Hechingen

Aus Klaiber wird „Refugio“: Gelingt dem Landrat in Hechingen ein Leuchtturmprojekt?

04.01.2024

Von Michael Würz

Aus Klaiber wird „Refugio“: Gelingt dem Landrat in Hechingen ein Leuchtturmprojekt?

© Michael Würz

Er ist der Küchenchef im neuen „Refugio“: Mbye Jahate, der 2014 als Flüchtling aus Gambia nach Deutschland kam. 2020 schloss er seine Kochlehre im Hechinger Restaurant Glufamichel erfolgreich ab. Seine Erfahrung will er nun weitergeben.

Das ehemalige Hotel am Hechinger Obertorplatz soll weit mehr werden als eine weitere Flüchtlingsunterkunft: Café und Restaurant öffnen kommende Woche. Almut Petersen wird Geschäftsführerin; Landrat Günther-Martin Pauli wagt mit dem Integrationsprojekt Neuland. Seine Kommunikationspolitik steht allerdings in der Kritik.

Man kennt das: Unter großem Druck gedeihen manchmal die besten Ideen. Ob Landrat Günther-Martin Pauli vor einigen Wochen eine solche hatte? An Druck jedenfalls mangelt es bei der Unterbringung Geflüchteter schon mal nicht. Und als er seine Idee Almut Petersen vorstellte, kam die Antwort postwendend: Der Arbeitskreis Asyl in Hechingen ist dabei! Schon in Kürze wird die Kreisverwaltung – wie berichtet – erste Geflüchtete im ehemaligen Hotel Klaiber in Hechingen unterbringen.

Aus Klaiber wird „Refugio“: Gelingt dem Landrat in Hechingen ein Leuchtturmprojekt?

© Michael Würz

Sie stellten am Donnerstag die großen Pläne in Hechingen vor (von links): Karl Wolf, Chef der Hauptverwaltung im Landratsamt, Georg Link, der im Landratsamt das Sozial- und Rechtsdezernat leitet, Bürgermeister Philipp Hahn, Landrat Günther-Martin Pauli und Almut Petersen vom Arbeitskreis Asyl in Hechingen. Ort der Pressekonferenz: das ehemalige Café Klaiber, das jetzt „Refugio“ heißt.

Und weil sie alle selbst über die Weihnachtstage gedanklich noch tief in ihrem Projekt (das auf den Namen „Refugio“ hört) steckten, konnten sie den Vertretern der Medien am Donnerstag einen – das lässt sich durchaus festhalten – ausgefeilten Plan präsentieren. Einer, der gewissermaßen aus der Not eine Tugend macht. Und einer, der dem Zollernalbkreis beim Thema Geflüchtete bitte auch wieder hübschere Schlagzeilen als zuletzt bescheren soll. Darauf jedenfalls hofft der Landrat, der bereits ein „spannendes Integrationsprojekt“ wittert, vielleicht auch eines, das zum Leuchtturmprojekt taugen könnte. Denn: Am Obertorplatz ist weit mehr geplant als einfach eine weitere Unterkunft für Geflüchtete. Aber der Reihe nach.

Was genau ist das „Refugio“?

Die Verantwortlichen teilen das Projekt (und gewissermaßen auch das Hotel) in 3 Teile auf: die Unterkunft für Asylbewerber in der vorläufigen Unterbringung, ein Integrations- und Begegnungszentrum und das öffentliche Café-Restaurant im Erdgeschoss, das der AK Asyl gemeinsam mit Geflüchteten wieder eröffnet.

Wie viele Geflüchtete ziehen ins ehemalige Hotel?

Das Landratsamt, das das Gebäude zunächst für 3 Jahre angemietet hat, plant mit theoretisch maximal 40 Bewohnerinnen und Bewohnern. Landrat Pauli betont, dass man aber „langsam und achtsam“ starten wolle. Was das bedeutet? 10 bis 15 Personen werden demnächst einziehen. Und zwar „nicht nach Schema F, einfach 08/15 ein Dach über dem Kopf“.

Wer wird in dem Gebäude wohnen?

Man wolle ganz gezielt Geflüchtete am Obertorplatz einquartieren, die sich während ihrer Zeit in der vorläufigen Unterbringung einbringen „und etwas Vernünftiges machen wollen“, so der Landrat. Integrationswillige Menschen mit Bleibeperspektive.

Wann werden Geflüchtete in das Hotelgebäude einziehen?

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ein Knackpunkt sei derzeit noch der Brandschutz, war am Donnerstag zu erfahren. Bis Ende des Monats soll das Thema aber vom Tisch sein.

Wann öffnet das neue Café im Erdgeschoss?

Hier geht es schon in den kommenden Tagen los. Der Arbeitskreis Asyl in Hechingen (der in diesem Zuge Arbeitgeber für ein professionelles Restaurant-Team wird), zieht am heutigen Freitag mit seinen Kursutensilien aus dem katholischen Gemeindehaus ins „Refugio“. Am Montag schon soll der erste Kurs für Geflüchtete in den neuen Räumen stattfinden. Und am Sonntag wird ab 12 Uhr bereits öffentlich das orthodoxe Weihnachtsfest im „Refugio“ gefeiert. Am Montag ab 17 Uhr ist die Bevölkerung ebenfalls willkommen – zum schwäbisch-afrikanischen Abendessen, wie Almut Petersen verrät, die Geschäftsführerin des Projekts und Einrichtungsleiterin wird.

Wie steht Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn zu dem Projekt?

Hahn unterstützt das Vorhaben. Er sagt: „Angesichts des derzeitigen Aufnahmedrucks an Geflüchteten war klar, dass das Gebäude in den Blick des Landratsamts kommt.“ Der Bürgermeister kritisiert zwar die Politik von Bund und Land (die die Kommunen auch finanziell im Stich ließen) scharf, betont aber: „Für diese innenpolitische Situation kann der einzelne Geflüchtete, kann die einzelne Geflüchtete nichts.“ Der Bürgermeister ruft in der Pressekonferenz am Donnerstag ins Gedächtnis: „Unser Irma-West-Kinder-und-Heimatfest erinnert jährlich an die Auswanderung von Fred West und vieler anderer aus wirtschaftlichen Gründen nach Amerika in der Zeit um 1872 herum.“

Zudem: Bereits nach dem 2. Weltkrieg habe Hechingen zahlreiche Geflüchtete aufgenommen, „auf engstem Raum in Barracken in der Unterstadt“. Als billigste Arbeitskräfte seien sie es gewesen, die hiesigen Textilunternehmen zu Wohlstand verholfen haben. Bürgermeister Hahn richtet einen Appell an die Hechinger, im Wissen, dass die Unterbringung Geflüchteter zuletzt immer stärker auf Proteste stieß: „Ich bitte die Bevölkerung darum, dem Vorhaben eine Chance zu geben und vorurteilsfrei den Geflüchteten zu begegnen. Nutzen Sie die Café-Möglichkeit, die sich nun zukünftig hier ergibt.“ Auch der Landrat bittet die Bevölkerung im Übrigen, dem Projekt, „das auch für uns Neuland ist, eine Chance zu geben“.

Was spricht dafür, ein solches Projekt in der Zollernstadt zu testen?

Die Verantwortlichen verbinden mit Hechingen und dem ehemligen Hotel Klaiber „große Chancen“. Karl Wolf, Chef der Hauptverwaltung im Landratsamt, der auch für Schulangelegenheiten zuständig ist, weiß etwa: Am beruflichen Schulzentrum werden Hotel- und Gastroberufe gelehrt. Gewissermaßen eine perfekte Kombination fürs „Refugio“. Aber auch Pflegeberufe stehen in Hechinger Klassenzimmern auf der Tagesordnung – allein Ausbildungswillige sind händeringend gesucht. Hier denken die Verantwortlichen im Landratsamt bereits weiter; sie wollen den Brückenschlag in Richtung Arbeitsmarkt versuchen. Landrat Pauli sieht in dem Integrationsprojekt einen „Mehrwert für alle Beteiligten“. Und mit dem neuen Restaurant dürfte sich auch die „Geisterstimmung“ am Obertorplatz legen, die im Moment aufgrund des Leerstands herrscht.

Gibt es auch kritische Stimmen?

Ja. Neben teils lautstark (und teilweise auch unflätig) vorgetragener Kritik im Netz hatte sich bereits im Vorfeld der Pressekonferenz die CDU-Fraktion im Hechinger Gemeinderat zu Wort gemeldet. In einem Offenen Brief an Bürgermeister Hahn bezeichnete Fraktionssprecher Lorenz Welte ein Wohnheim für Geflüchtete „am Rand des für viele Millionen Euro errichteten Obertorplatzes“ als absurde Idee. Kritik äußert die größte Fraktion im Gemeinderat auch am Schulterschluss zwischen Landrat Pauli und Bürgermeister Hahn – und daran, dass die Entscheidung getroffen worden sei, ohne den Gemeinderat überhaupt zu informieren. In der Pressekonferenz am Donnerstag hatten die Verantwortlichen die Kritik zunächst umschifft. Salz in die Wunde streute dann allerdings Werner Beck, Sprecher der Freien Wählervereinigung.

Er ergriff vor den versammelten Journalisten das Wort, um sich im Namen seiner Fraktion der Kritik aus den CDU-Reihen anzuschließen. Im Lichte des zuvor vorgestellten Projekts räumte Beck aber ein, dass dieses wohl auch im Gemeinderat auf Zustimmung gestoßen wäre. Landrat Pauli wiederum sagte, dass es dieser Tage nicht immer gelinge, „perfekt zu kommunizieren“. Zumal auch „der Tag eines Landrats nur 24 Stunden habe“. Almut Petersen sprang Pauli zur Seite, bestätigte den Medienvertretern: Alles ist mit heißer Nadel gestrickt, bis zuletzt sei es noch „hin- und hergegangen“.

Zudem, ließ Landrat Pauli wissen, sei die Causa Klaiber im Sozialausschuss des (zuständigen) Kreistags thematisiert worden – was wiederum die Kritik an der Kommunikationsstrategie nur bedingt ausräumen konnte. Denn Thema war das Projekt allein in nichtöffentlicher Sitzung. Ungeachtet seiner Kritik an der Vorgehensweise kündigte Werner Beck schließlich an: Er wolle sich selbst einbringen im Projekt, „als Lehrer ist man ja gut geeignet“. Von der CDU-Fraktion war bei der Präsentation des Vorhabens niemand vertreten, „aus Zeitgründen“, hieß es.

Wird es noch eine öffentliche Veranstaltung geben?

Bürgermeister Philipp Hahn kündigte angesichts der Kritik aus der CDU-Fraktion eine Sondersitzung des Gemeinderats mit dem Landrat an. Sie soll – angesichts eines zu erwartenden großen Andrangs – in der Stadthalle Museum stattfinden. Das „Refugio“ wird bis dahin seinen Betrieb freilich schon aufgenommen haben.

Worauf legt die Chefin wert?

Almut Petersen kündigt einen klaren Regelkatalog für die Bewohner an. Darauf finden sich etwa Wasch- und Putzdienste, und natürlich der Dienst in der Restaurant-Küche bei Küchenchef Mbye „Mike“ Jahate. Auch auf korrekte Mülltrennung müssen sich die Geflüchteten einstellen, und darauf, „richtig zu heizen“. Den Hechingern ruft sie unterdessen zu: „Wenn jemand etwas falsch macht, nicht aufregen, sondern zeigen, wie es richtig geht!“

Und was kommt auf die Speisekarte?

Almut Petersen sagt: „Es soll schwäbische und internationale Küche geben, auch Gerichte aus den Herkunftsländern der hier wohnenden Menschen.“ Und einen Café-Betrieb „mit Außenterrasse und allem, was dazu gehört“. Die nämlich vermissen vor allem schaukelwandernde Familien derzeit schmerzlich.

Kreis erwartet für 2024 rund 800 Geflüchtete

Im Landratsamt rechnen sie – Stand heute – damit, dass dem Kreis in diesem Jahr 700 bis 800 Geflüchtete zugewiesen werden. Für 500 Menschen sehe man derzeit Unterbringungsmöglichkeiten, sagt Karl Wolf, Chef der Hauptverwaltung. Weitere 300 Plätze würden derzeit gesucht. Als kleiner Baustein diene hier auch das ehemalige Hotel Klaiber. Bis zu 40 Geflüchtete könnten hier unterkommen. Zum Start sollen es aber nur 10 bis 15 sein, so Landrat Pauli.

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