein VgV-Verfahren zur Auswahl von geeigneten Fachingenieurbüros für die Durchführung der baulichen Erschließungsbaumaßnahmen durchzuführen und dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorzulegen.

Exkurs Jo-Jo-Haus

Die Huckepackhäuser waren übrigens nicht die einzige Typologie des Quartiersentwurfs, die die Stadtplanerin vorstellte. Sie ging zudem auf die Idee der Jo-Jo-Häuser, abgeleitet von dem Spielzeug, ein, das grundsätzlich in beiden Stapfel-Varianten möglich ist. „Das ist eine Typologie, die reagiert auf auf die Entwicklung der Nutzung eines Einfamilienhauses“, fasste Kristin Kalbhenn zusammen. Und das mit Blick auf das Mehrgenerationenwohnen, denn analog zum Auf und Ab eines Jo-Jos kann das Haus von einer bis drei Wohneinheiten genutzt werden. Das Treppenhaus ist außenliegend des Wohnbereichs, sodass die Nutzung der Geschosse flexibel ist – als insgesamt eine Wohneinheit für eine Familie mit Kindern, für die Nutzung durch eine Familie mit einer weiteren Wohneinheit in einer Einliegerwohnung (beispielsweise für erwachsene Kinder) oder für die Nutzung durch drei Partien beziehungsweise drei Generationen.

Dies sei „ein innovativer Ansatz, den wir offensiv bewerben wollen“, antwortete Baudezernent Michael Wagner auf eine Nachfrage von Dr. Dietmar Foth (FDP). Dennoch blieben die Baufelder gleich, auch wenn für potenzielle Bauherren ein konservativer Ansatz realistischer sei. Sprich: Wenn Bauherren in dem vorgesehenen Bereich im Quartier „gewöhnliche“ Einfamilienhäuser bauen wollen.

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